Insta-Watchlist: Thomas Webb

"Ich lese Menschen wie Computerprogramme"

In unserer Reihe "Insta-Watchlist" stellen wir Künstler vor, die uns auf Instagram aufgefallen sind. Thomas Webb hat Tweets über psychische Krankheiten in Kunst verwandelt. Ein Gespräch über den Umgang mit Depressionen in sozialen Medien

Thomas Webb, in Ihrer Bio auf Instagram steht "I use code to express myself". Wie funktioniert das?

Das habe ich von meinem Freund Marcelo Armendariz gestohlen, der sagte: "Ich nutze die Programmiersprache, um mich auszudrücken."  Die Welt ist für mich ein riesiges Computerprogramm. Das klingt jetzt verrückt, aber ich lese Menschen wie Programme. Wir werden von Variablen bestimmt, die sich auf unser Leben auswirken und unser Verhalten und unsere täglichen Routinen beeinflussen. Wir abonnieren Programme, Clubs, Unternehmen, Jobs, Fitnessstudios, YouTube und Menschen in den sozialen Medien. Wir stellen alle diese Daten online, in den meisten Fällen sind sie via einer API frei zugänglich. Als Computerprogrammierer habe ich nur eine Möglichkeit auszudrücken, wie ich die Welt erfahre und das heißt für mich, die Welt in Echtzeit mit meinen eigenen Algorithmen zu reflektieren, die mit diesen Informationen arbeiten.

Wie beschreiben Sie Ihre Kunst in einem Satz?

Geister des Lichts und der Tiefe in unseren vier Dimensionen. 

Sie haben gerade mit einer Arbeit über Depressionen den Ashurst Emerging Artist Prize verliehen bekommen. Warum haben Sie sich für dieses Thema entschieden?

Die Arbeit ist entstanden, als ich mit Antidepressiva experimentierte. Ich hatte Angst, online ehrlich und offen über meine psychische Gesundheit zu sprechen. Deshalb habe ich darüber anonym auf "Reddit" geschrieben. "Reddit" ist natürlich nicht der Ort, an dem man Empathie bekommt. Auf Twitter stieß ich dann auf die Depressions-Community und war schockiert: Gefühlt drei Leute pro Sekunde schreiben über ihren Kampf gegen Depressionen. Aber auch Twitter ist nicht der Ort, um sich über solche Themen auszutauschen. Twitter ist ein Unternehmen mit einem Fokus auf Engagement. Mit Tweets über Depressionen kommen tausende andere Menschen in Berührung, die auf der Suche nach Ablenkung sind. Ich habe also ein erweitertes Filtersystem mit Stimmungsanalyse und der Twitter-API erstellt, um alles zu entfernen, was ich nicht sehen wollte.

Ich habe meine Idee von "Reddit" umgesetzt: Das Ausblenden des Namens, des Profilbildes und der Metadaten. Es blieb nur noch der Text des Tweets. Ich wollte den Schmerz der Menschen teilen, nicht über sie urteilen – über ihre Followerzahl oder ihren Einfluss. Wenn sie ihren Tweet abgesendet haben, war ich durch mein Programm nur Millisekunden von ihnen entfernt. Es war, als ob ich ihnen zuhörte, aber nicht so wie Twitter wollte, dass ich sie höre, sondern wie ich es wollte. Ich habe diese Arbeit für mich gemacht, damit ich mich in den sozialen Medien, die bei so vielen Menschen diese gesundheitlichen Probleme auslösen, weniger allein fühle. Ich habe also ein soziales Netzwerk auseinander genommen und für mich neu aufgebaut.

Soziale Medien und Depressionen scheinen Gegensätze zu sein. Auf Instagram werden perfekte Bilder von perfekten Leben geteilt. Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, sich mit psychischer Gesundheit in den sozialen Medien zu befassen? 

Das ist ein hartes Thema für mich. Ich habe viel Gegenwind von meinem Vater bekommen. Er mag es nicht, dass ich offen über Depressionen spreche. Manchmal sagt er, dass er nicht glaubt, dass meine Depression real ist. Er sagt, es sei ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Vor dem Opening meiner ersten Ausstellung habe ich ein Video von mir über meinen emotionalen Zusammenbruch gepostet. Er konfrontiert mich damit immer wieder. Er hat natürlich Recht, es ist ein Schrei. Aber die Aufmerksamkeit, die ich bekomme, zielt auf einen Dialog über psychische Gesundheit ab.

Ist Instagram für Sie als Künstler wichtig, um ins Gespräch zu kommen?

Instagram ist ein Werkzeug für soziale Anerkennung. Meine Arbeit sieht schrecklich auf Instagram aus, ich mache keine Kunst für Instagram. Über die sozialen Medien mache ich Menschen auf meine Ausstellungen aufmerksam, das ist alles, das ist mir wichtig.

Sie arbeiten viel mit Marken wie Mercedes Benz und Valentino zusammen. Ist Ihr Ansatz ein anderer, wenn Sie mit einem Unternehmen arbeiten?

Künstler, die mit Marken arbeiten, stehen oft in der Kritik. Ich arbeite härter, wenn es um eine Kollaboration geht. Das klingt jetzt vielleicht verrückt, aber vergessen Sie einmal das Wort Marke. Tausende von hochqualifizierten Menschen kommen zusammen, um etwas so Mächtiges zu schaffen, das von Menschen auf der ganzen Welt angenommen, verwendet und geliebt wird. Wenn ich mit einer Marke arbeite, kann ich experimentieren. Wie kann ich ein Kunstwerk über ein Elektroauto machen, wenn ich mich damit nicht sonderlich gut auskenne? Ich treffe mich dann mit Ingenieuren, um die Mechanik, die KI und die verschiedenen Prozesse zu verstehen.

Worauf achten Marken, wenn sie mit Ihnen arbeiten?

Marken arbeiten mit mir, weil ich authentisch bin. Mit Technologie kenne ich mich bestens aus. Ich schaffe neue Ansätze, wie wir Kunst im digitalen Zeitalter sehen und erleben können. Der Betrachter kann in meine Arbeit eintauchen, statt sie einfach nur anzuschauen. Das ist es, was Marken brauchen: eine immersive Erfahrung, die Interaktion, authentische Nutzung und ein Verständnis von Technologie auslöst. Wir befinden uns in einem neuen Zeitalter. Ich versuche, eine neue Herangehensweise an Kunst voranzutreiben, die Technologie nicht als Gimmick versteht, sondern als Mittel, um eine reflektiertere Beobachtung des zeitgenössischen Lebens zu ermöglichen.

Warum ist es heute üblich, dass Marken mit Künstlern zusammenarbeiten, die in den sozialen Medien zu Hause sind?

So üblich ist das noch nicht, aber es ist ein logischer Schritt. Künstler entwickeln neue Wege, digitale oder Echtzeit-Kunstwerke zu zeigen. Marken arbeiten vielleicht auch lieber mit einem Individuum als mit einem riesigen Produktionsteam. Marken müssen heute keine großen Projektions-Mapping-Installationen und umfangreichen LED-Videowände mehr produzieren. Sie können mit Künstlern arbeiten, die tagtäglich mit Technologie zu tun haben und die Technologie bereits gebaut haben.

Welchen Künstlern sollten wir alle auf Instagram folgen?

Wann immer diese Jungs posten, werde ich neugierig:

@taborrobak

@jonaslund

@danielcanogar