Interview mit Dimitri Hegemann

"Berlin hat Widerstandsfähigkeit in der DNA"

Dimitri Hegemann hat den legendären Berliner Club Tresor gegründet und zeigt nun Kunst an einer 90 Meter langen Wand in Mitte. Ein Gespräch über seine "wilde Galerie", sterbendes Nachtleben und die Resilienz der deutschen Hauptstadt
 

Dimitri Hegemann, der Fall der Mauer markierte vor 35 Jahren für Sie den Beginn einer neuen Ära. Heute nutzen Sie sozusagen Ihre eigene Mauer als Ausstellungsfläche. "Claim For Peace" zeigt Arbeiten der Künstlerin Kajika Aki an Ihrem "MegaFence" direkt an der Köpenicker Straße, vor dem Kraftwerk und dem Club Tresor. Wie kam es zu dieser Wahl, und welche Rolle spielt der Ort?

An unserem Standort in der Köpenicker Straße gibt es diese lange Wand, 90 Meter, ursprünglich gedacht als einfacher Schutzzaun. Aber warum sollte ein solcher Raum ungenutzt bleiben? Unsere Stiftung, die Tresor Foundation, hat beschlossen, daraus eine Ausstellungsfläche zu machen, eine Art "wilde Galerie", für alle jederzeit frei zugänglich. Kajika Aki, die aus Paris kommt, hat uns sofort überzeugt. Vor etwa drei Monaten bei einem Kurzfilmfestival in Belgrad sind wir über ihre Werke ins Gespräch gekommen, und dann hat es nicht lange gedauert, bis die Zusammenarbeit begann. Ihre Arbeiten sind sensibel und gleichzeitig intensiv und spiegeln etwas von dem wider, was wir auch in Berlin erleben: Zerstörung und Wiederaufbau. Diese Installation passt in eine Umgebung, die sich ständig wandelt – durch die Großbaustelle vor der Tür wird das Thema Veränderung umso greifbarer. Die Großbaustelle ist ja mittlerweile das Selbstporträt der Stadt. 

Planen Sie, solche Ausstellungen regelmäßig zu machen?

Ja, definitiv. Die Fläche "MegaFence" wird etwa drei bis vier Mal im Jahr kuratiert bespielt, und wir wollen bewusst eine Mischung zeigen: Etablierte Namen und Nachwuchskünstler. Wir haben vorher bereits "im Stillen" beziehungsweise ohne Ankündigung die Wand bespielt, beispielsweise in Kooperation mit dem C/O Berlin und mit Werken von Helmut Newton. Nun wollen wir das Ganze "offiziell" machen. Unsere Kooperationen mit Partnern wie der Plakatfirma erleichtern den technischen Teil, und die Auswahl folgt dem Prinzip: Welche Künstler können etwas zur Reflexion des Stadtraums beitragen?

Was hebt diese Form von Kunst im öffentlichen Raum für Sie besonders hervor?

Es ist die Leichtigkeit. Kunst passiert hier nicht im institutionellen Rahmen, sondern mitten im Leben, in Bewegung. Die Menschen gehen einfach daran vorbei – kein Eintritt, keine Öffnungszeiten. Genau das erinnert an das Prinzip "Kunst am Bau", wo man mit kleinen Mitteln große Statements im öffentlichen Raum setzen kann. 

Was unterscheidet die Idee "MegaFence" von "Kunst am Bau"-Projekten oder vergleichbaren Wandflächen? 

Das, was ich mit Leichtigkeit meine. Viele der institutionellen Kunstorte müssen konzeptionell eingebettet sein in kuratorische Leitlinien oder vor Förderern oder sonst wem gerechtfertigt werden. Das haben wir nicht. Das nächste Projekt an der MegaFence werden wir mit Miron Zownir realisieren, den wir durch die Galerie Bene Taschen kennengelernt haben. Diese Flexibilität und Offenheit ist uns wichtig. Impulse können von jedem und aus jeder Richtung kommen.

MegaFence ist ein Projekt der Tresor Foundation. Wie spiegelt das Projekt wider, wofür sich die Stiftung einsetzt?

