Diebstahl im Grünen Gewölbe

"Solange wir nicht wissen, dass die Juwelen zerstört sind, bleibt Hoffnung"

Polizeifoto einer vermissten Brustschleife aus dem Grünen Gewölbe in Dresden
Foto: Grünes Gewölbe/Polizeidirektion Dresden/dpa

Polizeifoto einer vermissten Brustschleife aus dem Grünen Gewölbe in Dresden

Die Polizei hat in Berlin drei Tatverdächtige für den Juwelendiebstahls von Dresden festgenommen. Von der Beute fehlt jedoch jede Spur. Ulli Seegers, Expertin für vermisste Kunst, hält ein Wiederauftauchen für möglich, aber eher unwahrscheinlich

Fahndungserfolg der Soko Epaulette: Beinahe ein Jahr nach dem aufsehenerregenden Einbruch ins Dresdner Grüne Gewölbe gab es am Dienstagmorgen Durchsuchungen und Verhaftungen. Die Spur der geraubten Juwelengarnituren führte nach Berlin-Neukölln, ins "Clanmilieu". Die Geschichte um die gestohlenen sächsischen Juwelen scheint nun endgültig alle Zutaten für einen spannenden Thriller zu liefern: Diamanten von unschätzbarem Wert und organisiertes Verbrechen, das mit äußerster Kaltblütigkeit vorgeht.

Zwar sind noch immer keine der gestohlenen Stücke wieder aufgetaucht, trotzdem klang in der Presseerklärung der Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen, Marion Ackermann, Hoffnung an, "dass  die  Juwelengarnituren  gefunden  werden  und bald wieder an ihren angestammten Ort zurückkehren können."

Nachfrage bei Ulli Seegers, Professorin für Kunstvermittlung an der Heinrich Heine Universität in Düsseldorf und frühere Leiterin des deutschen Registers für vermisste Kunst: Ist die Hoffnung berechtigt?

"Na klar, solange wir nicht sicher wissen, dass die Juwelen-Garnituren zerstört sind, bleibt die Hoffnung! Manchmal tauchen gestohlene Stücke auch erst nach Ablauf der Verjährungsfrist von 30 Jahren wieder auf. Aber bei Sammlerstücken mit hohem Materialwert, zum Beispiel Diamanten oder Gold, ist das eben leider eher selten."

Der smarte Gentleman-Dieb à la Thomas Crown ist Stoff für Hollywood

Seegers gehört zu den häufig befragten Expertinnen im Kontext von Kunstraub. Sie hat bereits in früheren Interviews erklärt, dass es Banden immer häufiger auf Kunstwerke mit hohem Materialwert abgesehen haben. Anders als Gemälde, die eindeutig erkannt werden können, sind Diamanten nach einem Umschliff nicht mehr zu identifizieren. Umso wahrscheinlicher ist es, dass die Diebe die Stücke in Einzelteile zerlegt haben – schließlich gingen die Bilder der gestohlenen Diamantengarnituren um die Welt.

Aber auch das Vorgehen der Täter erzeugte Empören und Erstaunen. In der kulturellen Fantasie, in Filmen und Serien, erscheint der Juwelendieb als smart und listig, hier aber war das Vorgehen in jeder Hinsicht brutal. Ob das typisch ist für den Raub von Kunstwerken aus Museen, frage ich Ulli Seegers. "Genau, der smarte Gentleman-Dieb à la Thomas Crown ist Stoff für Hollywood, realistischer ist das unglaublich dreiste, brutale und dreckige Vorgehen wie beim Kunstraub im Grünen Gewölbe."

Nun erfährt man zu den mutmaßlichen Tätern, dass sie zu einem arabischen "Clan" gehören sollen, der unter anderem auch für den spektakulären Raub im Bode-Museum verantwortlich sein soll. Dass die Spur zu einer Bande führt, ist für Seegers nicht überraschend: "Zu den Ermittlungen in Berlin kann ich nichts sagen, da ich die Hintergründe nicht kenne. Tatsache ist aber, dass wir es in der Kunstkriminalität zunehmend mit internationalen Banden zu tun haben. Die organisierte Kriminalität hat längst auch den Kunst- und Kultursektor erreicht."

Sichtbarkeit weckt Begehrlichkeit

Das mag auch daran liegen, dass Juwelen von solchem Wert für gewöhnlich in Tresoren gelagert werden. Museen wie das Grüne Gewölbe, buchstäblich als Schatzkammer für die Augen der Öffentlichkeit angelegt, müssen sich dem Problem stellen, dass die Sichtbarkeit der Schätze Begehrlichkeiten weckt. Das galt selbst für Zeiten, als die breite Öffentlichkeit die Kunstschätze nicht zu Gesicht bekam. So kennt das Grüne Gewölbe eine historische Diebesfigur in Person des Mannes, der die Schätze eigentlich sichern sollte: Inspektor Peter Ludwig Heinrich von Block (1764 - 1834) präsentierte einst staunenden Besuchern wie Johann von Goethe seine reich bestückte, private Kunstsammlung. Allein, viele Stücke stammten aus dem Grünen Gewölbe. Der Dieb verteidigte sich, er habe der Wissenschaft zuliebe gehandelt. Man schmunzelt; mit Blick auf die Diebe heute will einem das Schmunzeln nicht so recht gelingen.

Das Unbehagen heute wird womöglich von Ressentiment verstärkt, schließlich handelt es sich (mutmaßlich) um eine arabische Diebesbande. Umso mehr mag das Gefühl entstehen, dass "uns" ein Teil "unserer kulturellen Identität" geraubt wurde, wie auch Monika Grütters vor einem Jahr im Kontext des Diebstahls im Grünen Gewölbe erklärte. Gemeine Frage an Ulli Seegers: Sind die Diamanten, die am sächsischen Hof von August dem Starken gehortet wurden (und letztlich auch Produkte globaler Ausbeutung sind - stammen viele doch aus Afrika und Asien) im positiven Sinne Teil "unserer" kulturellen Identität?

"Jedes Museum und mit ihm die Kunstwerke darin haben identitätsstiftende Wirkung. Dieser Gedanke bildet ja erst die Geburtsstunde des Museums, wenn man sich den Louvre in Paris anschaut. Kunst und Kulturgüter sind neben ihrer ästhetischen Bedeutung immer auch kulturelle Zeugnisse, die eng mit der Geschichte verbunden sind. Und insofern steht der Juwelenschatz August des Starken natürlich in ganz besonderer Weise für die Geschichte Dresdens und Sachsens. Für andere geht es nur um teure Stücke, die sich schnellstmöglich verscherbeln lassen – in welcher Weise und in welcher Form auch immer."