Moses & Taps zählen zu den international bekanntesten Graffiti-Sprayern aus Deutschland, stellen aber auch in Galerien und Museen aus. Viele ihrer Arbeiten zählen zum Konzept-Graffiti, etwa wenn das Duo dezent vorhandene Zugdesigns verändert, in einer Zugtür eine Mauer baut ("The Wall") oder die Corporate-Identity-Farben – Gelb und Cyan – benutzt, statt des eigenen Writer-Namens.
Ihre neueste Publikation "Graffiti Avantgarde" widmet sich besonders den Werkserien, mit denen sie die Definition von Graffiti in Frage stellen und ad absurdum führen. Zu ihrer Einzelausstellung "BILDERMACHER™" in der Golden Hands Gallery in Hamburg sprachen wir mit Moses & Taps über ihre Arbeiten, die Probleme mit dem Kunstbegriff und ob sich Graffiti in einen White Cube übertragen lässt.
Moses & Taps, für mich ist "SHIMMS™ XX" das wichtigste Werk Ihrer Ausstellung. Eine bemalte, geknautschte PVC-Plane quillt dem Betrachter entgegen. Die Graffiti kann man hier nur erahnen, Malerei hingegen wird zum haptischen Konzentrat. Die Situation, in der sich das glänzende, fast fettig wirkende Plastik befindet, impliziert eine baldige Erleichterung, nämlich das Ausfahren des Bildes. Doch das wird nicht geschehen.
Moses: Eine potentielle Käuferin hat gesagt, dass sie die Arbeit später ausfahren wolle, um das Gemalte wieder sichtbar zu machen. Natürlich hat diese Interessentin die Arbeit nicht bekommen. Du kaufts dir doch auch keinen Perserteppich um ihn aufzuknüpfen und daraus Socken zu stricken! Bei "SHIMMS XX" geht’s gar nicht um das Gemalte, sondern um dessen Zustand. Draußen kommen diese Planen bei der Abdeckung bestimmter Güterwaggons zum Einsatz, eben den "Shimms", und im Normalzustand sieht man ungefiltert, was darauf gemalt worden ist. Beim Be- und Entladen werden die Planen aber, wie hier auch, komprimiert. Und obwohl so ein Weich-PVC ja erstmal kein klassischer Bildträger ist, zählt es genauso zu unseren alltäglichen Medien wie Aluminium, Stahl oder Glas.
Wie bei Zügen.
Taps: Es ist ja immer dasselbe Dilemma für Graffiti-Writer, die sowohl im öffentlichen als auch im Ausstellungsraum aktiv sind: Soll ich stumpf das, was ich draußen male, in der Galerie reproduzieren? Oder lieber irgendwas produzieren, das zwar kontextlos, aber schön anzusehen ist? Beides ist nicht unser Ansatz. Unsere Frage ist eigentlich immer: Wie transportieren wir das Gefühl vom Draußen ins Drinnen.
Moses: Es geht beim "Draußen" aber auch gar nicht nur um das Gemalte. Es passiert ja etwas mit den Bildern. Es wird geputzt, freigekratzt und überlackiert. Auf dem Güterzug wabbelt die Plane im Fahrtwind, dann wird sie mal gedehnt und mal gequetscht. Da entstehen neue Ergebnisse, die viel interessanter sind als das gemalte Bild. Hier haben wir einen Moment davon eingefroren.
Dieser technisierte Ablauf trägt zur Auseinandersetzung mit der Form und der Ästhetik bei, auch wenn er nicht mehr in euren Händen liegt, sondern von anderen Menschen gesteuert wird. Aber das ausgefaltete Bild existiert eben auch nur Draußen, wenn der Güterzug fährt. Daher ist es schon sehr auf den Punkt gebracht, wenn Sie das der Galerie-Ausstellung und einem Sammler verweigern. Man kann nicht alles haben, entweder (illegales) Graffiti oder Ausstellungs-Kunst. Eine andere Arbeit ist "JUDAS BRINGT DIE VIER SILBERLINGE ZURÜCK™". Es ist der vierteilige Nachbau des Einstiegsbereichs eines "Karlsruher Kopf Steuerwagens" der Deutschen Bundesbahn, auch als "Silberling" bekannt.
