Kunstsammlung-NRW-Direktorin Susanne Gaensheimer

"Wir wollen keine elitären Orte mehr sein"

"Raus ins Museum! Rein in Deine Sammlung. Meisterwerke von Etel Adnan bis Andy Warhol" lautet der Titel der neuen Sammlungspräsentation im K20 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Direktorin Susanne Gaensheimer hat sie gemeinsam mit Vivien Trommer kuratiert. In 20 Räumen und mit mehr als 180 Werken schlägt die Ausstellung eine Schneise durch die Geschichte der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Die Präsentation ist weniger chronologisch als thematisch organisiert und soll die Grenzen des westlichen Kanons aufbrechen 

Frau Gaensheimer, oft sind ja eher die Sonderausstellungen eines Museums im Fokus der Öffentlichkeit, wie in Ihrem Haus zur Zeit Yoko Ono oder Katharina Sieverding. Die Neupräsentation der Sammlung bezeichnen Sie aber als einen Meilenstein. Warum ist die Arbeit mit der Sammlung so wichtig?

Der Bestand der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen der europäischen klassischen Moderne und der US-Nachkriegsmoderne wurde von Gründungsdirektor Werner Schmalenbach aufgebaut. Unter seiner Ägide von 1961 bis in die 1990er-Jahre ist eine fantastische Sammlung der europäischen und westlichen klassischen Moderne ans Haus gekommen. Aber sie entspricht einem bestimmten Narrativ der europäischen Moderne, das aus westlicher Perspektive geformt und geschrieben wurde. Als ich 2017 in Düsseldorf anfing, ist mir aufgefallen, dass bestimmte Positionen fehlen. Es gab zum Beispiel überhaupt keine Künstlerinnen der klassischen und der Nachkriegsmoderne in dieser Sammlung, und keine Perspektive aus nicht-westlichen Ländern. Und mir erschien es zwingend notwendig, diese Sammlung zu modernisieren.

Wie geht das?

Ich wollte sie so öffnen, dass sie unserer Zeit und auch unserem Publikum entspricht. Unsere Gesellschaft hat sich verändert. Wir wollen keine elitären Orte mehr sein, die sich nur an ein ganz bestimmtes bildungsbürgerliches Publikum richten. Unser Publikum in Nordrhein-Westfalen ist sehr vielfältig, NRW ist ein Bundesland mit einem sehr hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Deshalb wollten wir auch die Sammlung ändern. Ich habe sieben Jahre lang an der Erweiterung der Sammlung gearbeitet, indem ich Werke erworben habe. Das war nur möglich, weil ich mit der Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen einen festen Ankaufsetat von jährlich zwei Millionen Euro aushandeln konnte, den ihre Nachfolgerin Ina Brandes trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage weitergeführt hat.

Was haben Sie gekauft?

Zum Beispiel Künstlerinnen der klassischen Moderne wie Gabriele Münter oder Paula Modersohn-Becker, aber zum Beispiel auch Künstlerinnen und Künstler aus nicht westlichen Ländern wie Etel Adnan und Lygia Pape. Auch mit der Präsentation versuchen wir, das Narrativ zu erweitern. So haben wir zum Beispiel von der Künstlerin Anys Reimann und dem Künstler Peter Uka Räume kuratieren lassen, um die Präsentation vielstimmiger zu gestalten, und unsere Bildungsabteilung hat Räume eingerichtet, in denen sich die Besucherinnen und Besucher aktiv einbringen können.

Die globale Kunstgeschichte ist ein weites Feld. Wie genau gehen Sie bei der Erweiterung der Sammlung vor?

Alles, was wir erworben haben, bezieht sich in irgendeiner Weise auf die DNA des Vorhandenen. So ergänzt beispielsweise die aus Kuba stammende US-amerikanische Künstlerin Carmen Herrera als Minimalistin unseren Schwerpunkt Minimalismus in der Sammlung. Ich habe mit ihr 2017 ihre erste große Ausstellung bis dato überhaupt gemacht und aus dieser Ausstellung, die im K20 zu sehen war, heraus Werke erworben. So haben wir es auch mit Lygia Pape gemacht, oder mit Etel Adnan, die sich ganz stark auf Künstler unserer Sammlung bezogen hat, wie Paul Klee oder Wassily Kandinsky. Es war spannend, zu zeigen, wie eine Künstlerin aus Beirut, die immer die Brücke zwischen der westlichen und der östlichen Welt geschlagen hat, auf Kandinsky und Klee blickt. Und unsere Erwerbungen der ägyptischen Surrealisten stehen im Kontext des Surrealismus-Schwerpunkts aus Schmalenbachs Zeit. Unser Ziel war dabei immer, das enorme Qualitätsniveau zu halten, das diese Sammlung hat. Dazu haben wir die Werke erst mal mehrere Monate in die Sammlung gehängt, um zu schauen, wie sie sich einfügen.

