David Schnell, Sie sind Gründungsmitglied des Vereins Land in Sicht, einem Förderverein für Projekte, Initiativen und Einrichtungen im ländlichen Raum und kleineren Städten in Sachsen. Wen genau fördern Sie?
Wir fördern Initiativen, die durch kulturelle und soziale Arbeit für Weltoffenheit, für humane und demokratische Denkweisen und für ein Miteinander ohne Diskriminierung, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit eintreten. Das ist ein breites Spektrum. In erster Linie fördern wir Initiativen, die schon lange aktiv sind, seit Jahren die Fahne hochhalten und versuchen, etwas zu bewirken. Dazu gehören zum Beispiel der Kulturbahnhof in Markkleeberg bei Leipzig, das Treibhaus in Döbeln, InterKultur Delitzsch, die viel für und mit Geflüchteten machen, Agenda Alternativ aus Schwarzenberg im Erzgebirge, der Verein Augen auf aus Zittau, ein Kulturkino in Zwenkau, das Alternative Jugendzentrum in Chemnitz oder das Netzwerk für demokratische Kultur in Wurzen.
Wie sieht die Förderung aus?
Wir haben zum Jahresende 19 Initiativen, die wir im Zuge der Vereinsgründung und bei diversen Netzwerktreffen in Sachsen kennengelernt haben, jeweils 1.000 Euro zukommen lassen, auch um unseren Verein bei ihnen bekannt zu machen und mit ihnen in Kontakt zu treten. Beim Treibhaus in Döbeln haben wir ein konkretes Projekt gefördert, für das sie bei uns einen Antrag gestellt hatten. Wir unterstützen sie dabei, ihr Café in Kooperation mit Künstlern neu zu gestalten. Unsere Förderung stellt in dem Fall einen Zuschuss zum Eigenanteil dar, den Initiativen einbringen müssen, wenn sie öffentliche Förderung beantragen. Außerdem fördern wir das Projekt "Demokratie leben" des Vereins Trafo – Nachhaltigkeit in Bildung, der an Berufsschulen im ländlichen Raum durch Workshops zur Demokratiebildung beitragen will.
Wo können sich Initiativen informieren? Wie läuft die Antragsstellung?
Auf unserer Website stehen die Förderbedingungen und ein Antragsformular, an dem man sich orientieren kann. Zweimal im Jahr, im Mai und November, sind die Fristen für größere Anträge. Zudem haben wir die Option, mit einer Art Notgroschen auszuhelfen, etwa wenn kurzfristig der Raum für ein geplantes Projektes gekündigt wird oder Aktionen, wie eine Demo gegen rechts, anstehen. Dann können wir kurzfristig kleinere Beträge auszahlen.
Wie genau sieht der Bedarf der Initiativen aus? Wofür beantragen sie Geld?
Der Bedarf ist vielgestaltig und auch von den Vereinen selbst nicht immer leicht zu benennen. Bisher haben uns konkrete Anfragen erreicht, zur finanziellen Unterstützung von Kulturveranstaltungen sowie Projekten der politischen Bildung sowie zu einem zeitlich begrenzten Mietkostenzuschuss für Vereinsräume, in denen eine Veranstaltungsreihe innerhalb der Internationalen Wochen gegen Rassismus stattfinden sollte. Oft entstehen finanzielle Lücken in der alltäglichen Vereinsarbeit. Anders als die meisten öffentlichen Fördermittelgeber können wir viel freier über die Vergabe unserer Zuschüsse entscheiden. Bei den Initiativen, die wir unterstützen möchten, handelt es sich größtenteils um eingetragene und gemeinnützige Vereine, die für Veranstaltungen und Projekte öffentliche Gelder beantragen. Die Gefahr, dass bei einer verstärkten Regierungsbeteiligung der AfD, die eine eigene Vorstellung von Kulturpolitik hat, diesen kleineren, alternativen Initiativen die Gelder gekürzt oder Projektgelder nicht mehr bewilligt werden, ist sehr evident.
Gab es diesen Fall schon?
Die AfD hat im Stadtrat in Döbeln eine wichtige Rolle und hatte dem Treibhaus gegenüber den Verdacht der Linksextremität geäußert, um die Förderung einzustellen. Der Fall ging zum Glück glimpflich aus. Zudem besteht die Gefahr, dass auch kulturelle Initiativen von rechts nun um öffentliche Gelder in Konkurrenz treten. Die Initiativen, die wir fördern wollen, sind daher auf lange Sicht mehr und mehr auf alternative Finanzierungsmöglichkeiten, wie wir sie versuchen, zu entwickeln, angewiesen.
Wie viele Mitglieder hat der Verein derzeit?
