Offenbacher HfG-Präsidentin Brigitte Franzen

"Alle Themen, die die Gesellschaft bewegen, bilden sich an einer Hochschule ab"

Die Kuratorin Brigitte Franzen ist neue Präsidentin der HfG Offenbach. Hier spricht sie über die politische Polarisierung an Universitäten, den Campus als "Safe Space" und das Verhältnis zur benachbarten Städelschule
 

Frau Franzen, Sie waren bislang als Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin, Stiftungsvorständin und zuletzt als Direktorin des Senckenberg Naturmuseums in Frankfurt am Main tätig. Was hat Sie zur Bewerbung um die Präsidentschaft der Hochschule für Gestaltung Offenbach bewogen?

Transdisziplinarität und Interdisziplinarität sind zentrale Themen für Hochschulen und Museen. Das hat mich damals motiviert, nach Frankfurt zu kommen, um das Senckenberg Museum neu zu denken. Und das hat mich auch zur Bewerbung um mein neues Amt motiviert: Weil ich die HfG als eine besonders offene Hochschule empfinde. Die beiden Fachbereiche Kunst und Design thematisieren Fragen, die mich in meinem Werdegang immer wieder begleitet haben und die per se zukunftsgerichtet sind. Eine weitere wichtige Motivation war die Arbeit mit und für die jüngere Generation, die hier studiert und ihre Zukunft vorbereitet und gestaltet. Zusammen mit meinen Erfahrungen aus Hochschulen, Museen, Kunstbetrieb und Stiftungen ist das passend.

An einigen deutschen Kunsthochschulen sind nach dem 7. Oktober 2023 die Auseinandersetzungen um die Haltung zum Nahostkonflikt eskaliert. Wie viel Raum darf Tagespolitik an einer Kunst- und Designhochschule einnehmen, und wie möchten Sie die Studierenden vor politischer Polarisierung bewahren?

Eine Hochschule wie unsere ist immer auch ein gesellschaftlicher und demokratischer Ort: Alle Themen, die die Gesellschaft bewegen, bilden sich hier in irgendeiner Weise ab. Menschen aus unterschiedlichen Hintergründen, Herkünften und Orientierungen nehmen am Hochschulleben teil. Wichtig ist, dass eine Diskussion respektvoll abläuft. In meiner Position muss ich dafür sorgen, dass eine konstruktive diskursive Atmosphäre entsteht und gelebt wird: eine Atmosphäre, die andere Einschätzungen toleriert und ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit und gegenseitigem Interesse nicht verlässt. Die inhaltliche Basis dafür ist an unserer Hochschule das Denken, Diskutieren und Machen von Kunst, Design, Theorie und Gesellschaft. Dazu gehört auch, wie sich Gesellschaft gestaltet oder gestaltet wird, und welche Einflüsse sich daraus auf Begriffe wie Freiheit, Politik, aber auch Material, Raum und Geschichte ergeben.

Welche Grenzen darf eine solche Diskussion nicht überschreiten?

Eine Grenze ist erreicht, wo andere nicht mehr sprechen können, wo es gegen eine bestimmte Gruppe geht, antidemokratisch, antisemitisch oder rassistisch wird und wo unreflektiert Parolen wiedergegeben werden, die keinen inhaltlichen und wissenschaftlichen Diskurs repräsentieren. 

Wie bewerten Sie die politische Relevanz von Kunst und Design, und wo können die beiden Felder voneinander lernen?

Kunst nimmt für sich, selbst wenn sie noch so sehr in die Gesellschaft hineinwirken möchte, ganz stark den Autonomiebegriff und den Freiheitsgedanken in Anspruch. Beim Design stellt sich wiederum die Frage, wie es sich in einer Demokratie positioniert – ohne allein an der Industrie oder an Auftraggebenden orientiert zu sein, sondern auch im Hinblick darauf, was Gesellschaften heute benötigen. Das, was die Kunst für sich beansprucht, einmal auch auf das Design zu projizieren und umgekehrt die Angewandtheit der Kunst zu diskutieren, ist eine spannende Möglichkeit; gerade auch vor dem Hintergrund, dass seit kurzem die berühmte Hoechster Porzellanmanufaktur Teil der Hochschule ist. Wir sind hiermit unter den Kunsthochschulen eine wirkliche Ausnahme, denn das uns anvertraute Unternehmen betrifft genau die oben genannten Fragen und bietet sich als Spielfeld an. Die Relevanz von Kunst und Design hat immer auch mit der Diskussion des jeweiligen Funktions-Begriffs zu tun.

