Glitzer-Ausstellung in Hamburg

Glänzen für eine bessere Welt

Glitzer ist in Kunst, Design und Mode omnipräsent, daher ist es überraschend, dass sich erst jetzt ein Museum dem Phänomen widmet. In Hamburg wird nun auch das Politische unter dem schönen Schein freigelegt 

Für gewöhnlich begegnet einem Glitzer eher selten auf dem Objektschild im Museum. Das könnte auch am schlechten Ruf als tacky, billig, aufdringlich und profan liegen. Eben kein Material für die heiligen Hallen der Kunstwelt. Dabei begleiten die glänzenden Partikel uns schon seit über 52.000 Jahren.

Wie kommt es dann, dass das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg (MK&G) dem Phänomen dieses Jahr als erstes Haus eine Ausstellung widmet? Womöglich schreckte die Zuordnung "Gold und Edelsteine = Kunsthandwerk" versus "Glitzer, Strass und Co. = Bastelecke" Museumsleute bislang ab. Wieso es dennoch ein großartiges Thema ist, zeigen die Kuratorinnen Julia Meer und Nina Lucia Groß im MK&G in sechs Kapiteln.

Mit einem "Call für Glitter" wurde im Vorfeld der Ausstellung international dazu aufgerufen, die liebsten glitzernden Objekte zu verleihen. 99 Einreichungen werden hier mit der zugehörigen Geschichte gezeigt, und es wird deutlich: Die kleinen Partikel aus Kunststoff, Glas oder Metall haben ihren Weg in unseren Alltag gefunden. Von Mensatabletts über Kleidung bis hin zu Spielzeug: die Möglichkeiten des Glitzerns sind unbegrenzt.

Tracey Emin, aber in bubblegum

Schon bei den Leihgaben wird die Verbindung zu Freizeit und Jugendlichkeit deutlich. Passend dazu wird im Raum "Teenage Glitter" eine Arbeit der Künstlerin Jenny Schäfer gezeigt. Das Werk "Every Night in My Dreams" zeigt einen vermeintlich privaten Ort – einen pinken Kinderzimmertraum, dekoriert mit einem Sammelsurium aus glitzernden Schätzen –, der von einer abwesenden Bewohnerin berichtet. 

Die Methodik erinnert an Tracey Emins' Installation "My Bed", wodurch gleichzeitig die im Glitzer verankerten Zuschreibungen deutlich werden. Eine Installation erscheint nun mal banaler, wenn statt einer Flasche Wodka ein Durstlöscher-Päckchen der Sorte "Bubble Gum" und statt gebrauchter Kondome ein Poster der Rapperin Badmomzjay das Werk schmücken.

Glitzer erweckt den Eindruck der Sorglosigkeit und Jugend. Der schillernden Performance widmet sich der Raum "Sparkle and Shine" und zeigt unter anderem ein Bühnenkostüm von Bill Kaulitz und Perücken der Künstler Karl Gadzali und Mohamad Barakat-Götz. Dazu läuft die schrille Videoarbeit "Style over Substance" (2021) von The Huxleys. Und auch eine weitere Kunstform findet hier ihre verdiente Anerkennung – die "Nail Art". Zu bewundern sind 20 extravagante Press-on-Sets zur Fingernagelverschönerung von internationalen Künstlerinnen.

Die subversive Kraft des Glitzerns

Erfrischend ist auch, dass sich ein Museum nicht davor scheut, Popkultur auszustellen – sei es die Videoarbeit "They’re Just Memories Now" von Sarah Drath, die basierend auf Filmszenen kollektive Momente des Erwachsenwerdens erzählt, oder das "The Eras Tour Outfit" von Alea Burmester. Die Erfolgsgeschichte des Glitzerns wird darüber hinaus in der Ausstellung historisch unterfüttert und mit künstlerischen Positionen versehen, die oftmals aus einer queeren und Schwarzen Perspektive sprechen. 

Eine tiefere Ebene entsteht durch die Betonung der subversiven Kraft des Glitzers an sich. Schon die Beschaffenheit aus kleinen Partikeln, die gemeinsam ihre strahlende Kraft entfalten, sowie die oft verfluchten Schwierigkeiten, diese nach dem Verstreuen wieder loszuwerden, können auf gesellschaftliche Kämpfe übertragen werden. Die Rolle als Protestmittel zeigt Mirjana Mitrović in ihrer Fotoarbeit "Pink.Glitter.Violence", die sie 2019 in Mexiko-Stadt aufgenommen hat. Nachdem zwei minderjährige Mädchen von Polizisten vergewaltigt worden waren, bewarfen Demonstrantinnen den Sicherheitsminister der Stadt mit pinkem Glitzer, woraufhin sie heftigen Repressionen ausgesetzt wurden. Die "Pink Glitter Protests" waren geboren.

Die Autorin Anya M. Galli Robertson sagte über die Protestform des glitterbombing in einem Interview 2019: "Glitzer könnte eine Darstellung dessen sein, was wir sein 'müssen': hübsch, funkelnd. Und wir nahmen es und warfen es dem Patriarchat zurück, um zu sagen: 'Wir wollen das nicht mehr'." Ob diese subversive Kraft erhalten bleibt, wenn Glitzer die aktivistische Sphäre verlässt und zur Verschönerung prekärer Zustände genutzt wird? Das ist eine Frage, über die man sich gut im Bastelraum der Ausstellung Gedanken machen kann.