Die Tresor Foundation wurde 2021 gegründet und verfolgt ein zentrales Ziel: Räume und Wissen für kreative, subkulturelle Projekte zu sichern und zu teilen. Es ist eine Reaktion auf Herausforderungen, mit denen Kulturschaffende konfrontiert sind – sei es, dass Clubs wegen hoher Mieten schließen oder Räume schlicht fehlen. "MegaFence" ist nur ein Beispiel dafür, wie wir Kultur an ungewöhnliche Orte bringen können. Ein anderes zentrales Projekt der Stiftung ist die Academy for Subcultural Understanding. In diesem Programm schulen wir junge Kreative aus ländlichen oder kleineren, städtischen Gebieten in den Grundlagen, wie man Orte der Nacht- und Subkultur aufbaut und betreibt. Der erste Jahrgang war klein, nur sechs Teilnehmer, aber enorm erfolgreich. Alle arbeiten jetzt an Projekten in ihren Heimatstädten, in Orten wie Erfurt oder Bremerhaven. Es geht darum, diese "kleinen Zellen" zu stärken, die lokale Subkultur zu fördern und sie auch als Bollwerk gegen rechtspopulistische Strömungen zu positionieren.

Die Nachtkultur Berlins, aber auch in ganz Deutschland, steht vor großen Herausforderungen. Immer mehr Clubs müssen schließen, wirtschaftliche Unsicherheiten nehmen zu. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Wir befinden uns in einer schwierigen Phase, keine Frage. Die Pandemie und steigende Kosten haben Lücken hinterlassen. Aber es gibt auch Hoffnung. Ich war zuletzt "anonym" zum 20-jährigen Jubiläum im Berghain. Manche Orte - wie eben das Berghain - ziehen nach wie vor Menschen aus der ganzen Welt an, und das aus gutem Grund: Diese Clubs bieten mehr als Musik; sie sind Räume für Gemeinschaft, für Freiheit. In einer globalisierten Welt sind solche Plätze wichtig. Dennoch, die Insolvenzwellen in der Clubszene lassen uns die Probleme spüren: Mietpreise, Planungssicherheit, fehlende Förderung. 

Haben Sie Vorschläge, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann?

Es braucht kreative Modelle und vor allem Engagement. Die Tresor Foundation versucht, solche Brücken zu bauen. Auch das Selbstbewusstsein muss sich ändern: Förderungen sind schön und gut, aber wirtschaftliche Unabhängigkeit und kluge Partnerschaften sind langfristig nachhaltiger. Gerade in der Nachtkultur- und Kunstszene hört man diese Wahrheit ungern, aber als Akteure müssen wir zunehmend wirtschaftlich denken. Das versuchen wir mit dem Kraftwerk: einen Raum zu bieten, der vor Immobilienspekulationen genauso sicher ist wie vor spontan wegfallenden Förderungen, so wie wir sie momentan krasser denn je erleben. Deshalb lassen wir hin und wieder Firmen aus der Industrie oder freien Wirtschaft Events im Kraftwerk durchführen. Die schließen hinter sich die Türen und stellen dann ein neues Modell von irgendwas vor, finanzieren so aber auch die anderen Aktivitäten gegen. Wir sind schon sehr anspruchsvoll, sind aber auch westlich, unangenehm und korrupt. Haha!

Es klingt, als würde das Kraftwerk schleichend zur Kunsthalle werden und sich neu erfinden. In einer Zeit, in der sich auch Berlin neu erfinden muss …

Wir bleiben ständig in Bewegung, ob damals mit dem Tresor oder später mit dem Atonal Festival. Seit der Gründung der Stiftung wieder besonders sichtbar. Und Berlin hat sich schon oft neu erfunden. Diese Stadt hat Widerstandsfähigkeit in ihrer DNA. Ob durch Räume wie das Kraftwerk, wo wir Kunst, Musik und Clubkultur verbinden, oder durch neue Ideen, wie "MegaFence" sie bietet: Es bleibt spannend, was wir hier gemeinsam schaffen können.