Ihren Namen verdankt die Offenbacher Hochschule für Gestaltung einer Reminiszenz an die HfG Ulm und das Bauhaus. Wieviel bedeutet Ihnen dieses Erbe?

Die damit verbundene Botschaft, Kunst und Gestaltung als Teil der Gesellschaft – und auch die Kunst als Gestaltung – zu begreifen, ist mir wichtig. Und ich meine das nicht im Sinne von Zweckbezogenheit. Den Autonomiegedanken finde ich absolut wichtig und verteidigenswert. Interessant sind für mich vielmehr Akteurinnen und Akteure, die freie Kunst und Gestaltung gemacht haben – die sich also nicht gescheut haben, Grenzen zu überschreiten. Wir haben hier an der HfG kein Klassensystem, sondern Lehrgebiete: Man studiert hier relativ frei, orientiert sich an den persönlichen fachlichen Interessen und kann zwischen den Lehrgebieten unterwegs sein. Dieses Dazwischen finde ich sehr interessant. Kunst und Gesellschaft als Einheit zu denken, waren die Leitlinien von Bauhaus und Ulmer Hochschule. Für uns ist das eine relevante Orientierungsgröße. Dabei die Handwerklichkeit im Sinne eines neuen Materilitätsbegriffs im Blick zu behalten, verbindet uns außerdem mit den beiden berühmten Vorgängerinnen.

Die HfG Offenbach liegt abseits der großen Metropolen. Sehen Sie die Abgeschiedenheit und die Abwesenheit von Starprofessoren als Störfaktor oder Qualität?

Es ist typisch für Kunsthochschulen, dass sie nicht immer im Zentrum der großen Städte sind – denken Sie etwa an das legendäre Black Mountain College, das Pasadena Art Center oder die Glasgow School of Art. Davon hängt die Qualität oder das, was man inhaltlich zu bieten hat, nicht ab. Offenbach hat eine sehr interessante Lage, weil es im Rhein-Main-Gebiet angesiedelt ist und von allem profitiert, was Frankfurt auch hat. 

Tatsächlich?

Die Stadt ist eine internationale Stadt, sie bietet Industrie und Hafen, französisches Flair und raue Ecken und sogar noch einigermaßen verträgliche Mieten. All das braucht man, und das macht als Gesamtpaket die Anziehungskraft aus. Im Hochschulranking belegt die HfG einen sehr guten Platz: sowohl beim Lehrkörper, als auch bei den Themen, die angesprochen werden, und beim Output. Da gibt es keinen Grund, sich zu verstecken. Wir arbeiten derzeit auf einen Neubau hin, der 2030 fertig werden wird. Man kann an der HfG sowohl theoretisch als auch mit Praxisbezug promovieren. Wir sind also eine vollwertige, relativ große Kunstuniversität. "Who cares about stars?" würde ich am liebsten antworten. Es geht um die empathische Vermittlung von diskursiven, praktischen und theoretischen Fähigkeiten. Gute Profs kümmern sich. Denken Sie an Lehrerpersönlichkeiten wie Thomas Bayrle oder Hans Hoffmann. Legendäre Künstler:innen sind bei ihnen in die Ausbildung gegangen. Der eigene Ruhm stieg mit dem der Schüler:innen.

Die Städelschule im benachbarten Frankfurt am Main hat mit Barbara Clausen eine neue Leitung bekommen, die ihr Amt zeitgleich mit Ihnen angetreten hat. Wie möchten Sie das Verhältnis zu dieser weltweit renommierten Kunsthochschule gestalten?

