"Down to Earth" im Gropius Bau

Der (Erd-)Boden der Tatsachen

Kunst betont schon lange, wie wichtig unsere Umwelt ist – im Widerspruch zum klimaschädlichen Kunstbetrieb, der sie ausstellt. Der Berliner Gropius Bau will sich deshalb in seiner neuen Schau auch an die eigene Nase fassen

In seinem 2018 entstandenen Essay "Das terrestrische Manifest" analysiert der französische Anthropologe, Soziologe und Wissenschaftsphilosoph Bruno Latour die aktuelle politische Herangehensweise zur nahenden Klimakatastrophe und macht Vorschläge, wie globale Klimapolitik neu kalibriert werden kann. Wichtig sei es in dieser unsicheren Zeit, in der die Grundlagen unseres Lebens auf der Erde nicht mehr selbstverständlich sind, festen Boden unter den Füßen zu gewinnen (der Titel im französischen Original lautet "Où atterrir?", also "Wo landen?"), sich neu zu orientieren und zu realisieren, dass jede Handlung globale Konsequenzen in sich trägt. Die englische Version des Essays heißt "Down to Earth" und gibt der diesjährigen Ausgabe der "Immersion"-Festspiele im Berliner Gropius Bau ihren Titel.

Nach Latours Vorbild stellt die von Berliner-Festspiele-Intendant Thomas Oberender initiierte Ausstellung deshalb hohe Ansprüche an sich selbst: Der "Klima Kunst Diskurs Unplugged", so der Untertitel, soll also nicht nur innerhalb der Kunstwerke stattfinden, sondern sich vor allem auch selbstkritisch mit der Klimabilanz des eigenen Ausstellungsbetriebs auseinandersetzen. Es ist ein Experiment darüber, ob und wie Ausstellungen energiesparender und klimafreundlicher auf die Beine gestellt werden können, ohne inhaltliche Qualität einzubüßen.

Einen Monat lang finden  und zwar völlig ohne Strom  Dutzende Workshops, Konzerte, Lesungen und Gespräche zu Natur- und Nachhaltigkeitsthemen statt (Monopol sprach mit Konstanze Meyer über ihren Vortrag zu Clubkultur und Klimaaktivismus). Der semi-permanente Grundstein von "Down to Earth" aber ist ein Ausstellungsparcours, der sich in 14 Räumen über beide Flügel des Erdgeschosses sowie den angrenzenden Südhof erstreckt. Auf unterschiedliche Art und Weise setzen sich über 20 Künstler und Künstlerinnen in Skulptur, Performance, Fotografie und Installation mit der Erde, Natur, Umwelt oder dem Ozean auseinander.

Sterilisierte Erde

Da ist zum Beispiel die fotografische Dokumentation von Agnes Denes' "Wheat Field" (Weizenfeld) zu sehen, das die als Gründerin der Environmental Art geltende Künstlerin 1982 neben dem damaligen World Trade Center pflanzte. Alicja Kwade ist mit der endlosen Oberflächenvermessung einer unfertigen Steinskulptur beschäftigt, Kirsten Pieroth befördert eine Neuköllner Pfütze ins Museum, Yngve Holen präsentiert ein viergeteiltes Auto wie Kuchenstückchen, und Vibha Galhotras Bienenstock aus tausenden kleinen Metallglöckchen wirkt ohne das charakteristische Summen gar nicht mehr so bedrohlich.

In zwei Räumen kuratierte Stefanie Hessler die Subausstellung "Rising Tides" mit Fotografien und Forschungsprojekten zum Thema Ozean. Auch die Satelliten-ähnlichen Aufnahmen von Andreas Gursky zeigen das Gewässer, das ja immerhin zwei Drittel der Erdoberfläche bedeckt, in all seiner Weite und Wucht.