Moses: Ja, diese Waggons waren früher allgegenwärtig. Auf und mit den Silberlingen fing Graffiti in Deutschland und in den 90ern dann auch für uns an. Das ist in erster Linie also eine emotionale Arbeit; eine Zeitmaschine. Für die Arbeit haben wir das Farbspektrum und den Stil des Graffitis dieser Epoche übernommen. Und natürlich den Modellbau in Groß betrieben.
Modellbau ist auch eine romantisierende Geste. "JUDAS BRINGT DIE VIER SILBERLINGE ZURÜCK™" empfinde ich als romantische Arbeit. Sie erfüllt dem Liebhaber aber auch nicht jeden Wunsch, da Sie das Zugstück nicht mit Ihren international bekannten Throw-Ups – die in einem Rutsch gemalten, einfarbig gefüllten Graffiti, die wie aufgeblasen wirken – bemalt haben. Wären diese, quasi als Originale, darauf, würde sich das Werk stärker zu einem Fetischobjekt wandeln.
Moses: Und genau deswegen sind die beiden Graffitiausschnitte ja auch nur Platzhalter, deren Buchstaben ALI und AS ergeben zusammengenommen nur ein völlig austauschbares Pseudonym. Es geht bei dem Graffiti darauf also gar nicht um das Was, sondern um das Dass. Der Fokus liegt so auf den ganzen, viel interessanteren Effekten wie Farbabplatzer durch Regentropfen unter dem Bild, freigekratzten Fenstern, geputzten Wagennummern und so weiter. Unsere Throw-Ups kämen als vernachlässigbares Beiwerk da nicht in Frage, die sind zu dominant. Außerdem hat's die in der dargestellten Epoche gar nicht gegeben, und andererseits wäre das auch vorhersehbar billig. Wenn ich heute auf so einen Wagen stoßen und "nur" ein Throw-Up darauf malen würde, also da ginge ich weinend nach Hause und müsste mich schamerfüllt in die Badewanne setzen. Man muss seinen Untergrund auch würdigen.
Taps: Gerade weil der Nachbau so unglaublich detailverbissen ist, kann der Betrachter ihn nicht mehr erkennen. Er sieht schlicht einen Zug. Wenn du dir diese brachiale Arbeit dann von der Seite anguckst, siehst du das Volumen und erkennst, dass das eben doch kein schlichter Zug ist, sondern ein künstlicher Gegenstand an der Wand. Und dann wird es eben spannend. Draußen wird der Zug durch den Sprüher zum Malgrund degradiert und auf einmal, in der Galerie, wir er dann tatsächlich zum Fetisch aufgeladen und das Graffiti schrumpft zum Beiwerk. Dadurch, dass das Graffiti darauf schon angetastet ist und sich so nicht so sehr in den Vordergrund drängt, hinterfragst du es nicht mehr. Du akzeptierst Graffiti als Teil des Zuges.
Moses: Und jetzt stell dir das Ganze mit einem gelben Taps und einem blauen Moses Throw-Up darauf vor. Würde diese Geschichte funktionieren?
Das meine ich mit Fetischobjekt. Der Glaube an eine Aura-Übertragung, an einen fast heiligen Geist des Graffiti-Wesens im Werk, wäre zu groß.
Taps: Wobei einen guten Throw-Up zu entwickeln nicht einfach ist. Das ist eine harte Disziplin. Wir mussten die ja auch tausende Male wiederholen. Aber als Teil einer solchen Arbeit, wie auf einem Modell oder gar auf einer Leinwand, würden sich dann eben auch keine Fragen mehr stellen. Das wäre schnell fertiggedacht.
Moses: Das ist ja auch ein Unterschied von draußen und drinnen. Bei Draußen-Arbeiten fragt man sich doch immer auch, wie der Bildermacher das bewerkstelligt hat, was mag da wohl alles passiert sein? Bei einer Arbeit, die nur im Innenraum stattfindet, fehlt diese Frage vollkommen, die musst du anders aufladen. Jedenfalls kitzelt mich der Gedanke, wie der Künstler da barfuß in seinem Atelier sinniert hat, erstmal nicht sonderlich.
