Hillary Clinton hat ihn getragen, Nan Kemper und Kate Moss. Die Rede ist vom Hosenanzug, dem vielleicht emanzipatorischsten Kleidungsstück von allen. Auch wenn die Kombination von Anzugshose und Blazer heute bei vielen Frauen sehr beliebt ist, lösten die ersten weiblichen Trägerinnen noch schockierte Reaktionen aus, von denen pikierte Blicke noch die harmlosesten waren. Genau 90 Jahre ist es her, dass sich Marlene Dietrich in der US-amerikanischen "Vogue" vom September 1933 in einem solchen Anzug ablichten ließ und in diesem bislang nur an Männern bekannten Kleidungsstück provozierte.
Dabei kamen andere schon über 20 Jahre eher auf die Idee, Frauen aus ihren Korsetten zu befreien und bequemere Kleidungsstücke für sie zu designen. Neben Coco Chanel war es Paul Poiret, einer der führenden Modedesigner des 20. Jahrhunderts, der eine neue Silhouette für Damen ins Spiel brachte und schlauchartige Kleider entwarf. Aufgrund der fehlenden Elastizität des Stoffes nähte er für ein wenig Bewegungsfreiheit erst Schlitze in die Kleider, schließlich Hosenbeine. Daraus entwickelte sich 1911 schließlich der erste Hosenanzug für Frauen. Poiret war seiner Zeit mit dieser Idee weit voraus, dennoch blieb die modische Neuheit weitgehend unbeachtet.
Noch zwei Jahrzehnte Jahre später, als die Hollywood-Schauspielerin Marlene Dietrich schließlich in einem hellen Jackett und einer dazu passenden, hoch geschnittenen Hose mit weiten Beinen zeigte, war ihr Auftreten skandalös. Es sollte noch lange dauern, bis diese Kleiderwahl tatsächlich im Mainstream ankommen sollte. Waren schon Hosen an Frauenbeinen nicht gerne gesehen, schien der Anzug eine noch gewaltigere Provokation, war er doch eigentlich das Kleidungsstück des arbeitenden Mannes.
Androgynes Auftreten
Der Garçonne-Stil der 1920er und 30er-Jahre, bei dem Frauen männlich codierte Kleidung trugen, darunter Hosen und Anzugsjacken und ihre Haare in einem kurzen Bubi-Schnitt trugen, war den gut situierten und Intellektuellen vorbehalten. Häufig wurde dieser androgyne Kleidungsstil mit Lesben assoziiert, die sich in der Weimarer Republik zu einer Bewegung zusammenfanden. In der breiten Gesellschaft setzte sich der "jungenhafte"-Stil aber nicht durch. Zu sehr dominierte die Rollenverteilung des Mannes als Ernährer und der Frau als Heimchen und Mutter. Nicht zuletzt durch das NS-Regime hielt sich diese konservative Zuschreibung als gängiges Ideal. Die Klischees der Weiblichkeit modisch aufzubrechen, war nur für Frauen der Elite möglich.
Während zur Zeit des Zweiten Weltkriegs viele Frauen aus praktischen Gründen auf Hosen oder Overalls umstiegen, weil sie körperliche Arbeit übernehmen mussten, folgte in den 1940er-Jahren die Renaissance der Kleider und Röcke. Weiblichkeit wurde erneut betont, feminin zu sein war mit Zerbrechlichkeit und Sanftmut verbunden. Ein Hosenanzug als selbstbestimmtes Statement lag für viele Frauen in weiter Ferne. Einzig die leichte Caprihose etablierte sich als Freizeitkleidung.
Noch bis in die 1950er-Jahre konnten Frauen für das Tragen eines Hosenanzugs nicht nur beäugt, sondern wegen des Vorwurfs, sich als Mann zu verkleiden, verhaftet werden. Dann begann Yves Saint Laurents Aufstieg in der Modewelt und mit ihm das Comeback des umstrittenen Zweiteilers. Der Designer verabschiedete sich vom Idealbild der Wespentaille, die damals noch die Linie des Modehauses Dior bestimmt hatte und setzte mit seiner ersten Kollektion für Dior, "Ligne Trapèze" von 1958, auf bewegliche Eleganz. 1966 brachte er die Linie "Le Smoking" heraus, eine edle Hosenanzug-Variante für den Abend, vor allem aber: für Frauen.
Zerstörung von Geschlechternormen
Stiltisch orientiert sich die Kollektion an dem neuen-alten Look der 1930er-Jahre in Marlene Dietrich-Manier. Die Schauspielerinnen Catherine Deneuve und Liza Minelli werden zur Smoking-Trägerinnen, Bianca Jagger setzte bei ihrer Hochzeit mit Mick Jagger 1971 auf ein weißes Modell. Auch Helmut Newton ließ es sich nicht nehmen, mit dem androgynen Anzug-Look bei seinen Models zu spielen. Doch obwohl der Hosenanzug zum Gewand für den Abend avancierte, war er noch nicht überall beliebt. Yves Saint Laurents wurde von einem "Life"-Kolumnisten vorgeworfen, die bestehenden Geschlechternormen zu zerstören. Vielleicht hatte der Journalist damit gar nicht so unrecht, doch sollte man Saint Laurent dafür lieber danken.
