Frankfurt, Hauptwache, B-Ebene. Eine Etage unter der Erde wird schwer geschuftet. 3D-Druckmaschinen rattern, summen, süßes Ethylacetat liegt in der Luft. Zwischen Schnellimbiss, Änderungsschneiderei, Nagelstudio und Reisebüro hat HazMatLab Quartier bezogen. Ein, zwei Monate schon bespielt das Künstlerinnenkollektiv ein Ladenlokal in der Allianz-Passage, einem eigentlich ganz gemütlichen Teil des unterirdischen Einkaufsbereichs.
Überlegungen mit Katharina Schücke, die ein Drittel von HazMatLab stellt: Ob diese stilisierte Backsteinwand mit ihrer Wanduhr mal ein geheimes Fernsehstudio für "Friends" oder "Seinfeld" gewesen sein könnte? Schon tun sich neue potenzielle Erzählungen auf. Immer wieder schauen Passanten vorbei, fragen, ob man hier eigentlich auch etwas kaufen könne, gehen wieder hinaus oder wollen es dann erst recht genauer wissen. "Wir fühlen uns hier sehr wohl," bestätigt Schücke, die im Wechsel mit Sandra Havlicek und Tina Kohlmann Schicht im Kunstbetrieb schiebt. Detailfragen von Nicht-Kunstleuten gefallen ihr besonders: Was hier eigentlich genau produziert werde, welche Materialien zum Einsatz kommen, wie was verarbeitet wird.
Berechtigte Fragen, denn HazMatLab haben sich besonders spaßig ausschauende Materialien und Prozesse für die eigene Kunstproduktion gesucht. So gut, dass man sich leicht fragen kann, wieso nicht schon andere Künstlerinnen und Künstler auf die Idee gekommen sind, beispielsweise giftgrünen Schleim oder lösungsmittelgeschwängerte Nagellacke auf ihre bildhauerischen Qualitäten zu untersuchen. Materialien zwischen "Yps"-Heft, "Bravo Girl" und Zauberkasten.
Nagellack als bildhauerisches Gefahrengut
Alle drei haben an der Frankfurter Städelschule studiert und verfolgen eigene Arbeiten. In erster Linie sind sie Freundinnen, die künstlerische Kollaboration ergab sich irgendwann ganz natürlich. Fast schon Legende sind ihre gemeinsamen Nagellack-Sessions, bei denen feinste Farben und neue Designs ausprobiert werden. Aus denen erwuchsen irgendwann die ersten "Slumpings", skulpturale Berge aus Nagellack, bei denen jede aufgetragene Schicht feinsäuberlich dokumentiert wird.
Hier fand das Kollektiv schließlich auch zu seinem Namen – die Anfrage nach Nagellack-Sponsoring durch einen großen Hersteller musste dieser mit dem Hinweis absagen, der Versand solch gefährlicher Materialien, "hazardous materials", sei leider verboten. Ergo: HazMatLab. Damit war irgendwie auch das Setting schon vorgegeben, das fortan als Laboratorium inszeniert wird.
Mal begeben sich die Künstlerinnen in einer Ausstellung auf die Suche nach der besten Schleimrezeptur, mal lassen sie andere für sich arbeiten. Im letzten Sommer bespielten Schücke, Kohlmann und Havlicek die Offenbacher Kressmann-Halle mit mehreren 3D-Druckern, die sie als Kollaborationspartner für sich arbeiten ließen. Die koreanische Schönheitsindustrie mit ihren geheimnisvoll angepriesenen Rezepturen von Korallen oder Tierschleim lieferte die Vorlagen für Skulpturen, die aus einzelnen gedruckten Parts zusammengesetzt werden. Fehler, wechselnde Oberflächen von changierend-samtig bis glatt und unterschiedliche Farben werden gezielt in diesen Arbeitsprozess integriert.
Arbeitsprozesse sind sexy
Im unterirdischen Einkaufspassagen-Labor lässt das Kollektiv nun zwei liebgewonnene Produktionen gegeneinander antreten: die händisch aufgetragenen Nagellack-Skulpturen und die mächtigen 3D-Drucker, die allerdings auf andere Weise reichlich Unterstützung durch die Künstlerinnen benötigen. Anfangs gab es viele Probleme und Druckabbrüche, inzwischen hat man sich ein wenig besser auf die Logik der Maschinen eingestellt. Leichter macht die Mensch-Maschine-Kooperation die Arbeit nicht unbedingt, interessanter schon.
Arbeitsprozesse sind sexy, das wissen HazMatLab zu gut. Die Strichlisten, Dokumentation jeder einzelnen Lackschicht eines "Slumpings", finden ebenso Einzug in ihre Präsentationen wie Detaillleuchte, Polierbürste und ausgefranste Fasern, die den geheimnisvollen Korallenskulpturen wie farbige Spinnweben anhaften. Das wirklich Schöne an diesem Kunstlabor ist, dass (fast) alles offen zu Tage liegt und man am Ende trotzdem kaum besser weiß, was hier eigentlich genau vor sich geht.