Die zwei Leinwände "IMAGE OF GRAFFITI TM™" erinnern mich sehr an Pop-Art. Ist das nicht ein eher gängiger Transformationsprozess?
Moses: Bei dieser Serie gibt es ja gar keinen Transformationsprozess zwischen draußen und drinnen, weil sie draußen eigentlich kaum stattgefunden hat. Der Grundgedanke dieser Werkserie ist gewesen, die Ästhetik unseres Graffitis zu nehmen und dem Betrachter ein Graffiti ohne Graffiti zu präsentieren. Eben das vorherrschende Image von Graffiti, dass in der Wahrnehmung vieler nur über verwobene Formen und Farbflächen besteht. Nicht jeder Betrachter hat damals begriffen, dass der Versuch, in so einer Arbeit einen Namen zu lesen, scheitern muss, weil da gar nichts steht. Relativ früh haben wir dann die rechteckige Grundform der klassischen Leinwand in der Serie zur shaped canvas entwickelt. Und bei diesen beiden Arbeiten entwickelte sich die Freiform der Leinwand wiederum zur Form von Buchstaben. Nicht rein zufällig eben TM. In so fern ist "IMAGE OF GRAFFITI TM™" auf jeden Fall Pop Art!
Taps: Wir haben es dann einmal anders herum versucht, also quasi von drinnen nach draußen: Auf einige Züge malten wir Bilder der Serie "IMAGE OF GRAFFITI™" und stellten fest, dass das für uns ästhetisch und inhaltlich nicht funktionierte. Auch so herum ist eine Eins-zu-Eins-Übertragung also problematisch – eine spannende Feststellung. Wir dachten vorher, dass wir zu dieser Leinwandserie eine Herleitung im Graffiti herstellen müssen, die wir dann nachträglich draußen aufmalen wollten. Aber uns wurde klar, dass die vermeintlich "fehlende" Herleitung schon da war, eben in so vielen unterschiedlichen Elementen unserer 25-jährigen Arbeit im Außenraum und zwar viel authentischer.
Wie kam es zum Ausstellungstitel "BILDERMACHER™"?
Taps: Wir spazierten durch Wien und haben die Leuchtreklame eines Fotostudios gesehen: "Bildermacher". Das empfanden wir als sehr pragmatisch und eine passende Bezeichnung für das, was wir sind. Auch als Verb. Das beschreibt unsere Tätigkeit, ohne sie zu adeln.
Moses: In unserem letzten Gespräch hatten Sie gefragt, ob wir uns als Künstler verstehen. Da sprachen wir schon über die "Gerichtsbarkeit der Kunstgelehrten" und wie wir uns dem Kunstbegriff und der Bezeichnung "Künstler" - am besten noch in Anführungsstrichen und mit einem "selbsternannt" davor - verweigern, weil wir darüber keine Deutungshoheit haben. Aber das Bildermachen kann bei uns keiner negieren. Wir machen Bilder. Für mich kann diese ganze Diskussion "Kunst oder Vandalismus" endlich beendet werden. Uns ist es sowieso egal, wir malen doch plötzlich nicht anders, nur weil jemand sagt, dass, das Kunst oder eben keine Kunst ist. Es hätte auf unsere Arbeit, ästhetisch wie inhaltlich, einfach keinen Einfluss. Die Frage "Was ist Kunst?" führt doch in eine lahme Diskussion bei der alles schon gesagt worden ist. Nur nicht von jedem.
Die Frage "Was ist Kunst?" stellt aber auch nur noch die Boulevardpresse. Ansonsten heißt es seit Nelson Goodman "Wann ist Kunst?". Der Kunstbegriff hat sich ja stetig verändert und sich im 20. Jahrhundert in einem schnellen Rhythmus geöffnet. Es ging über die Readymades, zur Outsider-Kunst, die soziale Plastik oder das stille Dasitzen von Marina Abramović. Und obwohl Graffiti mittlerweile, oft aus politischer Korrektheit, als Kunstgattung angesehen wird, ist es doch noch kein Teil der Hochkultur. Viele Kuratoren und Redaktionen bevorzugen dann hübsche, figürliche Bilder, die niedliche Kinder zeigen. Das sind willkommene Aufträge oder Bildstrecken für die Sommerpause.
