Der Künstler Olu Oguibe beschäftgt sich seit Jahren mit der Symbolik von Monumenten im öffentlichen Raum. Gerade stehen diese Herrscher-Statuen im Zentrum der Anti-Rassismus-Proteste, die sich nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten weltweit ausgebreitet haben. Im Zuge der Demonstrationen wurden mehrere Denkmäler von Kolonisierern oder Befürwortern der Sklaverei gestürzt. Andere als rassistisch empfundene Denkmäler wurden von ihren jeweiligen Kommunen abgebaut, um ein Zeichen der Anerkennung historischer Schuld zu setzen. Wir haben Olu Oguibe gefragt, wie er den derzeitigen Bildersturm bewertet und wie die Monumente der Zukunft aussehen könnten.
Olu Oguibe, mit welchem Gefühl haben Sie in den vergangenen Wochen Statuen fallen sehen?
Man muss den weiten Kontext zu der Welle an Reaktionen gegen Monumente mitdenken. Oder besser gesagt, spezifisch gegen Statuen, die an historische Persönlichkeiten erinnern oder Figuren glorifizieren, die schändliche Ausbeutung repräsentieren; die sie verteidigt oder von ihr profitiert haben. Von der grausamen Versklavung von Afrikanern in Amerika und Europa bis zur kolonialen Ausbeutung in Afrika, Amerika, Australien und der Karibik. Die Kampagne gegen diese Statuen und das, was sie symbolisieren, gibt es schon seit vielen Jahren. In den USA fallen mir zwei konkrete Protestaktionen ein, vielleicht die Eröffnungssalven. 2014 haben Polizisten einen jungen unbewaffneten Afroamerikaner namens Michael Brown in Ferguson, South Carolina, erschossen. Der Mord an ihm war nur einer in einer langen Reihe von unschuldigen und unbewaffneten Schwarzen Männern, Frauen und Kindern in den Händen der Polizei. Die Tötung in Ferguson wurde weltweit verurteilt und führte zu Protesten überall in den USA, aber vor allem in South Carolina, wo Aktivisten aus dem ganzen Land zusammenkamen.
Und da kommen die Statuen ins Bild?
Während dieser Proteste hat eine Gruppe von lokalen Aktivistinnen und Aktivisten entschieden, einen schon lange andauernden Kampf wieder aufzunehmen, um South Carolina von Symbolen der konföderierten Rebellion zu befreien, die zum amerikanischen Bürgerkrieg geführt hat. Das Ziel dieser Rebellion war, Schwarze Menschen in der Sklaverei zu halten. Alles, was die Konföderation symbolisiert, seien es Flaggen, Statuen von Anführern oder öffentliche Gesten der Verherrlichung oder Unterstützung, repräsentiert also gleichzeitig die Unterstützung der Sklaverei und anderer Ungerechtigkeiten gegenüber Schwarzen Menschen in Amerika. In South Carolina hat die Regierung 2015 immer noch die Flagge der Pro-Sklaverei-Konföderation vor Regierungsgebäuden gehisst. Als die Menschen gegen den Mord an Mr. Brown protestiert haben, war diese Gruppe der Meinung, dass es nötig sei, diese öffentlichen Gesten zu verwerfen, die staatliche Anerkennung von Ungerechtigkeit signalisieren. Sie entschlossen sich, die Konföderiertenflagge vor dem Regierungsgebäude abzunehmen.
Was hat diese Aktion ausgelöst?
Die Gruppe bestand überwiegend aus jungen Menschen mit verschiedenen Hintergründen. Sie dachten, dass die Aktion symbolisch stärker sein würde, wenn eine Schwarze Frau die Flagge abnehmen würde. Sie haben eine Frau namens Bree Newsome ausgewählt, die den zehn Meter hohen Flaggenmast hinaufgeklettert ist und die Fahne eingeholt hat. Sie wurde verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, aber ihre Handlung fand in den ganzen USA ein Echo und hat dem Ruf nach der Entfernung solcher Symbole wieder Nachdruck verliehen, dazu gehören auch Statuen und andere Monumente.
Diese Forderungn gab es aber schon lange vor 2015 …
Ja, ein anderer Schlüsselmoment kam bereits 20 Jahre früher im Jahr 1997. Eine Gruppe von Aktivisten, die Friends of Acoma, sägten in New Mexico heimlich den Fuß einer Bronzestatue ab, die den berüchtigten spanischen Eroberer und kolonialen Gouverneur New Mexikos Juan de Oñate zeigte. Oñate war auf die selbe Art grausam, wie der belgische König Leopold II. es im Kongo war. Während seiner Amtszeit verantwortete Oñate das Massaker an 800 Indigenen in der Siedlung Acoma. Als 1997 der 400. Jahrestag der spanischen Besetzung näher kam, nahmen die Friends of Acoma die Dinge in die Hand und stahlen Oñates Fuß. Es war besonders relevant, dass sie dieses Körperteil abgesägt und jahrzehntelang behalten haben.
