Protest gegen das Humboldt Forum

Oder soll man es abreißen?

Preußen-Nostalgie, Raubkunst und Kreuz auf der Kuppel: Künstler und Aktivistinnen kritisieren den Neubau des Berliner Stadtschlosses, in dem jetzt das Humboldt Forum eröffnet. Ein Besuch bei den Gegnern am Spreeufer gegenüber

Im Krieg zerstört, Jahrzehnte später mit Betonplatten wieder rekonstruiert und modernisiert säumt das Nikolaiviertel das Spreeufer, östlich der Museumsinsel, wo ein bisschen später die neue Mitte der neuen Hauptstadt ein selbstbewusstes Gesicht geben sollte. Unter den Betonarkaden liegt das Reisebüro Tropicana Touristik, umfunktioniert zum Projektraum. Ein idyllischer Ort, an dem Touristen auf E-Scootern vorbeiziehen, während die Sonne scheint. Am gegenüberliegenden Ufer, auf der Spreeinsel, erhebt sich ein anderer rekonstruierter Bau, weit umstrittener als das Nikolaiviertel mit seinem angestaubt-modernen DDR-Charme: das Berliner Stadtschloss, das nach Meinung mancher Aktivistinnen und Aktivisten bitte schnell wieder rückgebaut werden soll.

Die Eröffnung des Humboldt Forums am Dienstag ist jedoch nicht mehr aufzuhalten, nachdem es ursprünglich im Herbst 2019 zugänglich sein sollte, nicht rechtzeitig fertig wurde, dann pandemiebedingt nur virtuell eröffnete. Die Vorgeschichte der Rekonstruktion reicht zurück bis in die 90er, als der Kaufmann Wilhelm von Boddien den Förderverein Berliner Schloss gründete, sie nahm viele kulturpolitische Volten, das Schloss wurde mehrmals umgewidmet. Heute beherbergt es das Humboldt Forum mit seinen verschiedenen Akteuren: die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die ethnologischen Sammlungen, die Humboldt Universität und das Stadtmuseum Berlin.

Fast so alt wie der umstrittene Mehrzweck-Kulturbau ist aber auch der Protest dagegen. Ein Teil davon bündelt sich nun in den Räumen von Tropicana Touristik, einem Reisebüro, das krisenbedingt seinen Laden untervermieten musste. Der Künstler Raul Walch, der für seine großen Textilarbeiten im öffentlichen Raum bekannt ist, mietete den Raum unter den Arkaden an. Dort startete er im vergangene Jahr das Projekt "Owned by Others". Fortan hieß das Reisebüro Museum Tropicana.

Umgekehrter Blick: "Wir entdecken euch"

Das ist nicht nur eine Anspielung auf die alte Nutzung des Raums, sondern auch auf eine populärkulturelle Exotisierung des anderen, der Tropen, der Ferne. Auch von der Urlaubsreise bringt man ein Souvenir mit, so erklärt Raul Walch, und man stellt es sich ins Wohnzimmer. Die postkoloniale Kritik, für die es jetzt hier einen Ort gibt, klingt weniger dogmatisch, als von ihren Gegnern dargestellt, zugleich sprechen die Künstlerinnen und Aktivisten ein paar andere wichtige Punkte an. Den Begriff von Eigentum zum Beispiel, denn die Debatte um geraubte Artefakte in den Berliner Sammlungen ist noch nicht abgeschlossen. Dem entgegen stand in einem ersten Projekt, "Owned by Others", der Begriff commons, die geteilte Eigentümerschaft.

Auf der Museumsinsel und drumherum fanden Performances statt, Spaziergänge – eine Präsentationsform für Kunst, die während der Pandemie Konjunktur hatte – und eine Bootsfahrt. Auf der Insel manifestierte einst Preußen seinen Herrschaftsanspruch, so die Betreiber des Raums, bis zum Ende des Kaiserreichs. Eine Fußmatte mit dem Wort "Patriarchy", gestaltet von der Künstlerin Zuzanna Czebatul, ein Miniaturmodell des brennenden Schlosses aus Keramik von Zoë Claire Miller und viele andere Projekte sehen so ganz anders aus als der heroische Neubau. "Für zeitgenössische Künstler*innen ist dieses Sammeln und Konservieren etwas sehr befremdliches", sagt Raul Walch. "Unsere Überlegung ist: Wir entdecken euch."