Inzwischen gibt es 25 Vereinsmitglieder. Die Beiträge staffeln sich von 30 Euro über 120 Euro hin zu 240 Euro, wobei es jedem frei steht, soviel zu zahlen, wie er sich leisten kann. Je mehr Mitglieder wir haben, umso besser. Zum einen bekommen wir so mehr Input und Ideen, zum anderen hat man mit einer Mitgliederzahl von 50 oder 100 einfach ein anderes Standing.
Gab es eine Initialzündung, die den Anstoß zur Vereinsgründung gegeben hat?
Ich hatte mehrere solcher Momente in London, in Köln und in China. Vor zwei Jahren kam ich auf der Kunstmesse in Hongkong mit anderen Deutschen, die im Ausland leben, ins Gespräch. Wir kamen auch auf die politische Situation in Sachsen zu sprechen. Das war noch vor der Landtagswahl. Es war schon klar, dass die Gefahr, dass die AfD viele Sitze bekommt, sehr hoch ist. Ich wurde direkt gefragt: Was macht ihr vor Ort? Können wir etwas tun? Zu dem Zeitpunkt gab es den Verein noch nicht und in mir fing es an, zu rattern. Christoph Ruckhäberle fragte mich dann unabhängig von meinen Erfahrungen, ob wir uns treffen könnten, um über die aktuelle Lage zu sprechen, da auch er als Hochschulprofessor darüber besorgt war, inwieweit die AfD in Zukunft bei der Hochschul-und Kulturpolitik mitentscheiden könnte. Zu dieser Zeit erreichte eine erste Anfrage der AfD die Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, an der Christoph Professor ist und an der ich studiert habe. Die AfD fragte, wie viele Studierende mit Migrationshintergrund eingeschrieben sind. Das hat uns sehr beschäftigt.
Zu den Gründungsmitgliedern gehört auch Christan Seyde, der Galerist der Galerie Kleindienst, der sich im Sommer 2018 aufgrund öffentlicher Facebook-Posts vom Künstler Axel Krause getrennt hatte. Christoph Ruckhäberle, der ebenfalls von der Galerie vertreten wird, ist Gründungsmitglied. Welche Rolle spielte der Fall für Ihre Pläne?
Die Idee zur Vereinsgründung hatten wir schon, bevor die Diskussion um die Galerietrennung von Axel Krause und seine Teilnahme an der Leipziger Jahresausstellung 2019 medial hochkochte. Wir haben uns dann bewusst noch zurück gehalten, weil es nicht so rüberkommen sollte, als sei unser Verein eine direkte Reaktion darauf, dass ein Maler aus Leipzig rechte Tendenzen kund tut. Der Fall hat uns insofern bestärkt, weil klar wurde, in welche Bereiche rechtes Gedankengut schon vorgedrungen ist, eben in den Kunst- und Kulturbetrieb.
Sehen Sie Künstler in der Pflicht, sich gesellschaftlich zu engagieren?
Ich kann nur für mich sprechen: Ich hatte klar das Gefühl, etwas tun zu müssen. Mich zu engagieren, ist eine selbstverständliche Notwendigkeit, die mir vor zwei Jahren plötzlich klar geworden ist. Ich lebe seit über 25 Jahren in Leipzig, komme aus dem Raum Köln. Ich bin dort mit solchen Jugendzentren, die wir nun zum Teil unterstützen, aufgewachsen und sozialisiert.
Hatten diese Jugendzentren auch Einfluss auf Ihre Berufswahl, Sie darauf gebracht, Kunst zu studieren?
Sie haben mich sicher darin bestärkt. Im Umland von Köln gab es tolle Initiativen, die Konzerte veranstaltet haben. Allein das Design der Flyer, diese ganze Subkultur, das hat mich sehr inspiriert.
Schon jetzt haben sie über 19.000 Euro ausgezahlt. Woher kommt das Kapital des Vereins?
Wir Gründungsmitglieder haben privates Geld in den Fördertopf geworfen. Langfristig hoffen wir, durch weitere Mitglieder eine stabile Finanzierung zu haben. Und wir setzen natürlich auf Großspenden und führen dafür gerade viele Gespräche mit Leuten aus dem Kunst- und Kulturbetrieb, mit etablierten Künstlern, mit Sammlern, Galeristen und Architekten, mit Leuten, die für diese Form des Mäzenatentums zu begeistern sind. Wir versuchen ihnen klar zu machen, dass es in Sachsen viele Initiativen gibt, die Kulturarbeit leisten, die nicht nur eine politische Funktion haben, sondern die auch durch ihre Arbeit Leute inspirieren, Ideen geben und Kreativität fördern.
Es heißt immer, Sammler kaufen nicht nur Kunst, sondern interessieren sich auch für die Künstler, für deren Themen und Fragen, begleiten sie oft über Jahrzehnte auf ihrem Weg. Sie gehören zu den erfolgreichsten Leipziger Künstlern. Wie ist die Rückmeldung Ihrer Sammler?
