Interdisziplinäres Festival zu Restitutionen

"Es gibt keine offene und freie Diskussion zu diesem Thema"

"BLACK LAND, RED LAND - RESTITUTE"
Foto: Lutz Knospe

Yara Mekawei Nefertiti "Black Land" 2022

Zwischen den Jahren findet in Berlin das interdisziplinäres Festival "Black Land, Red Land – Restitute" statt. Bis zum 28. Dezember sind im Silent Green, dem Kunstquartier Bethanien, dem Palais am Festungsgraben, sowie im öffentlichen Raum Performances, Diskussionen, Interventionen zu sehen, die sich kritisch mit musealen Artefakten auseinandersetzen. Ein Gespräch mit Künstlerin und Kuratorin Elena Sinanina

Elena Sinanina, wie entwickelte sich die Idee zu dem Festival?

Das Projekt "BLACK LAND" ist 2022 in der Zusammenarbeit mit einem Team von international Künstler*innen, Wissenschaftler*innen aus Ägypten, aus Deutschland und aus anderen Ländern entstanden. Es fand als Kooperation mit der Kuratorin Verena Lepper und dem Ägyptischen Museum und Papyrussammlung der Staatlichen Museen in Berlin statt. Das Projekt beschäftigte sich mit den Bedeutungsdimensionen und Provenienzen altägyptischer Artefakte, die sich in den Sammlungen oder den Besitzen des Museums befinden. In dieser künstlerischen Auseinandersetzung haben wir verschiedene interdisziplinäre Beiträge und künstlerische Arbeiten entwickelt, Installationen und Performances. In dem diesjährigen Festival "BLACK LAND, RED LAND -RESTITUTE" geht es darum, die verschiedenen Erfahrungen mit dem Material weiterzuentwickeln und uns vor allem diese Fragen zu stellen, die wir im letztjährigen Projekt nicht ausführlich stellen konnten, also die nach Herkünften dieser Objekte, nach Besitzverhältnissen, nach Dominanz-Verhältnissen, nach Zugängen, nach Exklusionen und der Frage, wer bestimmt über diese Zugänge, wer entscheidet, welche Bedeutungen zu den Artefakten zirkulieren, wer verfügt über Zugänge? Und wie lässt sich das auf die koloniale Vergangenheit beziehen? Und was sind die postkolonialen Gründe und die Limitierungen, innerhalb derer wir uns als künstlerisches Team bewegen müssen?

Es geht also um eine postkoloniale Kritik an Museen?

Wir setzen die künstlerische Arbeit an Artefakten und den Narrativen um sie herum fort, und widmen uns auch den Mythologien, die um sie herum konstruiert wurden. In europäischen, universalistischen Museen ist die institutionelle, staatliche Perspektive entscheidend. Wir nähern uns mit dem Festival in wissenschaftlichen Beiträgen der postkolonialen Kritik an den so genannten musealen Sammlungen und dem Thema Restitution. Neben dem Ägyptischen Museum in Berlin und seinen "Besitzen" ist auch das Museo Egizio in Turin mit einem Forschungsschwerpunkt dabei. Eine Reihe von Arbeiten beschäftigt sich mit der Statue der Göttin Sachmet und der Frage nach dem "originalen" Artefakt, beziehungsweise der Frage nach dem Festhalten an den sogenannten Originalen als Bestandteilen musealer Sammlungen. Und natürlich sprechen wir auch über Nofretete, weil dies ein wichtiges Thema für Berlin ist und wir auch Positionen eingeladen haben, wie die Ägyptologin Monica Hanna, die sich langjährig mit der möglichen Rückführung von Nofretete beschäftigt.

Soll Nofrete zurück nach Ägypten?

Das ist natürlich  eine vielschichtige Diskussion. Und was ich aus künstlerisch-kuratorischer Perspektive versuche, ist, der Komplexität der Fragestellung gerecht zu werden. Als wir mit unserem Team, zu dem Yunus Ersoy, aber auch am Festival Beteiligte wie der Sozialwissenschaftler Fazil Moradi gehören, begannen, uns diesen Institutionen und ihren Argumentationsmustern zu nähern, musste ich feststellen: Je mehr wir uns damit beschäftigen, desto weniger verstand ich von den sogenannten Argumentationen und Begründungszusammenhängen, und von dem, was vielleicht verschleiert oder verleugnet werden soll. Und man müsste sich fragen, warum das eigentlich noch notwendig ist im Jahr 2023, in einer Stadt wie Berlin, die eigentlich einen diversen und internationalen Anspruch hat.

