Insta-Watchlist Emma Stern

"Auch Fantasiewesen haben Alltagsprobleme"

Emma Stern lässt sich für ihre Malerei, Skulpturen und digitale Kunst von Cartoons, Anime und Fantasy inspirieren und schafft Fabelwesen, mit denen sie reale Erfahrung spiegelt. Jetzt steigt die US-Künstlerin auch in der Welt der NFTs ein

Das Erste, was man bei Ihnen auf Instagram liest, ist: "like my pics or I’ll kill myself." Das klingt auf den ersten Blick dramatisch.

Der Satz geht auf eine Zeile zurück, die mal in meiner Bio einer Dating-App stand: "swipe right or I’ll kill myself." Natürlich liest sich das respektlos. Das ist aber einfach meine Art zu sagen: Ich nehme mich selbst nicht so ernst, aber warte, Instagram ist mein Leben, ich nehme das doch ernst.

Sie arbeiten in den unterschiedlichsten Medien: Malerei, Skulptur, digitale Kunst. Was ist Ihr Steckenpferd? Und denken Sie überhaupt in diesen Kategorien?

Ich bin Malerin. Aber um meine Kompositionen zu erarbeiten, nutze ich Software. Meine Modelle erschaffe ich auch selbst. Ich habe gefühlt unendlich viele Entwürfe – Modelle, Hintergründe, Kompositionen –, aus denen Gemälde wurden. Ich habe eine wiederkehrende Besetzung, Bildpersonal, das immer wieder auftaucht. Das ist meine Girl-Gang. Es ist wie bei einem Modell, mit dem ich immer wieder arbeiten würde, ich lerne mit der Zeit ihre Persönlichkeit kennen. Die Figuren, die ich erschaffe, sind erweiterte Selbstporträts, ich vergleiche sie mit Avataren, die Facetten meiner Persönlichkeit zeigen. Es gibt Elfen, Zentauren und Engel, ich mixe Cartoons, Anime und Fantasy auf der Leinwand. Ich versuche aber nicht, Menschen darzustellen. Fleisch, Knochen, Blut, das gibt es alles nicht, damit keine Missverständnisse aufkommen.

Sie sprechen von Figuren, Modellen und Ihrer Girl-Gang. Wie sind die Reaktionen auf Ihre sexuell aufgeladenen Bilder?

Dafür werde ich natürlich gelegentlich kritisiert. Die Bilder seien zu sexuell, die Frauen auf den Bildern seien sehr jung. Das greift dann doch etwas kurz. Wie lange haben Männer Frauen und besonders junge Frauen nackt fotografiert und gemalt? Ich als Frau werde jetzt dafür kritisiert, dass ich meine Erfahrungen auf der Leinwand reflektiere. Ich erinnere mich zurück an meine Teenager-Zeit, verarbeite Erinnerungen und Gefühle. Damit können sich viele Frauen identifizieren, wir alle machen ähnliche Erfahrungen als Teenagerinnen, einige von uns sind davon traumatisiert. Wen wollen die Kritiker:innen beschützen? Frauen? Diese Art von Kritik lässt sich schnell aushebeln.

Erzählen Ihre Gemälde Geschichten?

Ich denke in Kurzgeschichten. Das Gemälde erzählt einen Auszug aus dieser Geschichte, was davor und danach passiert, überlasse ich der Imagination der Betrachter:innen. Ich aktiviere die Phantasie, ohne dabei Vorgaben zu machen.


Lassen Sie uns ein Gemälde zusammen anschauen. Wie wäre es mit "Horse Girls"?

Dieser Figur habe ich den Namen Kimly gegeben. Zentauren, Mischwesen aus Mensch und Pferd, sind mir so oft auf Message Boards begegnet, dass ich meine eigene Geschichte erzählen wollte. Zentauren sind normalerweise männlich, es sind Wesen aus der Mythologie. Wie sieht eine zeitgenössische und sexy Version aus, ein modernes Mädchen, habe ich mich gefragt. Ich habe also erst einmal den historischen Rahmen entfernt und sie in eine Alltagsumgebung gestellt. Sie trägt einen Regenschirm, es ist ein verregneter Tag, sie hat schlechte Laune. Sie hat ganz normale Mädchenprobleme und keine Zentaurenprobleme. In meiner aktuellen Serie geht es genau darum, Fantasiewesen haben Alltagsprobleme. Eine Elfenprinzessin schrubbt beispielsweise einen Badezimmerboden.