Es gibt auf jeden Fall großes Interesse. Meine Galerie Eigen+Art spricht gerade meine wichtigsten Sammler gezielt auf die Initiative an. Kürzlich hatte ich eine große Ausstellung in den Niederlanden. Auch da habe ich mit vielen darüber sprechen können und sie mit Material versorgt.
Wie sorgen Sie für finanzielle Stabilität? Geben Sie nun jährlich eine feste Summe aus Ihren Kunstverkäufen in den Verein?
Ich kann und möchte jetzt keine konkrete Summe nennen, aber ich habe, wie auch andere Gründungsmitglieder, privates Geld in den ersten Fördertopf gegeben und werde dies jederzeit wieder tun, wenn wir sehen, dass wir den finanziellen Bedarf haben, weil es viele Projekte gibt, die wir fördern wollen. Nachdem in den letzten Monaten der Fokus unserer Arbeit darauf lag, in der Szene der Vereine und Initiativen bekannt zu werden, sind wir nun dabei zu schauen, wie wir unsere Finanzierung sichern und nachhaltig gestalten können. Auf längere Sicht sind wir auf Spenden angewiesen, um finanzielle Stabilität zu erlangen. Unser Verein steht noch ganz am Anfang und natürlich möchten wir auch durch Interviews wie dieses die Gelegenheit nutzen, Leser dazu zu animieren, zu spenden oder Mitglied bei uns zu werden.
Ist es denkbar, dass Sie nicht nur finanziell unterstützen, sondern auch durch Kunst, durch Ausstellungen oder Editionsmappen?
Bisher war das kein Thema, aber ich kann mir gut vorstellen, dass wir auf längere Sicht bei Veranstaltungen mit Kontakten, beispielsweise in die Musikwelt oder mit der Vermittlung von Lesungen oder ähnlichem unterstützen. Wir verstehen uns da durchaus auch als Plattform, die zwischen Künstlern und potenziellen Initiativen im ländlichen Raum vermitteln kann. Momentan konzentrieren wir uns allerdings auf den finanziellen Aspekt. Die Idee, Editionen zu gestalten und Künstler dazu einzuladen, steht im Raum.
Denken Sie angesichts der Corona-Krise über konkrete Hilfsmaßnahmen nach?
Zuletzt mussten unsere wöchentlichen Vorstandstreffen ausfallen. Grundsätzlich dürfen wir trotz der Krise das Thema nicht aus dem Blick verlieren, im Gegenteil. Möglicherweise gibt es in den kommenden Jahren weniger öffentliches Geld für Kultur und dann sind Vereine wie unserer gefragt.
Was läuft bisher richtig gut?
Wir haben jetzt viele Mitglieder, die auch zu unseren monatlichen Vereinssitzungen kommen und sich mit tollen Gesprächen und Ideen einbringen. Wir sind in der Szene jetzt relativ bekannt, bekommen viele Anträge, aber nicht so viele, dass wir überfordert sind. Die Anträge sind alle sehr fundiert, man spürt, wie professionell die Initiativen arbeiten. Bei unserer Gründungsveranstaltung waren auch einige Initiativen dabei, und es gab einen sehr offenen und bereichernden Austausch, aus dem auch die Initiativen viel mitgenommen haben. Dass wir auch das Netzwerk bereichern, freut uns.
Was läuft nicht gut? Welche Wünsche haben Sie an die sächsische Politik?
Weniger Bürokratie würde helfen. Das sagen auch die Initiativen. Oft hapert es an Kleinigkeiten und das große Ganze, die oft jahrelange Erfahrung der Initiativen wird nicht gesehen. Wir haben das auch erlebt: Wir alle sind sehr unerfahren mit dem deutschen Vereinswesen und haben lange für unsere Satzung gebraucht, die wir mit Hilfe eines Steuerberaters erstellt haben. Um die Allgemeinnützigkeit vom Finanzamt anerkannt zu bekomme, gilt es vieles zu beachten. Das Amtsgericht hat dann aufgrund eines banalen Formfehlers unseren Antrag abgelehnt, wir mussten eine neue Gründungssitzung einberufen. Das hat viel Zeit gebraucht. Das ist an Formalitäten gescheitert, die wirklich Quatsch sind. Zum Beispiel daran, wie wir unsere Mitglieder einladen: Wir hatten formuliert: "per E-Mail, Post und Facebook". Zulässig ist aber nur, eine Kommunikationsform anzugeben.
Es heißt immer, bürgerschaftliches Engagement müsse in den neuen Bundesländern noch wachsen. Teilen Sie diesen Eindruck?
Teils, teils. Es gibt ganz viel Eigenengagement. Ich treffe eher viele Leute, die ratlos sind, weil sie nicht wissen, wo sie sich engagieren sollen. Insofern ist unsere Initiative sicher doppelt sinnvoll.