Andere, konzeptionellere Arbeiten wirken in ihrer Ausführung zunächst etwas banaler, als es die großen Worte im Ausstellungs-Booklet vermuten lassen. Bei "Absorption", einer Arbeit des Amerikaners Asad Raza, handelt es sich auf den ersten Blick schließlich bloß um einen raumfüllenden Haufen Erde. Interessanter wird er aber vor dem Hintergrund, dass "lebende Erde" eigentlich nicht in Ausstellungshäuser darf; sie muss vorher auf über 50 Grad erhitzt werden. In einem Prozess aus regelmäßigem Umgraben und täglicher Anreicherung der Erde mit Zutaten wie Kakao, Holz oder Haaren ist "Absorption" also ein Versuch, die für den Kunstbetrieb sterilisierte Erde wieder fruchtbar zu machen.

Zurückbesinnung auf das Wesentliche

Und der simple körperliche Akt, sich hinunter zur Erde zu bücken, sie zu bearbeiten, zu pflegen und wertzuschätzen, steht im Grunde im völligen Einklang mit dem Konzept von "Down to Earth", also sowohl mit Bruno Latours Fokus auf Neuorientierung und Rückbesinnung zum Wesentlichen, als auch mit der englischen Wortbedeutung: "Down to earth" meint im Englischen schließlich so viel wie sachlich, unprätentiös, bodenständig. "Für mich fühlt sich das fast meditativ an", sagt einer der Mitwirkenden, der die Erde so systematisch umgräbt. Selbst erleben kann man diese bewusste Rückbesinnung in dem von Latour und Wissenschaftshistorikerin Frédérique Aït-Touati gestalteten "Working Space". In einer schriftlichen Übung der Selbstbeschreibung kann man dort, angeleitet von einem Mithelfer, persönlich darüber philosophieren, welche Werte, Personen oder Materialien einem im Leben Halt geben.

Ähnlich wie Raza in "Absorption" spielt auch der argentinische Architekt, Performance- und Installationskünstler Tomás Saraceno mit den strikten Rahmenbedingen institutioneller Ausstellungshäuser. Ein tiefgehendes Interesse an Spinnen führte ihn dazu, innerhalb seines Studios ein Arachnophilia-Team zu gründen, das sich der künstlerischen Auseinandersetzung mit den Tieren und ihren Lebensräumen widmet. Während in vielen Ausstellungshäusern ihre Netze entfernt werden, werden die Spinnen im Gropius Bau als rechtmäßige Bewohner akzeptiert und künstlerisch inszeniert.

Eigene Verantwortung

Doch ist es essenziell, dass "Down to Earth" noch einen Schritt weiter gehen will, als "nur" künstlerische Denkanstöße zum Klima zu präsentieren. Denn während Kunst den Wert der Natur und die verheerenden Folgen des Klimawandels bereits seit Jahrzehnten behandelt, bleibt der Kunstbetrieb weiterhin weitestgehend abhängig von umweltschädlichen Prozessen, von ständigen Flugreisen bis zur aufwendigen Klimatisierung der Räumlichkeiten und Depots.

Deshalb sollen auch das eigene Betriebssystem und der eigene Energieverbrauch kritisch hinterfragt, und die strengen Ausstellungsregeln im Kunstbetrieb zugunsten des Klimas temporär aufgelöst werden. Viele der Arbeiten wurden eigens für das Projekt "unplugged" die adaptierten Versionen funktionieren ohne Strom, Bandmusik, Videoleinwände, Scheinwerfer oder sonstige technologische Hilfsmittel. Keiner der Mitwirkenden reiste per Flugzeug an und alle Info-Materialien sind auf recyceltem Papier und mit umweltfreundlicher Algae Tinte gedruckt. Eine beachtliche Liste, die beweist, dass es durchhaus umsetzbare Möglichkeiten gibt, um Ausstellungen nachhaltiger zu gestalten.