Ganz offen natürlich. Wir haben uns erst kürzlich getroffen. Mit dem Architekturprojekt "The Frankfurt Prototype" gibt es gerade eine ganz aktuelle Verbindung. Studierende der Städelschule haben maßgeblich daran gearbeitet, zusammen mit einigen aus Afghanistan geflüchteten HfG-Studierenden. Es ist also eine kooperative Situation: Wir nehmen uns nichts gegenseitig, aber wir ergänzen uns auf eine sehr interessante und gute Art und Weise. Man kennt sich und mag sich. Ich möchte den Blick aber auch weiten: In Kassel gibt es eine weitere vom Land Hessen getragene Kunsthochschule, und auch die Kunsthochschule Mainz gehört zu unserem Einzugsgebiet. Wir brauchen und leben die Kooperation, ganz konkret etwa beim Plurale Festival (früher Festival der jungen Talente), das im kommenden Jahr in der Documenta-Halle in Kassel kooperative Arbeiten von Studierenden aus Offenbach, Mainz, Kassel und von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt präsentiert. 

Das maßgebliche Projekt ihres Vorgängers Bernd Kracke, der Hochschulneubau, soll bald auf der Offenbacher Hafeninsel errichtet werden. Groß angelegte Neubauprojekte stehen derweil als wenig nachhaltig in der Kritik. Stehen Sie vorbehaltlos zur geplanten Umsetzung des HfG-Neubaus?

Dieser Neubau ist für die HfG ein ganz wichtiges Projekt, und zwar in zweierlei Hinsicht. Einmal im Hinblick auf die Frage, wie man sich künftig selbst definiert und auch mit Blick auf die Sichtbarkeit. Äußerer und innerer Neubau geben sich die Hand. Der Architekturentwurf ist sehr intelligent konzipiert, und wir sind auch schon relativ weit fortgeschritten. Das Thema Nachhaltigkeit wird sicherlich noch eine größere Rolle spielen. 

Inwiefern?

Da gibt es schon jetzt interessante Ansätze: Der Bau wird ja zum Beispiel einen großen begrünten Innenhof haben, der nicht versiegelt, sondern so gestaltet wird, dass da eine für alle Lebewesen attraktive Fläche entsteht. Die Architektur von XDGA und Topotek ist sehr flexibel und offen. Die Fragen nach der konkreten Detaillierung umfassen auch regenerative Materialien. Der Neubau wird sehr qualitätvolle räumliche Bedingungen gerade für die Studierenden schaffen, mit großen freien Ateliers und tollen Werkstätten zum Beispiel. Und er bedeutet auch eine soziale Nachhaltigkeit für das Miteinander aller Hochschulangehörigen und für das Lernen und Forschen. Das Konzept sieht eine Verschränkung aller Funktionsbereiche vor, darüber hinaus Ausstellungsflächen und ein Wohnhaus für Studierende. 

"Safe Space" oder Showroom: Welche Rolle sollte eine Kunst- und Designhochschule einnehmen, um den Studierenden optimale Entwicklungsspielräume und eine gute Sichtbarkeit zu gewähren?

Sichtbarkeit wird für eine Hochschule immer wichtiger, denn wir wollen ja Studierende anziehen, und die Studierenden wollen zeigen, was sie tun. Gleichzeitig muss eine Hochschule immer auch ein "Safe Space" sein, ein Ort des Probierens, des Testens und Experimentierens. Scheitern und Erfolg sind beide wichtig – es geht vielmehr um eine freie Plattform für das Austesten und Weiterentwickeln von Ideen und Dingen. 

Warum sollte die Kunst- und Designwelt in den kommenden Jahren nach Offenbach schauen?

Weil hier die experimentierfreudigsten Köpfe der Zukunft ausgebildet werden, die es gewohnt sind, Dinge in Frage zu stellen, ungewöhnliche Themen aufzugreifen und sich etwas zu trauen. Und weil wir das an einem der für Deutschland repräsentativsten Orte, nämlich in Offenbach, tun.