Wenn Raul Walch von der Museumsinsel und ihrer Umgebung spricht, dann sagt er, das sei ein befremdlicher Ort. Von hier aus kann man das Schloss mit seiner streng gerasterten, vom Architekten Franco Stella modern gehaltenen Fassade gut in den Blick nehmen. Es ist fast unmöglich zu ignorieren. Aber auch: Der Blick, eigentlich auch ein wichtiger Begriff aus der postkolonialen Theorie, um Machtverhältnisse zu beschreiben, wird vom Reisebüro aus umgekehrt. Fortan fanden sich hier Gruppen zusammen wie Berlin Postkolonial, Barazani – eine Gruppe, die aus dem Bündnis Decolonize Berlin hervorgegangen ist – und die Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum. Die Maximalforderung mancher Aktivistinnen und Aktivisten lautet: Reißt das Schloss einfach ab.

Wird das Humboldt Forum durch die Kritik stärker?

"Re-Move Schloss", kuratiert von Dirk Teschner in Zusammenarbeit mit Walch, gerade in dem Raum an der Spree zu sehen, hat nichts von einer White-Cube-Ausstellung. An der Rückwand lehnen Protestplakate mit Variationen des Slogans "Ich mach da nicht mit, weil …". Die sind Teil einer Kampagne, die schon seit Dezember läuft. Die Inszenierung sieht nach Provisorium aus, nach einem Protestcamp, in dem Artefakte von Demonstrationen liegengeblieben sind. Und ein bisschen ist es das ja auch. Der Künstler Johannes Paul Raether stellt in einem satirischen Video Pläne vor, ganz Mitte nach Art des Stadtschlosses zu rekonstruieren, inklusive der neuen Reichskanzlei. Das Designbüro Schroeter und Berger hat Postkarten und Aufkleber gestaltet, und im Schaufenster läuft das Kampagnenvideo der Coalition of Cultural Workers Against the Humboldt Forum: "Defund the Humboldt Forum". "Kitsch und Clanwirtschaft", heißt es da, würden im Verband mit alten und neuen Antidemokraten Unmengen von Steuergeldern verschlingen. Der Protest ist vielstimmig. Es geht um Preußen-Nostalgie und Kolonialverbrechen, es geht um Raubkunst und das Kreuz auf der Kuppel des Neubaus.

An letzterem entzündete sich vor etwa einem Jahr die Kritik, denn nicht nur steht damit das Symbol des Christentums in der Mitte Berlins, sondern auch ein umlaufendes Spruchband: "Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind." Die Laterne auf der Kuppel, inklusive Kreuz und Spruchband, waren übrigens nicht in der ursprünglichen Planung der Rekonstruktion vorgesehen und wurden auch nicht aus öffentlichen Mitteln, sondern mit Spenden finanziert. Dennoch wird damit ein Stück Preußentum konserviert, das selbst vorsichtigen Beobachtenden rückwärtsgewandt erscheint.

Das Humboldt Forum unterdessen hat ein anderes Selbstbild. Nach eigener Darstellung will es ein "einzigartiger Ort des Erlebens, des Lernens und der Begegnung in der Mitte Berlins" sein. Auf der Website taucht das Wort Vielstimmigkeit auf, was ja auch Sinn ergibt, schließlich kommen im Stadtschloss verschiedene Institutionen und Sammlungen zusammen, die alle eigene Interessen und Anforderungen haben. Noch konkreter wird die Vielzahl von Stimmen im hauseigenen Magazin, wo es Artikel gibt, die jenes umstrittene Kreuz erklären sollen. Hier wird erörtert, wie die Institution als weltoffener Ort mit Kronen, Kreuzen, Adlern und anderen Machtsymbolen umgehen soll.

Man kann sich aber fragen, ob das Humboldt Forum durch die massive Kritik von außen stärker wird. Und ob es sich Begriffe aneignet, die nach postkolonialer Kritik klingen. "Man muss die Kritik scharf und direkt formulieren. Man muss sich auch imprägnieren gegen eine Übernahme", sagt Walch, "die so tut, als wäre das eine Bereicherung für die Institution. Die ist nämlich nicht so einfach zu retten."