Die Aldi-Tüte ist natürlich Günter Fruhtrunks berühmteste Gestaltung in den öffentlichen Raum hinein. Doch kann man sich seine roten, blauen, weißen, gelben, grünen oder schwarzen Farbriegel, die anlässlich des 100. Geburtstages des Künstlers dieses Jahr in Bonn, Wiesbaden und München zu sehen sind, eben mühelos noch in ganz anderen Kontexten jenseits der weißen Museumswand vorstellen. Tatsächlich hat der nachkriegsdeutsche Maler mit dem Audimax der ehemaligen Ingenieurschule für Maschinenwesen in Düsseldorf 1969 herausragende Kunst am Bau geschaffen, was außerhalb des Rheinlands sowie außerhalb einschlägig interessierter Fachkreise aber wohl erst mit den großen Jubiläumsschauen in den Fokus gerückt ist. Der flirrend-farbigen Architektur mit ihren umlaufenden, gestapelten, gegeneinander geschobenen, zwischendurch schräg gekippten Farbbahnen droht nun der Abriss.
Am 12. Juli veröffentlichte das Kunstmuseum Bonn einen Aufruf über seine sozialen Netzwerke, der auf das Schicksal des außergewöhnlich gestalteten Hochschulbaus aufmerksam machte: "Nach aktuellen Plänen soll das Gebäude samt Kunstwerk abgerissen werden, um einem neuen Gebäude der Hochschule Düsseldorf Platz zu machen. Unsere Häuser unterstützen ausdrücklich den Aufruf des Landschaftsverbands Rheinland, Möglichkeiten zum Erhalt dieses einzigartigen Baudenkmals erneut zu prüfen."
Besagter Landschaftsverband veröffentlichte erst kürzlich in seinem Heft "Denkmalpflege im Rheinland" ein Plädoyer für den Erhalt des Bauwerks mit der von Günter Fruhtrunk rundum gestalteten Fassade, die eine geradezu rhythmische Ausstrahlung entfaltet – nach der Vorstellung des Künstlers eine gewollte Verbindung zum menschlich-gesellschaftlichen Tun und Klingen. "Selten gehen Architektur und Kunst am Bau eine Symbiose ein, die es unmöglich macht, beide voneinander zu trennen", schreibt Sven Kuhrau dort. Und er beschreibt, wie stolz ein Münchner Galerist seinem Künstler seinerzeit zum Bau gratulierte: "Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Erfolg in Düsseldorf. Das Rheinland zu erobern, bedeutet sicher nicht wenig. Die wirklich geistig Ansprechbaren hier in München sind an einer Hand abzuzählen."
Fruhtrunk selbst war die Gestaltung des Audimax, insbesondere auch in seiner öffentlichen Funktion, sehr wichtig – gern hätte er das Modell auf der Documenta 4 ausgestellt, wurde dann aber nur mit seinen Bildern eingeladen. Ebenfalls bei Kuhrau nachzulesen ist übrigens, was aus dem dann abgerissenen Audimax werden soll: gar nichts. Zwar ist eine komplette Neugestaltung des Hochschulareals vorgesehen. Ausgerechnet an Stelle dieses Bauwerks aber sieht der Entwurf eine Freifläche vor.
Ob die Rufe aus Kulturbetrieben und Landschaftsverband laut genug hallen, um sich gegen die Pläne der Hochschule durchzusetzen? Finanzielle und energetische Argumente werden schnell ins Feld geführt, wenn es um den Abriss auch durchaus beliebter, angesehener Gebäude der letzten Jahrzehnte geht. Generell gebe es im Erhalt nachkriegsmoderner Architektur aktuell aber durchaus Anlass, "vorsichtig optimistisch" zu sein, wie Karin Berkemann von "Moderne Regional" auf Nachfrage sagt. Seit zehn Jahren schärft das Online-Magazin das öffentliche Bewusstsein für die Baukunst des 20. Jahrhunderts, insbesondere seiner kleineren Formate und Ausprägungen. "Grundsätzlich wird die Ausgangslage immer besser, weil man sich bewusster wird, wie wertvoll diese Bauwerke sind – einmal natürlich kulturell, dann aber auch durch die Diskussionen, dass Abriss nicht ressourcenschonend ist."
Das Label "Kunst am Bau", also die künstlerische Gestaltung von Fassadenflächen, steigere die Chancen auf einen Erhalt nochmals: "Das rührt man doch noch unlieber an als eine Fassade, die einen reinen Rauputz hat." Berkemann ist sicher, dass ein Umdenken stattgefunden hat. Was auch pragmatische Gründe haben mag: "Die zeitliche Distanz zum Bauwerk wird größer, und inzwischen sitzt eine jüngere Generation an den Positionen, die diese Entscheidungen trifft."
Who‘s afraid of black, red, white and blue? Man kann nur hoffen, dass die gestalterische wie auch gesellschaftlichspolitische Dimension von Günter Fruhtrunks Audimax-Fassade von den Entscheidungsträgern auch hier rechtzeitig erkannt und berücksichtigt wird. Eine andere architektonische Arbeit, Fruhtrunks "Quiet Room" im Uno-Gebäude in New York, ist längst rückgebaut worden.