Beziehen sich die Aktivisten heute auf diese früheren Bilderstürmereien?
Ja, die aktuelle Welle im Zuge der "Black Lives Matter"-Bewegung ist eine Fortsetzung. Tatsächlich hat die gegenwärtige Bewegung wieder Aufmerksamkeit auf die Oñate-Statue gelenkt, und ein Demonstrant wurde kürzlich erschossen, als Aktivisten nahe der Statue protestierten. Als die Proteste nach dem Tod von Mr. Floyd weltweit nachhallten, wurden auch anderswo Parallelen zu lokalen Symbolen und Statuen gezogen. In Großbritannien verband sich der Widerstand mit einer anderen Kampagne, die ebenfalls 2015 ihren Ursprung hat – diesmal unter Studierenden aus Südafrika, unter dem Namen "Rhodes Must Fall". Die Kampagne war unter anderem von der Entfernung der Flagge in South Carolina inspiriert. Cecil Rhodes war der Kolonisierer, der das heutige Zimbabwe und Sambia für Großbritannien annektiert hat. Deshalb hießen die Kolonien Rhodesien, bevor sie ihre Unabhängigkeit wiedererlangten. Sambias Unabhängigkeitskampf war lang und schmerzvoll, aber gleichzeitig gewaltfrei. Zimbabwe musste dagegen einen ähnlich langen, aber gewaltvollen Guerilla-Krieg kämpfen, um unabhängig zu werden.
Und Rhodes wird weiterhin verehrt?
In Südafrika wurde Cecil Rhodes von der repressiven und rassistischen Weißen Minderheit gefeiert. Eine Universität und mehrere Monumente tragen seinen Namen. Studierende wollten seinen Namen entfernt sehen. Ihr Argument war, dass eine Nation oder ein Volk nicht frei sein könne, während sie ihre Kolonisierer wertschätzten und ehrten. Die dekolonialen Studierendenproteste waren ziemlich energisch und in gewisser Weise den Protesten der Schulkinder gegen das Apartheidsregime 1976 in Soweto sehr ähnlich. Sie haben öffentliche Monumente und Plätze ins Zentrum der Debatte über koloniale Geschichte und Symbolik gestellt. Rhodes wurde natürlich auch in seinem Heimatland Großbritannien gefeiert, besonders an der Universität Oxford, wo ihm zu Ehren eine Statue steht und ein weltbekanntes Stipendium nach ihm benannt ist. Nach den jüngsten Protesten hat die Universität endlich eingesehen, dass Rhodes nicht verehrt werden kann, ohne auch die Grausamkeiten und den Profit kolonialer Eroberungen gutzuheißen. Sie haben eingewilligt, die Statue zu entfernen. Aber die Kampagne hat sich in andere europäische Länder verbreitet und auf andere öffentliche Erinnerungsorte und Symbole ausgeweitet. Zum Bespiel Belgien, wo eine Statue des Königs Leopold II. aus dem öffentlichen Raum entfernt wurde.
Die derzeitige Eskalation überrascht sie offenbar nicht …
Nein, was die Proteste tun, ist, ein Schlaglicht auf gegenwärtige und historische Ungerechtigkeiten zu werfen. Dahinter steht die Frage, wem der öffentliche Raum gehört und welche Rolle Monumente an diesen Orten spielen. Was ich sehr interessant finde: Während Symbole für rassistische und koloniale Ungerechtigkeit überall in Ungnade fallen, haben wir in Gelsenkirchen eine bemerkenswert entgegengesetzte Situation gesehen.
Sie meinen die Lenin-Statue, die dort von der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschland (MLPD) aufgestellt wurde?
Ja, nach jahrelangem Widerstand des Stadtrats. Ohne, dass ich mich in dieser Sache auf eine Seite schlagen will, habe ich bereits früher gesagt, dass Lenin weder Sklavenbesitzer noch ein Befürworter der Sklaverei war. Als historische Figur kann Lenin also nicht in dieselbe Kategorie gesteckt werden wie die konföderierten Anführer in den USA oder Eroberer und Kolonisierer wie König Leopold oder Cecil Rhodes.
Wollen Sie damit sagen, dass Widerstand gegen die Lenin-Statue unangebracht ist? Auch mit seiner Person sind Gewalt und Unterdrückung verbunden.
