Das Haus der Kulturen der Welt (HKW) liegt ziemlich genau in der geographischen Mitte Berlins, und doch war hier vom hauptstätischen Buzz in den vergangenen Jahrzehnten wenig zu spüren. Ein Besuch des Hauses, das vom Norden durch die Spree und zu den übrigen Seiten vom Tiergarten abgeschirmt wird, fühlte sich immer ein wenig an wie ein Ausflug auf eine Insel – lange Zeit sollen sich sogar die Berliner Verkehrsbetriebe geweigert haben, eine eigene Bushaltestellte einzurichten. Drinnen gab es oft brillante Ausstellungen und herausfordernde Langzeitprojekte zu bestaunen, die an den internationalen Kunst- und Kulturdiskurs andockten, aber nicht unbedingt an die Stadt.
Das HKW zu "aktivieren" und zum Haus für die Menschen aus 190 Nationen zu machen, die in Berlin leben – das ist das erklärte Ziel des neuen Intendanten Bonaventure Soh Bejeng Ndikung. Nach monatelangen Umbauarbeiten und einem fast kompletten Austausch des Teams eröffnet das Haus an diesem Freitag mit einem dreitägigen Fest, und schon ein erster Vorabrundgang macht klar, dass hier kaum so etwas sein wird wie zuvor.
Genau genommen ist das HKW jetzt kein Ausstellungshaus mehr, sondern ein offenes Areal, das sich vom Tiergarten bis zur Spree erstreckt, mit jährlich wechselnden Pavillons auf den Grünflächen (der erste stammt vom Berliner Architekturbüro Raumlabor) und vielen Außenskulpturen, mit Gärten und Erholungsstätten, mit Lesungen und Performances unter freiem Himmel, mit Wandmalereien an den Fassaden und zahllosen Textilarbeiten, die dem Bau buchstäblich eine neue Haut überziehen. Die spektakulärste kommt von Ibrahim Mahama, der die große Freitreppe der früheren Kongresshalle mit einem riesigen Netz aus Kaffeebohnensäcken bespannt hat, die an die Verstrickungen von Kolonialzeit und globalem Handel erinnern.
Altes Gebäude, neue Menschen
Auch das Innere ist kaum wiederzuerkennen. Durchzog den Bau bislang modernistisches Understatement, sind die Wände jetzt in quietschbunten Farben gestrichen und mit ebenso bunten Bänken bestückt, ist noch der letzte Mauervorsprung mit einem Mural bedeckt. Glich die typische Besucherphysiognomie früherer HKW-Ausstellungen einer Laterne – tiefgebeugt über mit Theorie und historischen Abhandlungen gefüllten Glasvitrinen – bitten im neuen HKW schwungvolle Bodenzeichnungen zum Tanz, schwirren Papierdrachen von der Decke. Auch die Räume wurden umbenannt. Sie heißen jetzt nicht mehr Halle 1 oder Foyer, sondern tragen die Namen von Autorinnen, Künstlerinnen, Feministinnen oder Aktivistinnen; von "Frauen aus verschiedenen Welten, die die Welt als Ganzes ein bisschen besser gemacht haben" und bislang zu wenig gewürdigt wurden, wie es in der Programmzeitschrift heißt.
Das Gebäude sei noch das alte, aber es solle mit neuen Menschen gefüllt werden, erklärt Ndikung und bekennt, dass man selbst mit dem Namen der Institution hadere: eigentlich sollte es Haus der Kulturen der Welten heißen. So wie hier künftig offenbar fast alles im Plural konjugiert werden soll. Das neue HKW versteht sich als Spielstätte für diverse, oft auch indigene communities, die hier ihre strategies und practices und rituals vorführen, dabei nicht selten auch spiritualities anrufen, sich dabei alternativer vocabularies und languages bedienen, um neue museologies und systems of knowledge zu schreiben. Selbst das Universum ist nicht mehr genug und heißt am HKW jetzt Pluriversum.
Das klingt mitunter etwas bemüht, ist aber als Teil des dekolonialen Projektes zu verstehen, das die singulären Wahrheiten der alten eurozentristischen (Kunst)-Weltordnung überwinden soll. Denn die hat den Globus politisch, sozial und ökologisch in den Abgrund gesteuert. Was jetzt noch helfen soll, ist healing und eine neue Kultur der "Konvivialität", also des heiteren Miteinanders, die das HKW etablieren will – mittels Kunst, aber genauso durch gemeinsames Essen, Workshops, Kinderprogramme, Musik oder Tanz.
Partynacht und Breathing Workshop
Wirklich alle sollen im neuen HWK zu Wort kommen, repräsentiert werden, sich willkommen fühlen. Alle Regionen, alle Geschichten, alle Menschen und nicht nur die: auch der Wind, der draußen am girlandenartigen Vorhang des Raumlabor-Pavillons spielt, soll Kunst sein, genauso wie die Bienen, die im neu angelegten Forough Farrokhza Garten um die interaktive Installation von Temitayo Ogunbiyi summen. Nicht zu vergessen die diversen spirituellen Kräfte und Geister, denen man etwa in der Eröffnungsausstellung "O Qilombismo" begegnet und vielleicht auch schon davor.
Das Festival zur Wiederöffnung beginnt am Freitagnachmittag mit der Anrufung von Papa Legba, dem Türöffner, Wächter der Kreuzwege und Vermittler zwischen irdischen und spirituellen Welten; geleitet wird die Zeremonie von den haitianischen Vodou-Priester Jean-Daniel Lafontant. Etwas später am Abend spricht Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Dann gibt es Konzerte und DJ-Sets bis tief in die Nacht, von denen man sich am Samstagmorgen bei einem Breathing-Workshop erholen kann. Tief durchatmen!