Haar-Ausstellung in Essen

Gut gescheitelt

Von Kopf bis zum Intimbereich: Die Ausstellung "Grow it, Show it!" im Museum Folkwang in Essen widmet sich dem Kulturphänomen Haare und beschwört deren gesellschaftsverändernde Kraft

Warum tragen junge Frauen heute wieder massenhaft lange Haare? Glatt und gerade runter? Was sagt diese etwas einfallslose Hängepartie über den Stand des Feminismus aus? Und warum gibt Donald Trump jährlich 70.000 Dollar für sein gelbes Soufflé-Ungetüm in der Ästhetik des Show-Wrestlings aus, dem man das sündhaft teure Frisur-Styling gar nicht ansieht? 

Aber nein, mit haarsträubenden Geschichten rund um die Häupter geschmacksunsicherer Politiker muss man bei diesem musealen Ausflug in den Haarsalon nicht rechnen. Mit Angela Merkels Wandelbarkeit durch Macht, entlang ihrer Haarschnitte aus der Perspektive der Fotografin Herlinde Koelbl, jedoch durchaus. Die Langzeit-Serie mit der Ex-Kanzlerin in der Hauptrolle ist Teil der Ausstellung "Grow It, Show It" im Museum Folkwang in Essen.

Auch an politischen Botschaften von Bubiköpfen, Afros, Irokesen-Schnitten und Dreadlocks herrscht kein Mangel. Die Haltbarkeit der Corona-Mähne - wie war das mit dem Friseurbesuch als Faktor der Menschenwürde? - ist zwar längst abgelaufen. Aber sie ist noch gut genug in Erinnerung, um sich an den Myriaden von hochdefinierten Frisuren zu erfreuen, denen man hier auf dem Weg zur emanzipatorischen Erlösung begegnet. Ob zur Wärmedämmung, zum Schmuck oder Imponiergehabe. Das tierische Erbe der Behaarung hat immer schon den Distinktionswillen und das Ego beflügelt, in Zeiten von Social Media mehr denn je.

Haarige Erkennungszeichen der Subversion

In Essen dominieren dank des reichen Sammlungsbestands historische und zeitgenössische Fotografien, Videos, Plattencover, Werbung und Filmclips. Sie zeigen offenes und verdecktes Haar, Locken und Glatzen, Brust- und Rückenhaare. Die Zeitspanne reicht vom 19. Jahrhundert bis heute. Ein ganzer Schwerpunkt liegt auf der einflussreichen Rolle von Haaren in Afrika, der Schwarzen Diaspora und im postkolonialen Diskurs. Auch fehlen Jugendsubkulturen mit ihren frisurtechnischen Erkennungszeichen der bürgerlichen Subversion nicht.                                    

Die Vorliebe der Modefotografie für das Thema repräsentieren Helmut Newton, Chaumont-Zaerpour oder Suffo Moncloa, der die Kollektion der "Gucci Aria" mit Modellen besetzte, denen die magnetisch aufgeladenen Haare buchstäblich zu Berge standen. Kaum ein Aspekt, ob sozialer Status, Queerness, Spiritualität, oder Widerstand, den der etwas überladene Parcours nicht abdeckt. Vom Politischen handelt auch das 1968 am Broadway uraufgeführte Musical "Hair", aus dem der Ausstellungstitel entliehen ist: "Grow it, show it, long as I can grow it, my hair". 

Es gibt ein Wiedersehen mit John Lennon und Yoko Ono bei ihrem wuscheligen Hotel-Protest, mit August Sanders androgyner "Sekretärin beim Westdeutschen Rundfunk in Köln" von 1931 und mit Ana Mendieta, die sich 1972 ihrer berühmten "Gesichtshaartransplantation" mit dem Endergebnis eines Schnurrbarts unterzog. Durch das Auf und Ab des Erlaubten und Verdammten zu navigieren, macht keine Mühe, auch wenn am Ende ein gewisser Effekt der repetitiven Beliebigkeit nicht zu leugnen ist. Denn was vor 50 Jahren provokativ wirkte, erscheint heute harmlos. Mit Zöpfen, Stoppeln und entblößter Scham allein geht nun mal kein Ruck mehr durch die Republik.