Klaus Mai, wie geht man als Gestalter an den Auftrag dran, ein Plattencover zu gestalten?
Ganz einfach, man bekommt vom Label ein Musik-Demotape, den Albumtitel und den Bandnamen. Der Titel "Tripomatic Fairytales" eröffnet von sich aus schon eine große Bildwelt, und im Techno-Genre hatte ich auch genügend Erfahrung.
Was war das Besondere, das Neue an "Tripomatic Fairytales 2001" aus dem Jahr 1993?
Jam & Spoon waren Pioniere des Trance-Techno, und sie waren auch die ersten, die als Techno-Formation bei einem Major-Label, Sony Music, unterschrieben. Damit einher ging die Anforderung, einen radiotauglichen Titel in das Album aufzunehmen. Alle Tracks sind gut. Es gibt kein Füllmaterial. Und die Produktionsqualität war so hoch, dass es beim Remastern für das Jubiläum 30 Jahre später nichts zu tun gab.
Welche Fragen stellten sich beim Designprozess?
Ich stellte mir die Frage, ob das Cover dem typischen Techno-Design der Zeit entsprechen sollte oder ob es besser wäre, dem einzigartigen Beat von Jam & Spoon eine visuelle Entsprechung zu geben. Ich entschied mich für das zweite.
Ich erinnere mich daran, wie man neue Schriften, neue Grafikprogramme oder einfach nur ein neues Tool sofort auf Flyern und in Magazinen finden konnte.
In der damaligen Zeit waren Computer noch relativ neu, und das Aussehen wurde häufig von der aktuellen Software bestimmt, wie zum Beispiel 3D-Programme und Photoshop. Insbesondere im Bereich der Clubkultur entwickelte sich ein eigenes Verständnis für Design und Ästhetik. Es wurde experimentiert, und es wurde auch bewusst darauf verzichtet, sich an gängige Gesetze und Normen zu halten.
Stimmt es wirklich, dass damals alles möglich war? Das ist doch im Design eigentlich gerade nicht der Fall …
Doch, die gesellschaftliche Dynamik nach dem Ende des Kalten Krieges eröffnete fortwährend neue Möglichkeiten, und das beeinflusste die Designästhetik maßgeblich. Die Designer waren jung und neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen. Mit Computern war es zum ersten Mal möglich, den gesamten Prozess von der Entwurfsphase über die Typografie und Satzgestaltung bis hin zur Druckvorlagenherstellung selbst zu steuern. Das war bahnbrechend, nicht nur weil es schneller und günstiger wurde.
Die visuelle und kreative Techno-Welt war damals in Deutschland stark subkulturell geprägt, wer kam zuerst auf die Idee, das wirklich als Strömung einmal festzuhalten und zu sammeln?
Das war die Werbeagentur "Die Gestalten" mit dem Buchprojekt "Localizer 1.0". Es wurde von unterschiedlichen Leuten aus der Techno-Subkultur gestaltet, fotografiert und getextet. Was erstaunlich gut funktionierte, obwohl das Projekt viele Macher hatte. Darunter Designer's Republic, Eike König und ich. Das Buch war auch die Geburtsstunde des Gestalten-Verlags, den es bis heute gibt. Grafiker und Musiker oder DJs gehörten der gleichen Szene an und hatten eine ähnliche Arbeitsweise. Diese Nähe und die viel größeren Freiheiten durch viele kleine Labels, hatte den positiven Effekt, dass sich rasch ein szenetypischer Look entwickeln konnte, der schließlich stilbildend für die Zeit wurde.
Wir sprechen von den frühen 1990er-Jahren, welche anderen Labels und Akteure waren jenseits des Musikalischen in der Clubszene wichtig?
In der Mode machten Apollo, Groopie oder Sabotage neue Sachen, es gab die Magazine "Groove", "Frontpage" oder "Partisan". In der Kunst kennt man heute noch Jim Avignon.
Welche Erinnerungen haben Sie an die frühen Love Parades?
Das Album war Mark Spoons Beitrag zur Loveparade, die Frankfurter Delegation reiste mit dem Love-Train nach Berlin. Die Rave-Kultur war auf dem Höhepunkt, und es wurde vor einer historischen politischen Kulisse getanzt. In gewisser Weise finden sich diese Hoffnungen, Freuden und Freiheiten in Jam & Spoons frei denkendem und regellosen Ansatz wieder. Die Produktion von "Tripomatic Fairytales" ist besonders faszinierend, wenn man sie aus dem Blickwinkel der damaligen Ereignisse betrachtet. Die Arbeit im Studio begann unmittelbar nach der Wiedervereinigung, nach dem Ende des Kalten Krieges. Das war eine neue, angstfreie Ära.
Wie war es, sich 30 Jahre später für ein Jubiläums-Buch noch mal in diese Zeit hineinzubegeben? Wie war die Materiallage?
Mark Spoon ist seit 18 Jahren tot, von ihm gibt es mehr Bilder als von seinem Produzenten-Partner Jam el Mar. Deshalb ist Rolf Ellmer, wie er eigentlich heißt, in dem Buch ein bisschen unterrepräsentiert. Der Look des Buches ist dem verfügbaren Ausgangsmaterial geschuldet. Leider hat sich damals niemand für die Archivierung des Bildmaterials, der Tonträger, der Presseberichte interessiert. Durch den Tod von Markus ist auch viel Material verloren gegangen. Ein Teil der Kontaktbögen wurde falsch gelagert und damit unbrauchbar, genau wie man die Bilder vom Original-Shooting heute nicht mehr verwenden kann, weil man die Negative damals gepusht hat, wodurch sich die Gradation stark veränderte. So etwas würde man heute mit Photoshop machen. Es gab damals keine Digitalkameras oder Smartphones, daher auch wenig privates Bildmaterial. Im Club zu fotografieren, war aufgrund der Lichtsituation sehr schwierig.
Welche Rolle spielen Cover heute?
Eine ähnliche Rolle wie früher, obwohl Musik online mehr auf Musik reduziert wird. Heute ist das Artwork auf das Cover beschränkt. Früher standen durch mehrseitige Booklets, Rückseiten und Labels mehr Raum für die Gestaltung des Images zur Verfügung. Trotz der stetigen Verkleinerung vom 12-Zoll-Schallplattenformat über die CD bis hin zum heutigen Thumbnail ist die Bedeutung des Artwork unverändert geblieben. Wenn es gelungen ist, trägt es zur Sichtbarkeit in sozialen Medien und auf Online-Plattformen bei. Dann werden Veröffentlichung auf Instagram, Twitter und Facebook geteilt.
Besonders für neue Bands ist ein einprägsames Branding von großer Bedeutung, da es dem Künstler hilft, eine eigene Identität zu finden. Ein konsistenter visueller Stil erhöht den Wiedererkennungswert und hilft dabei, sich von anderen Veröffentlichungen zu unterscheiden.
Und was ist mit dem Vinyl?
Physische Tonträger und das dazugehörige Artwork haben heute ihren eigenen, besonderen Wert. Kauft man sich eine Vinyl, ist das ja fast wie ein Einrichtungsgegenstand. Präsent, für jeden Besucher sichtbar. Schallplatten schaffen Identifikation, wie ein gut sortiertes Bücherregal.