Taps: Da sehe ich aber auch gerade die Kuratoren in der Pflicht, besser zu recherchieren, sich in das Thema Graffiti einzuarbeiten und nach inhaltlichen und nicht nur ästhetischen Kriterien auszuwählen. So wie sie das in anderen Bereichen schließlich auch machen.
Moses: Man möge uns doch zumindest den Gefallen tun und zwischen Street Art und Graffiti differenzieren. Inhaltlich haben Street Art und Graffiti erstmal nämlich nichts miteinander zu tun außer, dass beides im öffentlichen Raum stattfindet.
Das Kunsturteil, oder auch die Kunstkritik entwickelte sich durch Zeiten, in denen der Adel Kunstwerke für sich selbst in Auftrag gab und diese der Öffentlichkeit unzugänglich blieben. Durch die Kunstkritik sollte zumindest der intellektuelle Besitz über die Deutungshoheit verschoben werden. Graffiti entstehen sowieso draußen, für jeden sichtbar. Nachträglich tritt dann über Dritte eine Verwertungskette los, die meistens nichts mehr mit dem Kerngedanken zu tun hat. Daher ist es auch verständlich, hier eben nicht jede Deutungshoheit abgeben zu wollen.
Moses: Natürlich haben wir unsere ganz eigenen, persönlichen Ansätze beim Malen. Trotzdem darf und soll doch jeder Betrachter seine Interpretation finden. Wir wollen Fragen stellen, keine Antworten geben, weil eigentlich nur durch den Diskurs etwas Neues entstehen kann. Wir malen keine Propagandaplakate. Als wir zum Beispiel mit der "SPLASH™"-Serie angefangen haben, Sprühdosen aufzustechen, war einer der Ansätze, den materiellen Wert und die Unverletzlichkeit dieses für uns hochheiligen Werkzeugs in Frage zu stellen. Als dann Kritik à la "Das ist kein Graffiti mehr" kam, da wussten wir, dass wir genau die richtige Diskussion losgetreten hatten: Was ist Graffiti?
"Splashs" sind Ihre abstrakten Arbeiten, bei denen es keine Buchstaben, keine Konturen oder Hintergründe mehr gibt. Sie haben an der Definition des Graffiti-Begriffs extrem gerüttelt. Es hat aber auch dazu geführt, dass viele Ihrer Kritiker deswegen die Graffiti-Geschichte nach abstrakten Elementen, wie in den Hintergründen der Buchstaben, noch einmal neu untersucht haben. Diese wollten damit beweisen, dass es bereits Vorläufer gab. Damit haben Sie zu etwas sehr Wichtigem beigetragen: Eine veränderte Perspektive auf die stilistische Geschichte.
Moses: Für abstraktes Graffiti brauchte es in über 50 Jahren Writing nun wirklich kein MOSES & TAPS™. Guck dir Futura 2000s "Break"-Wholecar aus New York von 1980 an …
... Wholecar, ein Waggon, der ganzflächig von oben bis unten bemalt wurde ...
Moses: … oder den von Club of Rome aus München von – ich glaube – 1987. Aber: Diese Sachen kamen nicht ohne präsentable Signaturen aus. Natürlich kannst du jetzt verklären: "Der Hintergrund der Buchstaben entwickelte sich im Verlauf der Geschichte Graffitis zu einem immer zentraleren Bildelement …"
Taps: In dieser Logik wäre ein "SPLASH™" dann auch nur noch ein Buchstabenhintergrund ohne Buchstaben. Tatsächlich ist ein SPLASH™ ursprünglich aber ein gedachtes, vollständiges Graffiti mit Fill-In, Outlines, Hintergrund und so weiter, dem nur die akkurate Ausführung verweigert worden ist.
Sie sagten, dass die Graffiti-Kunst-Diskussion beendet werden solle. Wie sähe ein Ende aus?
Moses: Ein Wholecar auf dem steht "IRRELEVANT". Nachdem er am Bahnsteig zum Halten gekommen ist: Stille.