Man könnte darüber lange diskutieren, aber letztlich geht es bei öffentlichen Statuen nicht nur um die Menschen, die sie repräsentieren. Sie rufen auch die Ideen und Ideale auf, für die diese Figuren stehen. Die Bolschewisten waren wahrlich keine Heiligen, so weit kann man die Vorstellungskraft gar nicht verrenken. Aber es ist wichtig, auch auf die Ideale zu schauen, für die sie gekämpft haben. Die Verteidigung von Arbeiterrechten ist der Verteidigung von Sklaverei und erzwungener, unbezahlter Arbeit entgegengesetzt. Sich für die Befreiung von Knechtschaft einzusetzen steht im Gegensatz dazu, einen Bürgerkrieg anzuzetteln, um Schwarze Menschen in grausamer Gefangenschaft zu halten. Verschiedene Figuren repräsentieren verschiedene Ideale, und es gibt Argumente für und gegen das öffentliche Gedenken daran.
Ihr Obelisk in Kassel zur Documenta 14 trägt den Titel “Fremdling und Flüchtlinge Monument“. Es stellt die Logik des öffentlichen Denkmals sozusagen auf den Kopf. Es ehrt die Schwachen, nicht die Mächtigen. War auch das ein Angriff auf Herrscher-Denkmäler?
Tatsächlich hat der Obelisk in Kassel einen anderen Pfad eingeschlagen als historische Obelisken. Gastfreundschaft statt Eroberung und Besatzung. Demütige Fürsorge statt Macht und Dominierung. Gemeinschaft statt Konflikt. Humanität statt Heldentum. Meine Arbeit im öffentlichen Raum in Bochum, "Appeal To The Youth Of All Nations" versucht dasselbe. Natürlich könnten wir mehr solcher Monumente gebrauchen: Monumente für humane Ideale, Monumente für positive Handlungsmacht statt undurchsichtiger und brutaler Autorität. Ich jedenfalls mache lieber solche Denkmäler. Interessanterweise passen einige der riesigen Murals zu Ehren von George Floyd genau auf diese Beschreibung. Denken Sie mal darüber nach: Genau wie der Typ, dessen Worte auf dem Obelisken stehen [Auf dem Obelisken steht das Jesus-Zitat: "Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt" in vier Sprachen, Anmerkung der Redaktion]. Floyd kam aus bescheidenen Verhältnissen und ist einen gewaltsamen Tod in den Händen der Staatsmacht gestorben. Trotzdem ist er nach seinem Tod ein Repräsentant von grundlegenden Idealen geworden: Gerechtigkeit, Anstand, Würde, Respekt vor unschuldigem Leben, Ende von Voreingenommenheit.
Können diese spontanen Monumente, wie sie jetzt überall entstehen, in einer kurzatmigen, ungeduldigen Öffentlichkeit langfristig etwas bewirken?
Ich würde sagen, dass der Schriftzug “Black Lives Matter”, den die Bürgermeisterin von Washington D.C., Muriel Bowser, auf einer Straße nahe des Weißen Hauses in Auftrag gegeben hat, einer der radikalsten Nutzungen von Graffiti und Straßenschildern in der Geschichte ist. Nicht unbedingt wegen des Slogans oder der Politik, sondern wegen der Form. Das Mural nutzt die aktive geschäftige Oberfläche der Straße in einem monumentalen Maßstab. Nicht der Seitenstreifen oder der Gehsteig, sondern die Straße selbst in einer gigantischen direkten Form. Natürlich gibt es dafür praktische Gründe. Muriel Bowser brauchte etwas, was über Nacht fertig sein konnte. Und jede andere Oberfläche, wie beispielsweise Wände, hätte einer präzisen Planung von Störung im öffentlichen Raum bedurft. Die Tatsache, dass der Schriftzug in vielen anderen Städten kopiert und adaptiert wurde, spricht für sich. Street Art und Beschilderungen sind für ihre Vertikalität bekannt, aber das D.C.-Werk hat symbolische Horizontalität in die Sprache der politischen Zeichen in der Stadt eingeführt. Es spiegelt die liegende, flache Position, in der George Floyd festgehalten wurde, auf die Straße gedrückt bis zu seinem letzten Atemzug. Es konterkariert die thronende Vertikalität der Statuen, die jetzt gestürzt werden, kontrolliert aber trotzdem den Boulevard.
Kann es so etwas wie ein bescheidenes Monument überhaupt geben? Sichtbarkeit ist immer eine Form von Macht.
Ich finde es zentral, dass das Straßen-Mural in Washington nicht in der Weise Platz verschlingt, wie es andere Monumente tun. Es war die Künstlerin Maya Lin, die die Sprache der Horizontalität in öffentlichen Monumenten wiederbelebt und sich unter anderem auf indigene Grabhügel bezogen hat. Aber ihr berühmtes Monument für die Vietnam-Veteranen in Washington verließ sich immer noch auf Vertikalität. Der aufrecht stehende Besucher ist überwältigt von der Struktur, dem Meer aus Text. Der "Black Lives Matter"-Schriftzug geht dagegen weiter. Man läuft auf ihm, man tritt darauf, man fährt auf ihm, man muss nicht ehrfürchtig davor stehen. Das ist auf positive Weise radikal.