Darf man ein genehmigtes Werk nachträglich verändern? Und wem ist öffentlich geförderte und im öffentlichen Raum gezeigte Kunst verpflichtet - der Öffentlichkeit oder ihrem künstlerischen Anliegen? Diese Fragen scheinen rhetorischer Natur zu sein, aber der Streit um die Installation "Kulisse" der Künstlerin Lisa Maria Baier zeigt, dass sie auch von konkreter Relevanz sind. Zum Hintergrund: Die Stadt Görlitz schrieb im Rahmen der Ausstellung Görlitzer Art einen Wettbewerb aus, bei dem Kunststudierende der Hochschule für bildende Künste in Dresden zum Einreichen von Arbeiten eingeladen waren. Zu den schließlich ausgewählten Werken gehörte auch Baiers "Kulisse". Diese besteht aus einem bühnenartigen Raum, der auf die Relevanz der Stadt Görlitz als Kulisse für zahlreiche historische Filmstoffe verweist. Zum Stein des Anstoßes wurde, dass Baier ihre Arbeit nach der Zusage um ein politisches Statement gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes in Polen ergänzte. Unter anderem sind Slogans wie "My Body My Choice" und "Frauenrechte" zu lesen.
Kulturbürgermeister Michael Wieler wertete die Arbeit als Affront gegen die guten politischen Beziehungen zu den polnischen Nachbarn und forderte die Künstlerin auf, das Werk wie eingereicht, also ohne den Verweis auf die Abtreibungsdebatte, zu verwirklichen, ansonsten werde zurückgebaut. Baier spricht von einem Ultimatum bis zum 27. Juli. Auch die "Sächsische Zeitung" nennt mit Bezug auf die Stadt diesen Termin. Die Studierendenschaft der HfbK Dresden hatte sich in einem offenen Brief an Wieler gewandt und, wiederum rhetorisch, gefragt: "Ist es nicht wahnsinnig wertvoll, wenn eine junge Künstlerin das politische Potenzial eines Ortes erkennt und es nutzt, um sich mit Menschen zu solidarisieren?"
Wieler entgegnete ebenfalls in einem Brief, die Jury habe ein konkretes Werk ausgewählt, dies aber nicht wie vereinbart erhalten. Er impliziert in seiner Antwort ein eigentümliches Verständnis von Kunstfreiheit: "Die Freiheit der Kunst ist immer eine Errungenschaft, nichts Gegebenes", heißt es im Statement. Natürlich ist die Kunstfreiheit etwas Gegebenes, jedenfalls solange das Grundgesetz gilt. Man kann den Satz nur so verstehen, dass die Kunstfreiheit symbolisch einer anderen Instanz, nämlich der Öffentlichkeit, abgerungen werden müsse.
Interesse am Dialog mit der Öffentlichkeit
Dass Lisa Maria Baier ihre Arbeit auch in einer privaten Galerie hätte zeigen können, wie Wieler schreibt, tut nichts zur Sache. Es ist die Aufgabe des Staates, die Kunstfreiheit zu garantieren. Künstlerinnen und Künstler haben ein Interesse daran, ihre Arbeiten in den Dialog mit der Öffentlichkeit treten zu lassen; und das Grundgesetz befindet jedenfalls, dass dieses Interesse höher zu bewerten ist als ein befürchteter Imageschaden für eine Kommune, die ihren öffentlichen Raum offenbar mit möglichst unpolitischer Kunst aufwerten möchte.
Gerade das Recht auf Abtreibung ist ein öffentliches Anliegen, wie auch die Proteste gegen das neue Abtreibungsgesetz in Polen zeigen. So liest es sich beinahe zynisch, wenn Wieler bemerkt, Frauenrechte seien auch ihm persönlich ein Anliegen, mit der Stadt habe das aber nichts zu tun. Ganz so, als würden Polinnen nicht in Görlitz und anderen deutschen Grenzorten Abtreibungen vornehmen lassen.
Mediation hätte die Wogen womöglich glätten können
In einer abenteuerlichen rhetorischen Volte rahmt Wieler Baiers Arbeit als "politische Demonstration" und fügt hinzu, dass es der Künstlerin natürlich freigestanden hätte, eine politische Demonstration anzumelden. Offensichtlich handelt es sich um einen Versuch, den Vorwurf der Beschränkung der Kunstfreiheit zurückzuweisen, in dem er den politischen Charakter des Werkes hervorhebt – ganz so, als bestünde ein Widerspruch zwischen künstlerischer Arbeit und politischem Inhalt. Beim Schutz der Kunstfreiheit geht es aber gerade nicht darum, nur formale Freiheiten der Kunst zu schützen, sondern deren inhaltlichen Kern, den Aussagegehalt.
Wielers Antwortschreiben offenbart in seinem recht überheblich anmutenden Duktus auch ein kommunikatives Defizit auf Seiten der Stadt. Auch Baier wirkt in Fragen der Kommunikation mit Öffentlichkeit und Medien recht unerfahren, und ein nüchterner Mediator im Streit hätte womöglich die Wogen glätten können.
So oder so zwingt der Streit Görlitz zu dem, was die Stadt dem Eindruck nach eigentlich vermeiden wollte: zu einer politischen Positionierung. Ob sie dem Stadtimage zuträglich ist?