Farben müssen angeordnet werden wie Sterne in einer Himmelkonstellation, fand die norwegische Künstlerin Harriet Backer. Die Zeitgenossin von Edvard Munch lernte in Paris und München Malerei, gründete in Oslo eine eigene Schule und gehört zu den bedeutendsten skandinavischen Künstlerinnen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Trotz eines beeindruckenden Werks und ihrer bewegten Lebensgeschichte scheint sie, zumindest jenseits der Grenzen Norwegens, für eine Weile in Vergessenheit geraten zu sein.
Harriet Backer wurde im Januar 1845 in der am Oslo-Fjord liegenden Stadt Holmestrand als zweite von vier Schwestern in eine kreative Familie geboren. Nicht nur sie wird im Laufe ihres Lebens eine Karriere als Künstlerin machen: Während ihre Schwester Magda sich ebenfalls der Malerei hingab, widmeten sich Inga und Agathe der Musik. Die Schwestern wuchsen wohlhabend auf, ihr Vater, Nils Backer, der aus den Niederlanden stammte, war Konsul, Schiffsbesitzer und Holzhändler.
Im Alter von zwölf Jahren, als die Familie gerade nach Oslo umgezogen war, nahm Harriet Backer zum ersten Mal Malunterricht. Als junge Erwachsene begleitete sie Agathe auf eine Konzertreise durch Europa und nahm Unterricht in verschiedenen französischen Städten.
"Unglaublich langsam!“
Obwohl es zu Backers Lebenszeit für Frauen besonders schwierig war, ein Studium zu beginnen, zog sie im Alter von 29 Jahren für eine Vollzeitausbildung nach München, wo sie unter Eilif Pettersen lernte. Während dieser Zeit beschäftigte sie sich vorwiegend mit niederländischer Malerei und prägte in ihren eigenen Werken eine hohe Treue zum Detail aus.
Durch ihre Faszination für Claude Monet und seinen Einsatz von Licht zog Backer vier Jahre später nach Paris, wo sie sich ein Atelier mit der Künstlerin Kitty Kielland teilte, mit der sie gemeinsam Studienreisen in ihre norwegische Heimat und die Bretagne unternahm. "Harriet arbeitet unglaublich langsam. Aber so ist sie nun einmal - am Ende sind die Bilder dann eben auch fast perfekt!", soll ihre Atelierpartnerin einmal in einem Brief geschrieben haben.
Im Paris des späten 19. Jahrhunderts floriere die Kunstwelt, in zahlreichen Salons trafen sich Künstlerinnen und Künstler, die dem Impressionismus, Realismus oder der Plein-Air-Malerei verschrieben waren. Harriet Backer regte zu dieser Zeit den Dialog zwischen Kreativen aus Deutschland, Frankreich und den nordischen Ländern an und ließ sich vom Impressionismus inspirieren. Während sie bis dato im Stil des Realismus gemalt hatte, studierte sie nun intensiv den Einsatz von Licht, das sie trotz abstrahierender Einflüsse doch vor allem natürlich darstellen wollte.
Hinein in den Privatraum
Kompositionen von Interieurs in verschiedenen Stimmungen wurden zum zentralen Thema ihrer Malerei. Auch ihr eigenes Atelier in Paris bildete sie ab. Neben den Figuren, die sie in den Zimmern zeigt, interessierte sich Backer auch für die Räume als solche, die ihre eigenen Geschichten vom Alltag erzählten. Das Gemälde "Blått interiør" (Blaues Interieur), das bis heute zu Backers bekanntesten Werken gehört und erstmalig 1883 auf der Herbstausstellung in Oslo gezeigt wurde, illustriert ihren Stilwandel besonders deutlich.
Nach insgesamt 15 Jahren im Ausland kehrte Harriet Backer im Jahr 1988 endgültig nach Norwegen zurück und zog in die nicht weit von Oslo entfernte Stadt Sandvika. Dort setzte sie ihre Arbeit fort, die sich zwischen ihrem akademisch erlernten Realismus und den neuen Strömungen des Impressionismus bewegte. Obwohl Harriet Backer ursprünglich Porträtmalerin werden wollte, blieben die Darstellung von Einrichtung und Architektur ihr besonderes Steckenpferd.