Im Booklet, das man zu Beginn des Besuchs erhält, sind konkrete Informationen und Statistiken zur Emission des Gropius Bau aufgeführt. So erfährt man, dass 2018 insgesamt 6.944.000 Liter Wasser (im Schnitt 22,34 Liter pro Besucher!) und 140.000 Blatt Papier verbraucht wurden. Fast 100.000 Kilometer wurden 2018, bedingt durch zunehmende Internationalisierung und Programmdichte, für Dienstreisen per Flugzeug zurückgelegt. Auch hat der Gropius Bau wegen seiner Raumgrößen, Ausstellungsdichte, Beleuchtung und Klimatisierung den höchsten Wärme- und Stromverbrauch der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH. 2013 wurden bereits einige Maßnahmen vorgenommen, um den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, zum Beispiel mit dem Umstieg auf Ökostrom und der Regelung, dass Dienstreisen von unter fünf Stunden mit der Bahn zurückzulegen sind.

Versteckt statt offen präsentiert

Schade ist allerdings, dass es in der permanenten Ausstellung keinen physischen Raum gibt, der sich diesem expliziten Hinterfragen des institutionellen und projektbezogenen Ressourcen-Verbrauchs widmet. Wenn es eines der Hauptziele der Ausstellung sein soll, über die Präsentation von Klima-Kunst hinaus auch das eigene Betriebssystem zu "erforschen, veröffentlichen und optimieren" (Zitat), werden die im Booklet verborgenen Auflistungen diesem Anspruch nicht ganz gerecht.

Natürlich steckt es inhärent im Konzept der Schau, dass das Ausstellungshaus dem Ziel der Nachhaltigkeit nachgeht, doch wäre eine Räumlichkeit, in der diese Fragen interaktiv behandelt und offen diskutiert werden können – in ähnlicher Form wie der "Working Space" von Latour und Aït-Touati zum Beispiel der interdisziplinären Schlagkraft der Schau zugute gekommen. Denn selbst wenn einige Aspekte sicherlich in dem umfangreichen Rahmenprogramm angesprochen werden, bleiben sie beim regulären Ausstellungsbesuch ein wenig auf der Strecke.

"Willkommen zu dieser Situation"

Ein Highlight von "Down to Earth" ist die Situation, die Besucher erwartet, wenn sie den hintersten Raum im Ostflügel des Erdgeschosses betreten. "Welcome to this situation begrüßen einen dort sechs Performer im Chor, bevor sie eine nachdenkliche Konversation zu einem bestimmten gesellschaftlichen Thema miteinander beginnen, sei es religiöse Sozialisation oder die Rolle von Mikroorganismen auf dem menschlichen Körper. Die bedächtig-eloquente Ausdrucksweise und verlangsamten Bewegungen aller Beteiligten lassen eigentlich ein Script vermuten, doch dann wieder werden höchstpersönliche Anekdoten geteilt oder Zuschauer spontan ins Gespräch miteinbezogen. Auflösungen zu den diskutierten Fragestellungen werden allerdings niemals erreicht, denn sobald jemand neues den Raum betritt, wird zurück auf Anfang gespult: Die Interpreten atmen scharf ein, bewegen sich rückwärts, begrüßen den Neuankömmling "zu dieser Situation" und besprechen prompt ein völlig neues Thema.

Die konstruierten Situationen, die aus dem Kopf des deutsch-britischen Künstlers Tino Sehgal stammen, spiegeln in gewisser Weise den gesamten Spirit der Schau wider. Einerseits, weil auch "Down to Earth" durch einen einzigen Besuch nicht vollständig fassbar ist. Mit stetig wechselnden Performances und dem vielfältigen Programm aus Lesungen, Workshops, Konzerten und Gesprächen ist die Ausstellung stets im Wandel und jeden Tag anders  jeden Tag eine neue Situation. Andererseits erinnern die nie völlig zu Ende gebrachten Diskussionen daran, dass Klima-Kunst und Klima-Kunst-Schauen zwar oftmals wichtige Ansätze und Fragestellungen aufwerfen, greifbare Antworten oder in der Realität anwendbare Lösungen aber doch nur selten erreicht werden können. "Coming down to earth" heißt eben auch, auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die in der Ausstellung und den zugehörigen Diskursen entwickelten Ideen auch nachhaltig etwas in der Ausstellungspraxis des Gropius Bau verändern werden können.