Was Regisseur Jan Bonny und Künstler Alex Wissel auf beruflicher Ebene zusammengeführt hat, möchte sich einem nicht so schnell erschließen. Während Bonny seinen Film "Gegenüber" in Cannes und auf der Berlinale zeigte und immer wieder bei den Sonntagabend-Fernsehblockbustern "Tatort" und "Polizeiruf" Regie führt, arbeitet Wissel im Rheinland an seinen illustrativen Momentaufnahmen dessen, was in Deutschland passiert. Immer in Anzug und auf die größtmögliche Pointe aus.
Ab Januar arbeiten Wissel und Bonny nach mehreren gemeinsamen Filmprojekten nun für eine Webvideo-Serie mit der Volksbühne. Höchste Zeit also, das ungleiche Paar auf ein großes und zwei kleine Bier in der Kantine des Theaters zu treffen.
Alex Wissel, Jan Bonny, Ausgangspunkt Ihrer Zusammenarbeit war angeblich ein Filmplakat zu einem Film, den es noch gar nicht gab.
Alex Wissel: 2011 habe ich unter einer albanischen Glückspielbar in Düsseldorf den "Single Club" betrieben. Den Raum gab es für ein Jahr, und einmal im Monat fand eine 24-stündige Veranstaltung statt, die eine Mischung aus Performance, Experiment und Party war. Das Interieur wurde zwischen jeder Veranstaltung von Künstlern komplett neu gestaltet. Die Idee war, dass dieser Club eine ständige Performance ist, eine soziale Skulptur, in der sich jeder selbst darstellen kann. Um das zu verstärken, habe ich noch vor der ersten Party ein Filmplakat entworfen, das implizierte, dass es einen Film über den Club geben wird. Auf dem Plakat wurde Jan als Regisseur angekündigt.
Jan Bonny: Für mich, der eher vom klassischen Film kommt, steht das Plakat normalerweise am Ende des Prozesses. Ein Plakat ohne Film und da steht dein Name drauf: das fühlt sich ganz komisch an. Es war ein lustiger Moment. Ich konnte nicht mehr kneifen. Das Plakat war außerdem sehr schön, und so haben wir dann einfach angefangen zu drehen, ziemlich frei und offen. Vieles am "Single"-Film war die Umdrehung der üblichen Wege des Filmemachens.
AW: Am Eingang des Bistros stand ein Schild: "Jeder, der die Räume betritt, verliert das Recht am eigenen Bild." Die Anwesenheit der Kameras und Handys und das Wissen um einen Filmdreh hat die Selbstinszenierung der Besucher um ein vielfaches verstärkt. In einer Stadt wie Düsseldorf, in der es eine lange Karnevalstradition gibt, hat das sehr gut funktioniert - jeder wollte die Bühne für sich nutzen.
Schaut man den Trailer zu "Single" an, ist man vor allem verwirrt: Es bleibt unklar, wer eigentlich wen inszeniert und ob das alles echt ist oder doch nur Show.
JB: Nichtmal wir wissen, ob das alles wirklich stattgefunden hat oder wir uns das so ausgedacht hatten. Erst, als der Film fertig war, wussten wir, wie das Drehbuch aussieht.
Kann man "Single" einem Genre zuordnen?
JB: Es geht um Masken, Selbstinszenierung und das Vorspielen falscher Tatsachen. "Single" ist Hochstapelei. Es stimmt nicht alles, was da erzählt wird, und das ist auch ganz wichtig. Der Film lebt stark von Humor und Unsauberkeit.
AW: Es ist keine Dokumentation und auch kein Spielfilm. Am ehesten vielleicht ein Schelmenroman.
Herr Bonny, Sie haben mal gesagt: Die normierte Form, Filme zu machen, ist ein Problem. Warum?
JB: Den klassischen, narrativen Film gibt es jetzt schon eine Weile. Es haben sich über Jahrzehnte einfach auch Produktionsprozesse und Routinen verselbstständigt. Die üblichen Wege hinterlassen oft deutliche Spuren in den Inhalten und in der Form der Filme, und das Risiko besteht, dass man schlussendlich einen zu sehr normierten Film macht. Für mich ist es deshalb interessant, die gängigen Prozesse auch mal hinter mir zu lassen und spielerischer zu arbeiten.
AW: Wir profitieren viel davon, dass wir aus verschiedenen Berufen kommen. Jan aus der Filmwelt und ich aus der bildenden Kunst. Durch diese Vermischung kommt man auf andere Ergebnisse. Wir sind in der Lage, uns gegenseitig Geschenke zu machen, auf die wir nicht kommen würden, wenn wir in der jeweils eigenen Sparte bleiben würden.
"Rheingold" war Ihr bisher öffentlichkeitswirksamstes Filmprojekt. Es ist geht viel um Helge Achenbach und ein bisschen um Joseph Beuys, alles in einer urdeutschen, rheinländischen Ästhetik.
AW: Mit "Rheingold" versuchen wir, unser eigenes kleines "Café Deutschland" …
… Sie meinen die Bilderreihe von Jörg Immendorff…
… zu schaffen. Es ist uns wichtig, dass wir uns auf die Wurzeln des Rheinlands beziehen.
JB: Wir sind eng mit dem Rheinland verbunden. Ich bin da aufgewachsen, Alex wohnt seit 14 Jahren dort. Das Wesen des Rheinlands ist für den Film unser Mythengrund und der Ausgangspunkt für eine Geschichte, die am Ende natürlich allgemeingültig ist. Letztlich verhandeln wir kein ästhetisches Phänomen, sondern erzählen Geschichten, zeichnen Figuren, wobei wir natürlich recht frei assoziieren und spielen.