Statt die gewählten Räume aufwendig in Szene zu setzen, besuchte sie häufig Familienmitglieder und Freundinnen in deren privater Umgebung und bildetet sie dort ab, wo sie lebten und arbeiten. Aus unterschiedlichen sozialen Schichten zeigt sie Frauen, die Klavier spielen oder sticken, genauso wie Bäuerinnen, die Handarbeiten erledigen oder ihre Kinder versorgen.
Einblick in die Gesellschaft
Gerade Frauen blieben während dieser häuslichen Tätigkeiten bis dahin für die Öffentlichkeit größtenteils unsichtbar. Durch diese Vielfalt an gezeigten Lebensrealitäten ermöglicht Backer einen Einblick in die norwegische Gesellschaft ihrer Lebenszeit.
Zu Beginn der 1890er-Jahre entdeckte sie Kirchenräume als neue Motivgruppe für sich, durch deren Abbildung sie christliche und nationale Themen in ihre Kunst einbrachte. In dieser Phase entstanden einige von Backers größten und wohl auch ambitioniertesten Arbeiten.
"Die Einrichtung der Tanum-Kirche ist eine der schönsten Dinge, die ich je gesehen habe", drückte Backer ihre Begeisterung in einem Brief gegenüber dem befreundeten Autor Arne Garbor aus. Das aus dieser Inspiration heraus entstandenes Gemälde "Taufe in der Tanum-Kirche", wurde schließlich auf der Weltausstellung von 1893 in Chicago gezeigt.
"Atmosphärisch mit der Umgebung verschmelzen"
Als Frau und Malerin ernstgenommen und beachtet zu werden, war für Harriet Backer in der männerdominierten Kunstwelt eine Herausforderung. Für die feministische Sache setzte sie sich mehr durch Taten als durch Worte ein und betrieb parallel zu ihrem eigenen künstlerischen Schaffen zwölf Jahre lang eine Malschule, in der insbesondere junge Künstlerinnen ausgebildet wurden. Zunehmend etablierte Backer sich international und zeigte ihre Gemälde in vielen europäischen Städten, darunter auf der Weltausstellung in Paris.
Für ihr Werk wurde sie mit unterschiedlichen Preisen, darunter der Silbermedaille der Exposition Universelle (1889), ausgezeichnet. Als Norwegerin wurde sie unter anderem durch die Verdienstmedaille des Königs in Gold und die Ernennung zum Ritter Erster Klasse des St.-Olav-Ordens geehrt. Der wohlhabende Industrielle und Kunstmäzen Olaf Fredrik Schou vergab von 1907 bis zu seinem Tod 1925 jährlich ein Kunststipendium an Harriet Backer, um sie als Malerin zu unterstützen.
Trotz einer Schaffensphase, in der sie ihren Fokus auf Stillleben legte, befasste sich Backer bis an ihr Lebensende kontinuierlich mit den Abbildungen von Räumen. In einem Brief an eine Freundin beschrieb sie ihr Ziel damit, Personen malen zu wollen, die "atmosphärisch mit ihrer Umgebung verschmelzen".
Plein-Air im Interieur
Dieser spezielle Stil wird in der Kunstwissenschaft als "Plen-Air im Interieur" bezeichnet. Zwar scheinen sich "Plein-Air" (das Malen unter freiem Himmel) und das Abbilden von Innenräumen zu widersprechen. Doch durch den Einsatz von natürlichem Licht und Figuren, die mit der Einrichtung harmonieren, spannt Backer einen Bogen zwischen impressionistischer und niederländisch inspirierter Malerei des 17. Jahrhunderts. Bis zu ihrem Tod 1932 schuf sie knapp 180 Kunstwerke.
Gerade wurde Harriet Backers Œuvre mit der Ausstellung "Every Atom is Colour" im neuen Nationalmuseum in Oslo gewürdigt. Die Schau führt durch die unterschiedlichen Schaffens- und Stilphasen der Künstlerin - und geht nun auf Reisen. Die Ausstellung wird in diesem Jahr ebenfalls im Stockholmer Nationalmuseum, im Musée d’Orsay in Paris und zuletzt im Kode-Museum in Bergen gezeigt.