Nan Kemper, eine New Yorker Prominente, soll noch Ende der 1960er-Jahre an der Tür eines Restaurants wegen ihrer Kleiderwahl abgewiesen worden sein. Einer Anekdote zufolge soll sie sich daraufhin ihrer Hose entledigt und den Blazer als Minikleid getragen haben – ein Outfit, das heute gar nicht mehr so ungewöhnlich wäre.
Trotzdem entwickelte sich der Anzug der Frauen stetig weiter und war schon bald nicht mehr nur bei den Luxus-Labels zu finden. Kombiniert mit Plateau-Schuhen und aus Polyester wurde er zum optischen Ausdruck selbstbestimmter "Karrierefrauen". Die Damenmode erweiterte sich um männliche Codes, unter dem Schlagbegriff "Power Dressing" waren markante Schnitte, hochgeschlossene Ausschnitte, Nadelstreifen und Hahnentritt beliebt. Diese modische Annäherung hing mit der Entwicklung zusammen, dass mehr und mehr Frauen sich aus ihrem Dasein als Hausfrauen lösten und zu arbeiten begannen. Karrieren waren nicht mehr Männern vorbehalten.
Auf dem roten Teppich und im Büro
Auch auf den roten Teppichen zeigten sich Frauen im selbstbewussten Hosenzug, Diane Keaton trug ihn 1976 anlässlich der Oscar-Verleihung mit einem gestreiften Hemd und einer sehr breiten, gepunkteten Krawatte, angelehnt an ihre Rolle der Allie Hill in Woody Allens "Der Stadtneurotiker".
Wenig umstritten folgten in den 1980er-Jahren breite Schulterpolster, die in die Blazern eingenäht wurden, welche die schmale, grazile Silhouette, die bis dato als besonders weiblich galt, ablösten. Der "Powersuit" von Armani galt als Rüstzeug der Emanzipation. 1997 ließ Karl Lagerfeld Kate Moss bei einer Chanel-Modenschau in einem freizügigen braunen Tweed-Anzug über den Laufsteg schreiten und interpretierte damit das klassische Chanel-Kostüm neu. Der androgyne Stil erhielt so erneut Einzug in die Popkultur, der Hosenanzug war nicht mehr nur die Kleidung von Managerinnen, sondern gewann an Sexappeal.
Skandale um den Hosenanzug blieben weitgehend aus, in den 2000er-Jahren galt er als langweilig und war vor allem an Politikerinnen zu sehen. Während Lenelotte von Bothmer, eine SPD-Politikerin, noch 1970 einen regelrechten Skandal auslöste, weil sie als erste Frau in Hosen eine Rede im Bundestag hielt, kennt man einige andere Amtsträgerinnen gar nicht mehr ohne. Pat Nixon, die Ehefrau des US-Präsidenten Richard Nixon war die erste First Lady, die sich in einem Hosenanzug ablichten ließ, 1972 ein wahres Statement des Selbstbewusstseins. Trotzdem wurde es Frauen im US-Senat erst 1993, vor genau 30 Jahren, hochoffiziell gestattet, diese Art von Uniform zu tragen.
Modischer Machtanspruch
Hillary Clinton machte den Hosenanzug zu ihrem Markenzeichen. Im Wahlkampf gegen Barack Obama trug sie konventionelle Zweiteiler, gegen Trump setzte sie häufig auf Blau, die Farbe der Demokraten, oder Weiß, als Hommage an die Suffragetten-Bewegung. In den Fernsehduellen trug sie Anzüge in den Nationalfarben der USA. Auch Angela Merkel kennt man fast ausschließlich in konservativ geschnittenem Blazer und Hose, oft in unterschiedlichen Farben kombiniert. Diese Kleiderwahl der Politikerinnen hat zahlreiche Artikel nach sich gezogen, in denen diese als Zeichen des Machtanspruchs gedeutet wird.
Mittlerweile hat sich der Hosenanzug für Frauen von der Männermode abgehoben. Es gibt ihn in den unterschiedlichsten Farben, Materialien und Schnitten. Blazer werden bauchfrei oder oversized getragen, unter ihnen zuweilen keine Blusen, sondern nur noch BHs. Es gibt Hosenanzüge mit Shorts, in Barbiecore-Pink, Pistaziengrün und schlichtem Beige. Er wird im Büro getragen und in der Freizeit, mit Sneakern oder High-Heels kombiniert, für jede Jahreszeit gibt es passende Modelle.
Auch Anzugwesten auf nackter Haut sind 2023 oft zu sehen gewesen, haben aber deutlich weniger Aufstehen erregt als die weitaus weniger freizügigen Hosenanzüge der 30er-Jahre. Die feministische Kleidungs-Kombination gilt lange nicht mehr als revolutionär. Dabei ging es bei dem Kampf um den Hosenanzug auch immer um die Selbstbestimmtheit der Frau.