Hengameh Yaghoobifarahs Debüt-Roman

Extrem laut und unglaublich nah

Hengameh Yaghoobifarah
Foto: Tarek Mohamed Mawad

Hengameh Yaghoobifarah

Mit Kolumnen in der "Tageszeitung" ist Hengameh Yaghoobifarah zu einer der polarisierendsten Figuren der deutschen Medienlandschaft geworden. Der Roman "Ministerium der Träume" ist ganz anders: komplex und berührend

Es brennt. Da ist eine Telefonzelle, davor eine Schlange apathisch Wartender. Und eine Ich-Erzählerin, die um Leben und Tod nicht warten kann, die unbedingt telefonieren muss. "Meine Panik ist ein geplatztes Rohr, sie bricht über mich herein, erst fällt sie mir auf den Kopf, dann stehe ich mit dem ganzen Körper im Abwasser, umgeben von Ratten." Hengameh Yaghoobifarahs Romandebüt beginnt mit einer Albtraumsequenz. Nur ein Traum? Die Angst ist real, sowohl für die 1991 in Kiel geborene Autor:in, als auch für die – wie Yaghoobifarahs Eltern – aus dem Iran stammende Hauptfigur des Romans, Nasrin, die es im Iran-Irak-Krieg ins frisch vereinigte Deutschland verschlagen hat.

"Ministerium der Träume" ist ein vieldeutiger Titel, man muss an Graham Greenes von Fritz Lang verfilmte Novelle "Ministry of Fear" denken, wobei in Yaghoobifarahs Roman gewisse Züge eines Paranoia-Thrillers mitschwingen. Sicher spielt auch der Disput anlässlich von Horst Seehofers 2018 um den Begriff "Heimat" erweitertes Innenministerium hinein. Yaghoobifarah, Mitherausgeber:in des Essaybandes "Eure Heimat ist unser Albtraum" (2019), hat sich mehrfach kritisch über einen unreflektierten Heimatbegriff geäußert. Sehr verärgert hat sich wiederum Seehofer zwei Jahre darauf gezeigt, als er ankündigte, die "Taz"-Autor:in zu verklagen. Die Kolumne "All cops are berufsunfähig" (Juni 2020 in der "Tageszeitung"), in der über die Abschaffung der Polizei sinniert und deren Beamte ausnahmslos auf die Mülldeponie gewünscht wurden, machte Yaghoobifarah zur Streitfigur des Jahres.

Mit einer cleveren KaDeWe-Fotoperformance, die Konsumismus und Schönheitskult implodieren ließ, hat die sich als nichtbinär charakterisierende Yaghoobifarah wenige Wochen später angedeutet, dass da mehr ist als linke Phrasendrescherei und Tastatur-Furie. Mit dem ersten Roman beweist die Autor:in nun, dass sie wirklich schreiben kann. Die Hauptfigur – die man trotz mutmaßlicher Gemeinsamkeiten natürlich nicht mit ihrer Schöpfer:in verwechseln sollte – kommt den Lesenden so nahe, dass man die Welt durch Nasrins Augen zu sehen meint. Es ist eine quasi-körperliche Nähe, die zur Protagonistin aufgebaut wird, die Kette raucht und Komasaufen praktiziert, der oft schlecht wird und die regelmäßig ein Telefonklingeln hört, das offenbar nur in ihrem Kopf existiert.

Macht ist geil

In der sich mit Rückblenden in die frühen 1990er abwechselnden Gegenwartsebene in Berlin arbeitet Nasrin als Türsteherin eines queeren Clubs. Und nicht nur, wenn sie dort eines nachts ihre Kompetenzen überschreitet und Gewalt gegen einen renitenten Clubgast anwendet, betrachtet man diese Borderlinerin immer wieder mit gebührender Distanz. "Meine inneren Jalousien fahren runter, vielleicht sind es auch epische Opernvorhänge, hinter meiner Stirn blinkt es jedenfalls 'Showtime'. Ich sehe in dem Raum nichts mehr außer dieser einen Person. Ich zerre sie aus dem Laden, sie wehrt sich, aber ich bin stärker, und ich schubse sie draußen auf den Boden, knie mich über sie, halte ihre Arme fest, keuche." Macht ist geil.

Etwa 1974 im Iran geboren, ist Nasrin mit ihrer Mutter und der jüngeren Schwester Nushin aus Teheran nach Lübeck geflohen. Sie kommen in den frühen 1990ern in ein Deutschland, in dem in Hoyerswerda oder Mölln Asylbewerberheime brennen. Es fällt schwer, hier wirklich Wurzeln zu schlagen. Der Tod des Vaters, der eigentlich nach Deutschland nachreisen sollte, aber im Iran gehenkt wird, lässt die Mutter innerlich erstarren. Nasrins Outing als Lesbe führt dazu, dass der Kontakt zur Mutter zeitweilig ganz abbricht. Die Schwestern, die umso enger zusammengerückt sind, sagen Lübeck Farewell und hauen nach Berlin ab.

Am Anfang des Romans ist Nushin, die sich als Sexarbeiterin verdingt hat, bei einem Autounfall gestorben. Zurück bleibt auch Nushins 13-jährige Tochter Parvin, zu deren Vormund Nasrin bestellt ist. Während die Vergangenheitsebene vom innigen Verhältnis der Schwestern erzählt, dominiert in der Gegenwart die konfliktreiche Beziehung zwischen Nichte und Tante, die in der Wohnung der Verstorbenen zusammenleben. Nasrins Entwicklungsprozess schließt auch die Erkenntnis ein, dass das Kind, das sie erziehen zu sollen meint, ihr bestürzend ähnlich ist – und nicht selten überlegen. Die zwischen Witz und Dramatik flirrenden Generationenkämpfe schildert Yaghoobifarah in eindrücklichen Szenen. Die Autor:in – vom Alter her übrigens exakt auf halber Strecke zwischen der pubertierenden Parvin und der von Gefühlsschwankungen fast zerrissenen Nasrin – kann sich unglaublich gut in ihre Figuren einfühlen.

Das Klingeln hallt nach

Natürlich will man wissen, wie Nushin eigentlich wirklich zu Tode gekommen ist. Nasrin versteift sich erst auf eine Selbstmord-These. Aber es gibt Dinge über Nushin, die Nasrin nicht weiß. Im letzten Drittel wird "Ministerium der Träume" fast zu einem Kriminalroman. Yaghoobifarah spielt mit trivialen Versatzstücken und Rollenmustern, etwa wenn Nasrins Jugendflamme Filiz rabiate Foltermethoden wie in einem FBI-Reißer anwendet. Neonazis, NSU-Terror und die Frage, wie man sich wehren kann, wenn die Polizei nicht hilft, ziehen sich leitmotivisch durch die Erzählung.

Außerdem wird ein Missbrauch angedeutet: "Am letzten Tag meiner Kindheit war ich 12", erzählt Nasrin. "Der Tag, an dem ich vom Mädchen zur Lücke, als mein Gedächtnis zum Netz wurde, begann wie jeder andere Tag in den Sommerferien auch." Die Dissonanzen, die sich in surrealen Flashbacks mitteilen, werden nie ganz aufgelöst. Und auch der "Kriminalfall" bleibt lückenhaft, erschließt sich nur so halb. Gut so. Die Gefahr (des Extremismus, von Rassismus und Xenophobie) kann eben nicht in der Manier eines Prime-Time-Krimis gebannt werden. Am Ende schrillt noch einmal Nasrins inneres Telefon. Nicht nur dieses Klingeln hallt beim Leser lange nach.