Erzgebirge im Miniaturformat

Heimat mit Ecken und Kanten

Seit über 100 Jahren gibt es das Erzgebirge auch als Miniaturlandschaften. Unzählige Heimat- und Weihnachtsberge erzählen von der kleinen Welt in der guten Stube

Aus eigener Schaffenskraft heraus eine kleine Welt kreieren. Diese Schöpfersehnsucht inspiriert bis heute unzählige Menschen. Spieler erschaffen in Minecraft digitale Welten, Millionen pilgern zu der Modelleisenbahnanlage im Miniatur Wunderland. Bereits vor 100 Jahren gab es im Erzgebirge solche kreativen Köpfe, die Weihnachts- und Heimatberge erschufen. Findige Handwerker und ehemalige Bergleute bauten ganze Miniaturlandschaften, ähnlich einem Modelleisenbahngelände. Unter der Grundplatte sind sie oft mit einer aufwendigen selbst entworfenen Mechanik ausgestattet. Löst man die Mechanik aus, bewegen sich Figuren oder andere Elemente. An Heiligabend stellten die Erbauer die Berge in der guten Stube auf. Oft in einem Eckwinkel. Vorher wurde die ganze Adventszeit über an der Landschaft getüftelt, Schäden repariert und Anbauten vorgenommen, damit am Abend der Berg die Familie verzaubern konnte. An den folgenden Festtagen wurde er dann von den besuchenden Nachbarn und Verwandten begutachtet. 

Bei den Motiven eines Weihnachtsberges gibt es zwei Gruppen. Einerseits die Heimatberge, die das Alltagsleben im Erzgebirge darstellen. Oft werden dabei der Bergbau, Waldarbeiten oder das Dorfleben dargestellt. Andererseits gibt es die Weihnachtsberge, die auch als Oberbezeichnung dienen. Auf ihnen ist eine orientalische Szenerie mit Geschichten aus der Bibel zu sehen. Entsprechend des Anlasses steht die Geburt Jesu im Zentrum. 
 

In Schneeberg gibt es die größte museale Sammlung von mechanischen Heimat- und Weihnachtsbergen
Foto: Stephan Floss

In Schneeberg gibt es die größte museale Sammlung von mechanischen Heimat- und Weihnachtsbergen


Doch auch in Heimatbergen wird die Weihnachtsgeschichte oft thematisiert, jedoch angepasst an das Erzgebirge des 20. Jahrhunderts. Josef ist hier ein Bergmann, und statt der drei Weisen aus dem Morgenland ehren Bergbeamte in Paradetracht Jesus mit ihrem Besuch. Die Motivwahl zeugt von der Frömmigkeit der alten Erzgebirger. 

Auf der Suche nach den kleinen Teilen

Im 19. Jahrhundert war die Region bitterarm, der Erzbergbau wurde wegen mangelnder Ausbeute aufgegeben, und die Industrialisierung hatte sich dort noch nicht durchgesetzt. Geerbt hatten Erbauer der Weihnachtsberge von ihren Bergmannsvorfahren das Finden von Trost im christlichen Glauben. Mit den Bergen holten sie aus eigenem Können die Weihnachtsgeschichte in ihr Heim. Die Entstehung dieser Miniaturwelten steht im intensiven Verhältnis zwischen individuellem Tüftlergeist und gemeinschaftlicher Schöpfung. So gab es einsame Bastler, die in der Ruhe ihrer Werkstatt behutsam ihre Vision verwirklichten. Doch waren sie auf die Unterstützung ihres sozialen Netzwerkes angewiesen, um an benötigte Bauteile zu kommen. Zugleich taten sich im 19. Jahrhundert Schnitzer zusammen, die sich austauschten und im Team größere Projekte umsetzten. So entstanden im Laufe der Zeit gewaltige Weihnachtsberge mit Hunderten Figuren, die auch heute Besucher in Staunen versetzen. 

Die Ursprünge und die ersten Weihnachtsberge verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Während des 19. Jahrhunderts verbreiteten sie sich in den Stuben des Erzgebirges. Bereits zuvor sind mechanische Miniaturbergwerke aus dem Gebiet nachweisbar. Invalide Bergleute trugen diese Kastenbergwerke auf Jahrmärkte, um vor Schaulustigen die Arbeitsweise im Bergbau vorzustellen. Ein Reisebericht um 1800 schreibt von einem ganzen Industriezweig zur Herstellung von Modellbergwerken in Johanngeorgenstadt. Aus diesen Erfahrungen nahmen die frühen Bastler wahrscheinlich die Inspiration zum Bau von Weihnachtsbergen. Dieser Brauch wird bis heute im Erzgebirge noch vereinzelt gepflegt.