Kommentar

Die Identitären machen keine Kunst

Sachsens Ministerpräsident hat die Identitäre Bewegung mit dem Zentrum für Politische Schönheit verglichen. Formal ähneln sich einige Aktionen tatsächlich, aber Politiker sollten Systemkritik von Hetze unterscheiden können

Kunstaktionen im öffentlichen Raum sind erst einmal weder links noch rechts. Auch wenn sich die globale Kunstszene traditionell auf liberalem Parkett gefällt und viele Meilensteine der Performancekunst als "links" gestempelt werden können, gehören die künstlerischen Mittel keiner Partei und keiner Bewegung an. Insofern ist es zunächst weder verwerflich noch falsch, wenn Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer die Aktionen der rechtsextremen Identitären Bewegung mit den Interventionen der Künstlergruppe Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) vergleicht. Der CDU-Politiker sagte in einem Interview mit dem "Tagesspiegel", er finde beides "geschmacklos“ und könne nicht verstehen, warum für das ZPS die Kunstfreiheit gefordert werde, während Aktionen der Identitären Bewegung für Empörung sorgten.

Tatsächlich weist die Praxis des ZPS Ähnlichkeiten mit der Methodik identitärer Gruppierungen auf. Doch diese äußerlichen Ähnlichkeiten muss man sich genauer ansehen.

Beide wollen Aufmerksamkeit durch provokante Aktionen, beide reklamieren für sich, die Menschen aufzurütteln und das zu tun, was die Politik versäumt. Besonders deutlich werden die Parallelen – aber auch die ideologischen Unterschiede – bei zwei Aktionen im Berliner Regierungsviertel. Das ZPS inszenierte dort 2015 die Prozession "Die Toten kommen“, bei der im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge symbolisch vor dem Reichstag bestattet wurden. Am Jahrestag des Anschlags auf den Berliner Breitscheidtplatz stellte die Identitäre Bewegung dann 2017 nur ein paar Dutzend Meter weiter am Brandenburger Tor Gedenksteine für die Opfer von islamistischem Terror auf. Die Aktionen gleichen sich so frappierend, dass man davon ausgehen kann, dass sich die Identitäre Bewegung vom ZPS inspirieren ließ und die etablierte Form der Gedenkperformance mit ihrer diametral entgegengesetzten Botschaft gefüllt hat.

Der Anspruch ist in beiden Fällen, an Vergessene zu erinnern, und sogar das Feindbild ist dasselbe: die deutsche, beziehungsweise die europäische Flüchtlingspolitik. Doch während das ZPS der EU Mord durch verbarrikadierte Grenzen vorwirft, sehen die Identitären deutsche Bürger (wer genau dazugehört, bleibt unklar) als Opfer der Merkel-Willkommenskultur.

Die Neue Rechte macht Performance

Dass sich die Identitäre Bewegung traditionell linke Spielarten von Protestkunst zueigen macht, ist kein Zufall. Die rechte Gruppierung, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, kleidet ihren Nationalismus und ihre Migrationsfeindlichkeit in eine Ästhetik der Rebellion. Sie sprechen ganz Kunstjargon von "ästhetischen Ergänzungen" und nennen die Ausweisung von Ausländern "Remigration". Ende 2016 bezogen sie sich bei einer Aktion in Wien, bei der sie einer Statue von Maria Theresia als Symbol der vermeintlichen Islamisierung eine Riesenburka anzogen, explizit auf den Verpackungskünstler Christo. (Der verbat sich diese Assoziation allerdings gleich wieder).

Thomas Wagner spricht in seinem Buch "Die Angstmacher: 1968 und die Neuen Rechten" von einem Déjà-vu-Erlebnis mit umgekehrten Vorzeichen. Der Autor beschreibt, wie die Protestformen der liberalen Linken, die eng mit der Entstehung von aktivistischer Performancekunst verknüpft sind, heute von den Rechten adaptiert werden. Provokation und theatralische Mittel, um Aufmerksamkeit zu erzeugen: die Formate gleichen sich, während die Protestierenden von damals heute das "rot-grün-versiffte Gutmenschen"- Feindbild der rechten Ideologen sind.

Das ZPS tritt nach oben, die Identitären nach unten

Michael Kretschmers Analogie lässt sich also formal lesen, und natürlich darf er "geschmacklos" finden, was er will. Er ist nicht der Einzige, der das Zentrum für Politische Schönheit für seine Aktionen kritisiert, und das Kollektiv musste sich für seinen "Nazi-Pranger“ nach den Ausschreitungen in Chemnitz die Frage gefallen lassen, ob es nicht genau die Denunziations-Praktiken benutzt hat, die in der rechten Szene üblich sind.

Trotzdem ist es irreführend und gefährlich, für beide Kollektive gleichermaßen die Frage nach Kunstfreiheit zu bemühen. Denn so hebt man eine als rechtsextrem eingestufte Gruppierung in den Rang von Künstlern. Auch wenn man die Methodik des Zentrums für Politische Schönheit nicht gutheißen muss, ist ihre Motivation eine humanistische. Sie wollen die Mächtigen zwingen, das Leid der Flüchtlinge anzuerkennen und die Menschen zu sehen, die an der Festung Europa zerschellen. Sie warnen vor zunehmendem Rechtsextremismus in Deutschland. Sie sind kein linker Mob, sie hetzen nicht gegen Minderheiten und sie rufen nicht zu Gewalt auf. Sie provozieren – wie es viele Künstler tun – vornehmlich mit Gedankenspielen über das Ungeheuerliche. Ihre Ziele sind vor allem Politiker mit Handlungsmacht. Das ZPS tritt nach oben, die Identitären dagegen nach unten. Hinter ihren Aktionen steht die menschenverachtende Strategie, vermeintlich "Fremde" zu verunglimpfen und Geflüchtete pauschal mit Gewalt und Terror in Verbindung zu bringen. 

Kunst diffamiert nicht

Insofern enthält Kretschmers Aussage eine Relativierung rechter Ideologie, die sich immer öfter beobachten lässt (und die genau so vage bleibt, dass sie sich je nach Stärke des Shitstorms damit einfangen lässt, man sei missverstanden worden). Im Hinterkopf dröhnen Donald Trump und seine "violence on many sides" nach den Aufmärschen von Rechtsextremisten in Charlottesville. Die Aktionen der Identitären Bewegung haben nichts mit Kunstfreiheit zu tun, weil sie keine Kunst sind. Kunst diffamiert nicht pauschal Bevölkerungsgruppen und wird nicht von Hass angetrieben. Hier geht es nicht um Geschmacklosigkeit, sondern um rechtsextremes Gedankengut.

Die Mittel der Kunst sind nicht an sich politisch und gehören niemandem. Aber es gehört zu den Aufgaben von demokratischen Politikern, Kunst (auch provokante Kunst) von Propaganda und Systemkritik von Hetze zu unterscheiden.