Was sind Highlights des Festivals?

Wir haben versucht, möglichst verschiedene Positionen und unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema zu integrieren und weniger in Highlights gedacht. Am Donnerstag haben wir diskursiven Teils mit Fazil Moradi, Monica Hanna und Sarah Imani eröffnet zum Thema der postkolonialen Kritik, aber auch zu den Verflechtungen von Recht und Restitution oder der Frage, wie Restitution und Menschenrechte aus rechtlicher Perspektive zu bewerten sind. .

Und es gibt eine Trauerfeier für eine Mumie, was ist da los?

Die Objektifizierung und Verdinglichung ist etwas, was wir aufgegriffen haben in dem "ÄM 53"-Gedenken, ein Projekt, das als Plakatkampagne in Berlin zu sehen ist. "ÄM 53" – hinter diesem Inventarnummer verbirgt sich ein Mensch. Der Name verweist auf das System, das sich den Menschen einverleibt hat. Pa-es-tenfi soll sein Name gewesen sein, ein Priester aus der altägyptischen Stadt Theben, dem heutigen Karnak in Luxor. Und ich habe mich gefragt: Wie kann ich mich zu diesem Menschen, der vor zweieinhalbtausend Jahren gelebt hat, in ein Verhältnis setzen? Seine Geschichte wurde unzugänglich gemacht und entstellt durch die Art und Weise, wie das Wissen um seine Person organisiert wurde. Ich kann nicht an den Menschen denken, ohne die Institution mit zu bedenken, die ihn eingenommen hat. Und ich frage mich, an was erinnern wir uns, wenn wir die Inventarnummern nennen? "ÄM 53" ist nicht zugänglich, also weder auf einer diskursiven noch auf einer phänomenologischen, noch auf einer realen Ebene, er ist eingeschlossen in einem Depot. Das Museum verfügt darüber, wer Zugang zu ihm hat und wer nicht. Das Museum definiert Kriterien, nach denen sich dieser Zugang gestaltet. Das Museum definiert ein Set an Regeln. Das Museum definiert Bewertungskriterien, nach denen es die Interessen sortiert. Kritische Fragen werden neutralisiert, indem sie in die Kategorie der sogenannten Ethik überführt werden. Also mit diesem System haben wir es zu tun, wenn wir "ÄM 53" gedenken wollen. Und die Plakatkampagne ist der Versuch, das öffentlich und darstellbar zu machen. Und wir haben weiteres Informationsmaterial dazu auf unserer Website zur Verfügung gestellt.

Sie habt aber nicht vor, die Mumie zu befreien?

Das wäre die Frage, was die Befreiung sein könnte, eines Menschen, der entfernt wurde aus seiner Grabstätte. Der entkoppelt ist von den Bezügen, in denen er gelebt hat.

Gibt es eine Zielstellung dieses Festivals? Außer in die Diskussion zu kommen?

Wir haben die ganz konkrete Erfahrung gemacht, dass es Grenzen gibt dessen, was sagbar ist. Das ist auch eine Frage von Machtstrukturen und Herschaftsverhältnissen. Es gibt keine offene und freie Diskussion zu diesem Thema, das ist zumindest unser Eindruck.

Weil die Diskussion um Besitz und Rückführung auch ein außenpolitisches Werkzeug ist?

Richtig. Und wir sind interessiert an einem offenen Austausch und auch interessiert, Positionen mit einzubeziehen, die vielleicht keine Plattform haben in institutionellen Zusammenhängen. Und ich glaube daran, dass Erkenntnis auch Taten nach sich ziehen kann. Ich denke nicht, dass Diskussionen folgenlos bleiben, das werden sicherlich auch die nächsten Jahre zeigen.