Gab es Kontakt mit Helge Achenbach, dessen Fall die Geschichte für den Film liefert?
AW: Ja, einmal. Ich war auf dem Weg zum Bäcker in Düsseldorf. Auf einmal stieg Helge Achenbach neben mir aus dem Auto aus. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns schon ein Jahr mit seiner Person beschäftigt und erste Skizzen gedreht. Einen Trailer gab es bereits im Internet zu sehen. Achenbach meinte dann zu mir: Hey, du bist doch einer von denen, die den Film über mich machen. Er hatte den Trailer gesehen und sagte: "Ich finde die Szene mit dem Kopierer gut. Wir sollten uns treffen, ich will dir aus meinem neuen Buch vorlesen, es heißt 'Steh auf und kämpfe weiter'". Wir waren dann mit ihm im Medienhafen essen, er hat mit Käse überbackene Muscheln für uns bestellt.
JB: Das war als Begegnung für uns alle auch das richtige Maß, im besten Sinne. Wir müssen für die weitere Arbeit unabhängig voneinander vorgehen.
AW: Das war auch allen Seiten klar. Um 7 musste er wieder los, zurück ins Gefängnis.
Ab dem kommenden Jahr werden Sie "Rheingold" an der Volksbühne ..., ja, was eigentlich? Überarbeiten? Neu auflegen? Einen zweiten Teil drehen?
AW: Wir haben hier die Möglichkeit, die Geschichte, die ja bisher nur in Skizzen existiert, in einer ganz anderen Komplexität zu erzählen, in einem anderen zeitlichen Rahmen und vor allem mit ganz anderen Mitteln. Es wird eine Internetserie werden, zehn Mal zehn Minuten, die auf der Bühne in eigens dafür gebauten Settings gedreht werden.
JB: Mit einem Theater zu arbeiten ist eine große Chance und erlaubt uns, nochmal einen ganz neuen Blick einzunehmen. Als Kulisse dient wir eine übergroße Version der Capri-Batterie von Joseph Beuys. Sie wird unsere Sonne sein. Und die Euro-Skulptur von Ottmar Hörl, die vor der ehemaligen EZB in Frankfurt steht, bauen wir auch nach. Sie wird unser Mond werden. Zwischen EZB und Capri-Batterie finden dann unsere Tage und Nächte statt. Wir bauen in Berlin unser Wunschrheinland auf. Es ist wichtig, sich auf die Möglichkeiten und Traditionen einzulassen, die dieses Theater bietet, und nicht einfach nur den alten Stand weiter zu spinnen. Was wir an der Volksbühne machen werden, ist mindestens so viel Theater wie Film.
Neben der Volksbühne arbeiten Sie derzeit mit einer anderen großen Institution zusammen, dem Museum Abteiberg in Mönchengladbach.
AW: Das Museum feiert in diesem Jahr das 50 jährige Jubiläum des Amtsantritts von Johannes Cladders und seiner Wirkungszeit im alten Städtischen Museum Mönchengladbach von 1967 bis 1978. Wir wurden gefragt, ob wir zu diesem Anlass einen Film entwickeln wollen. Im Archiv des Museums haben wir dann eine Ausstellung von Stanley Brouwn aus dem Jahre 1972 gefunden, "Durch kosmische Strahlen gehen". Die Räume in dieser Ausstellung waren leer, bis auf einen Monitor. Das haben wir sehr frei nachempfunden und eine Vernissage-Situation zum Anlass genommen, eine Art Vorgeschichte zu "Rheingold" zu erzählen. Die Idee war, die großbürgerliche Welt der Stadt zu zeigen, als sie noch einigermaßen intakt war, in der noch nicht der sinnstiftende Kapitalismus neuer Prägung regiert und als Kultur und Kapital noch scheinbar getrennt voneinander existiert haben.
JB: Letztlich ist es auch hier wieder eine klassische, kleine Beziehungsgeschichte. Ein junger Künstler probt den Aufstand und ein alter, erfolgreicher Unternehmer kauft dem jungen Mann ein paar Bilder ab, um zu zeigen, wo der Hammer hängt. Alles steht auf der Kippe zur neuen Zeit. Das ökonomische Erfolgsmodell des Selbstschaffenden beginnt in diesem Moment sich durchzusetzen, während das unternehmerische Bürgertum zerbricht. Das ist die "Rheingold"-Verbindung. Das Projekt ist weder ein klassischer naturalistischer Film, noch ist es eine reine Theatersituation. Auch in dieser Hinsicht tut sich eine Parallele auf zu dem, was wir hier an der Volksbühne vorhaben.
Abgesehen von Ihren gemeinsamen Projekten arbeiten Sie meistens unabhängig voneinander. Gibt es Arbeiten des jeweils anderen, die Sie wirklich grauenvoll finden?
JB: Wir stellen uns Auseinandersetzungen, aber meistens sind sie harmloser Natur. Unsere Zusammenarbeit zeichnet sich durch Großzügigkeit aus, zueinander, aber eigentlich auch zum Rest der Welt. Bei all unseren bisherigen Projekten haben wir immer gesagt: Jeder kann mitmachen und fast alles ist interessant. Wir grenzen nicht aus. Dafür arbeiten wir viel mit Humor. Das heißt nicht, dass alles lustig sein muss …
AW: … aber man muss den anderen schon so kaufen, wie er ist.