Spielt in Ihr Storytelling auch Ihr Pseudonym Lava Baby hinein?

Ach, das ist ein Spitzname, den mir mal jemand gegeben hat. Leute wollen mich heute immer noch so ansprechen, darauf springe ich aber nicht an. (lacht) Als ich angefangen habe, mich mit 3D-Modellen zu befassen, die ja nicht aus Fleisch und Blut gemacht sind, fragte ich mich: Aus welchem Material sind diese Wesen geformt? Aus so etwas wie digitalem Ton? Lava scheint mir naheliegender zu sein, es ist schimmerndes Material. Und die Figuren, die ich erschaffen habe, nannte ich folglich Lava Babies. So nenne ich sie heute immer noch. Auf meinen Instagram-Account teile ich zwischendurch immer wieder Selfies von mir. Sehen die Figuren aus wie ich oder gleich ich mich meinen Lava Babies an?

Wenn man sich Ihr Bildpersonal anschaut, kommen einem die Wesen und ihre Ästhetik bekannt vor.

Das stimmt. Es gibt eine 3D-Fetisch-Community, die hat aber nicht viel mit Kunst zu tun. Als ich angefangen habe, mit 3D-Modellen zu arbeiten, habe ich mir Modelle aus dem Internet heruntergeladen, die jemand zur freien Nutzung zur Verfügung gestellt hat. Als dann die erste Ausstellung anstand, habe ich die Person per Mail kontaktiert, um Bescheid zu sagen. Eine Nachricht habe ich nie bekommen. Ich sammle viel Material im Netz und eigne mir visuelles Vokabular an. Wenn ich diese Elemente auf der Leinwand zusammenbringe und die Bilder an die Wand in einer Galerie hänge, entsteht ein neuer Kontext. Mittlerweile habe ich einen Weg gefunden, auch meine digitalen Entwürfe in einem neuen Kontext zu präsentieren. NFTs sind für mich eine Möglichkeit, diese Entwürfe als eigenständige Arbeiten zu veröffentlichen. In einigen Fällen ist nur das Licht ein wenig anders, oder beispielsweise die Farbe. Ich stehe aber noch ganz am Anfang meiner NFT-Reise.

Jetzt müssen wir erklären, was NFTs sind. NFT steht für non-fungible Token. Kurz gesagt sind NFTs all das, was man digital besitzen kann, Bilder, Videos, Musik, Collectibles. NFTs sind gerade das Hype-Thema, weil ständig Auktionsrekorde erzielt werden bei den Verkäufen auf den großen Marketplaces wie Nifty Gateway und SuperRare. Und weil natürlich Christie’s in einer Online-Auktion seit 25. Februar erstmals ein NFT versteigert hat, nämlich eine Collage von Beeple bestehend aus 5.000 Einzelbildern.

Genau. Ich befasse mich schon etwas länger mit NFTs, weil mich vor einigen Jahren ein Startup kontaktiert hat, das es mittlerweile nicht mehr gibt. Ich habe damals nicht viel von Blockchain und Kryptowährung verstanden. Sie sagten zu mir: Gib uns digitale Kunst und wir machen den Rest. Das war meine erste Berührung mit NFTs. Später hat mich Lindsay Howard kontaktiert, die ich als Kuratorin aus New York kannte und die jetzt Head of Community bei der NFT-Plattform Foundation ist. Ich habe ihr eine virtuelle Skulptur von mir gegeben, die ich vergangenes Jahr auf Foundation gedropt habe. Aktuell habe ich eine digitale Version eines Gemäldes von mir auf dem NFT-Marketplace SuperRare gedropt.

 


Warum, denken Sie, ist das Interesse an NFTs so groß?

Menschen, die sonst nicht an Kunst interessiert sind, finden so einen Zugang zur Kunst. Das ist ein neues Publikum für mich. Ich kenne Sammler:innen, die kaufen sich extra neue Screens für Ihre Wohnungen und zeigen darauf digitale Kunst. Das ist wie mit Pokemon-Karten, die kauft man ja auch nicht, um sie an die Wand zu hängen. Man sammelt, man tauscht, die Karten werden wertvoller mit der Zeit. Das ist jetzt vielleicht die erwachsene Version von solch einer Sammelleidenschaft. Ich kann im Digitalen Skulpturen in Dimensionen erschaffen, wie ich es im realen Raum nicht könnte. Gerade entwickelt sich das alles. Wenn ich in die Zukunft schaue, sind NFTs und digitale Kunst, was mich am meisten fasziniert.