Museen als Lieferdienste

Hunger auf Kunst

Im Corona-Lockdown orientieren sich Kunsthäuser an den Strategien der Gastronomie: Manche lassen Werke nach Hause liefern, andere bieten "Take Away"-Kunst zum Ausleihen an

Zu denken gegeben hat einem in diesem merkwürdigen Jahr zweifellos einiges. Zu viel womöglich. In Rui Zhangs Mixed-Media-Arbeit "Think Too Much" (2019), bei der die Künstlerin Tuschezeichnung mit Siebdruck und Acrylmalerei verbindet, könnte man sich in diesem Überwältigungsgefühl entsprechend wiederfinden. Vielleicht aber auch in Christoph Viewegs "Soweit die Meldungen" (2016): "Ich blick' nicht mehr durch", steht gleich oben links auf dem rot-weißen Linolschnitt geschrieben, irgendwo rechts unten, aber immerhin auch: "Alles gut alles vorbei!". Vieweg hatte für eine Serie im Jahr 2015 täglich Radiomeldungen gesammelt und diese zeichnerisch verarbeitete. Vielleicht ganz gut, dass er das nicht 2020 gemacht hat.

Sowohl Rui Zhangs wie auch Christoph Viewegs Arbeit zählen zu den Jahresgaben des Kunstvereins Wolfsburg der vergangenen Jahre, die im Shop auf dessen Website aufgelistet sind. Schon zu spät kommt man schon für "Think Too Much". "Soweit die Meldungen" wie auch viele weitere Editionen und Unikate sind aber noch zu haben. Und das für alle, die in Wolfsburg oder Braunschweig wohnen, auf besonders bequeme Weise.

Seitdem auch die kommerziellen Galerien geschlossen wurden, ist es kompliziert geworden, an die Kunst zu kommen, kompliziert, sie zu sehen - oder sie zu kaufen. Andererseits sorgt die aktuelle Situation offensichtlich auch dafür, dass neue Ideen entstehen, die das Gegenteil bewirken und die den Weg zur Kunst so einfach machen, wie sich eine Mahlzeit beim Lieferservice zu bestellen. Wortwörtlich umgesetzt hat das der Wolfsburger Kunstverein mit "LieferArto“. Wer zwei Buchstaben austauscht, erhält nicht nur den Namen eines nicht ganz unumstrittenen, jedoch äußerst erfolgreichen Bringdienstes, auch die Umsetzung ist daran angelehnt. Auf Bestellung (Per Mail: kunstverein@wolfsburg.de) wird die Kunst ersönlich ausgeliefert.

Vergleich mit dem Pizzadienst

Am Telefon gibt Justin Hoffmann, Direktor des Kunstvereins Wolfsburg, sogleich zu, Namen und Idee aus der Gastronomie übernommen zu haben und vergleicht die Art und Weise, wie die Mitarbeitenden des Kunstvereins und er selbst die Jahresgaben den Käuferinnen und Käufern vorbeibringen, sogar direkt mit einem Pizzadienst. Es gebe eben nicht nur einen Hunger nach Essen, sondern auch einen nach Bildern, fügt er an. Erst recht vielleicht in Städten wie Wolfsburg und Braunschweig, wo schon mit dem "Lockdown light" nahezu alle Kunstorte schlossen. Mit "LieferArto" wollte sich der Kunstverein eine Möglichkeit schaffen, weiterhin mit Mitgliedern und anderen Kunstinteressenten aus der Region in Kontakt zu bleiben.

Tatsächlich findet die Idee offenbar Zustimmung. Jeden Tag komme eine Bestellung. Was durchaus auch an den recht günstigen Preisen von zum Teil unter 50 Euro liegen mag, womöglich aber auch an der lebensnahen Ansprache. Im Text auf der Website ist vom "perfekten Background für Videokonferenzen" und "bewundernden Blicken" die Rede, die sich durch ein neues Kunstwerk erreichen ließen.

Allein ist der Kunstverein Wolfsburg nicht mit solchen Ideen, die Aufmerksamkeit generieren. Der Kunstverein Hannover etwa hatte für seine Jahresgaben zusätzlich zum digitalen einen physischen Adventsshop eingerichtet – der nun freilich auch vorzeitig schließen musste. Die Weserburg in Bremen wiederum führte unlängst einen Ausleihservice für Editionen ein. "Take Away" nennt sich dieses Angebot, bei dem Interessierte Editionen für maximal sechs Monaten kostenlos ausleihen können. Zwölf Editionen stehen zur Wahl, die online ausgesucht werden können. Und die ersten sind sogar schon vergriffen.

"Neben digitalen Projekten wollten wir unseren Besucher*innen etwas bieten, was an das direkte Erleben von Kunst anknüpft. Nach dem Motto: Ihr könnt nicht zu uns, dann kommen wir zu euch", so erklärt Direktorin Janneke de Vries die Idee hinter der Aktion. Editionen gab es an der Weserburg schon länger, nur musste man die bislang dauerhaft erwerben. (Kaufen kann man die Editionen von "Take Away" übrigens auch, für Nutzer des Leihservices zum Vorzugspreis).

Was sich hinter dem auch in diesem Fall an die Gastronomie angelehnten Namen verbirgt, ist im Grunde das bewährte Konzept einer Artothek – "klingt vielleicht nur etwas frischer und zeitgemäßer", so de Vries. Ihr Angebot richte sich an alle, die aktuell den Museumsbesuch vermissten, aber auch diejenigen, die nicht das Geld haben, ein Kunstwerk zu kaufen und dennoch gerne eines hätten und jene, "die in diesen Zeiten einfach ein positives Zeichen und Angebot ohne Hintergedanken nötig haben". Quasi an alle also. Nur in der Nähe wohnen muss man