Was waren für Sie die schmerzhaftesten Leerstellen?

Warum gab es zum Beispiel keine Arbeit von Louise Bourgeois? Jetzt haben wir eine großartige Skulptur von 1970 als Dauerleihgabe im Haus und werden den gesamten Ankaufsetat des kommenden Jahres in den Erwerb dieser Skulptur investieren.

In früheren Jahrzehnten hätte man so ein Werk natürlich viel günstiger kaufen können.

Ja, und heute ist das mit riesigem Aufwand verbunden. Als ich in Düsseldorf ankam, gab es tatsächlich nur zwei Künstlerinnen in der Sammlung der frühen Moderne und Nachkriegskunst: Helena Vera da Silva als erste Erwerbung von Werner Schmalenbach und ein Werk von Lee Bontecou, das als Schenkung ins Haus gekommen war.

Wie viel Prozent Künstlerinnen sind jetzt vertreten?

In der aktuellen Sammlungspräsentation im K20 sind circa 40 Prozent der Werke, die wir zeigen, von Künstlerinnen.

Die Kunstsammlung NRW soll ja nicht nur in Bezug auf Künstlerinnen, sondern auch insgesamt vielfältiger werden. Mussten Sie ihr Publikum umgewöhnen?

Ich habe durch ein vielstimmiges Programm der letzten Jahre ja schon deutlich gemacht, dass es in diese Richtung gehen würde. Ganz am Anfang gab es zunächst nicht so viel Verständnis dafür, aber in den letzten Jahren hatte ich eine sehr positive Resonanz auch von dem klassischen Publikum der Kunstsammlung.

Und kommen auch neue, andere Leute?

Wir haben durchaus den Eindruck, dass unsere Besucherinnen und Besucher jünger werden und auch diverser. Aber das wollen wir jetzt überprüfen und, um herauszufinden, wer kommt und wodurch sich die unterschiedlichen Zielgruppen angesprochen fühlen. Daraus wollen wir lernen. Es ist ein Prozess.

Viele Museen wollen die Kunstgeschichte neu erzählen und neue Besuchergruppen ansprechen. Aber ohne Ankaufsetat ist es schwierig, die Sammlungslücken zu schließen.

Es ist auch eine kulturpolitische Setzung, ob ein Museum ein Ankaufsetat hat oder nicht. Das Beispiel der Kunstsammlung als Landesmuseum Nordrhein-Westfalens finde ich da vorbildhaft. Ein Ankaufsetat von zwei Millionen ist vielleicht angesichts der Preise nicht viel, aber wenn man sich darauf verlassen kann, kann man strategisch sammeln. Wenn man die Museen in Deutschland der gesellschaftlichen Entwicklung anpassen möchte und wenn man sie so gestalten möchte, dass sie zeitgemäß bleiben und auf einem Niveau mit den großen Häusern in der Welt mitspielen, dann braucht es einen Ankaufsetat.

Wie geht für die Kunstsammlung NRW der Prozess weiter?

Wir müssen uns die Frage stellen: Welche Rolle hat das Museum heute? Wir befinden uns in einer krisenhaften Zeit, politisch, wirtschaftlich und sozial. Diese Krise kommt jetzt massiv bei der Kultur an, aber auch bei den sozialen Einrichtungen, an Schulen, im Gesundheitswesen, bei den Menschen zu Hause. Umso mehr müssen wir überlegen: Was kann unser Beitrag sein? Es kann nicht sein, dass wir nur für eine kleine privilegierte Besuchergruppe arbeiten, sondern wir müssen viele und unterschiedliche Menschen erreichen. Das ist gar nicht so leicht. Da geht es darum, die eigenen Denkmuster aufzubrechen, auch im Team. Kulturpolitisch ist die Lage auch kompliziert und nicht absehbar. Wir müssen die Kultur jetzt schützen und uns mit voller Überzeugung für die Freiheit der Kunst einsetzen.