Atemmasken

Isolierte Körper

Das Model Bella Hadid mit Gesichtsmaske
Foto: Instagram/Bella Hadid

Selfcare als permanenter Ausnahmezustand: Das Model Bella Hadid mit Gesichtsmaske

Die Gesichtsmaske ist das sichtbarste Zeichen der Covid-19-Angst. Doch schon vor dem Coronavirus-Ausbruch hat sie als schickes, dystopisches Accessoire die Laufstege erobert. Über ein vieldeutiges Selfcare-Objekt der gesellschaftlichen Atomisierung

Mundschutz-Masken sind dieser Tage heiß begehrt. In vielen Apotheken sind medizinische OP-Masken ausverkauft, in den Baumärkten fehlt es an FFP3-Masken, die Rauch und Feinstaub aus der Luft filtern. Und während Gesunheitsexperten warnen, dass selbst das Tragen der auf Dauer die Atmung erschwerenden FFP3-Variante keinen vollkommenen Schutz vor einer Infektion bedeutet, wird eine dritte Produktvariante zur Mangelware: der Designer-Mundschutz. Ein mit dem charakteristischen Print des Labels versehener Mundschutz von Fendi ist aktuell ebenso vergriffen wie sämtliche Masken auf der offiziellen Off-White-Website, auf der Luxus-Retail-Website Ssense gibt es jedoch noch Baumwoll-Masken vom Label Off-White und Nylon-Exemplare von Heron Preston zu kaufen. 

Atemschutzmaske von Off-White, mittlerweile ausverkauft
Foto: Off-White

Atemschutzmaske von Off-White, mittlerweile ausverkauft

Vielleicht ist es der apokalyptischen Grundstimmung der letzten Jahre verschuldet, dass Gesichtsmasken bereits vor Covid-19 die westliche Modeszene erobert haben. Marine Serre zeigte bereits Anfang vergangenen Jahres in ihrer FW19-Modenschau mit Mondsicheln bedruckte Atemluftfilter-Masken. Bei ihrer Show in Paris vergangene Woche trug eines der Models ein glitzerndes Modell über einer Balaklava aus Samt, ein anderes führte ein bürotaugliches Hahnentritt-Ensemble aus Maske und elegant tailliertem Blazerkleid vor.

Serre hat für ihre Entwürfe mit dem Label Airinum zusammengearbeitet, deren Masken effektiv Bakterien und Schadstoffe aus der Luft filtern sollen. Ein derart hoher Schutz ist unüblich für eine High-Fashion-Maske. Die so gar nicht antiseptischen Stoff-Modellen von Off-White beispielsweise wiegen ihre Trägerinnen und Träger vor allem in wahrgenommener Sicherheit – sie sind hochpreisiges Security-Theater zum Anziehen.


Den ultimativen Simulakrum-Mundschutz lieferte aber weder das Label The Blonds, das bei der diesjährigen New York Fashion Week mit Nieten und Tüllblumen besetzte Atemmasken zeigte, noch Alessandro Michele, der Billie Eilish für die Grammys mit einem Mesh-Entwurf samt Gucci-Muster aus Swarovskisteinen ausstattete. Er stammt von der Künstlerin Danielle Baskin, die dem Spätkapitalismus mit Produkt-Innovationen wie mit Werbebotschaften bedruckten Avocados und wärmenden Pullovern für Drohnen den Spiegel vorhält.

Baskin hat ein bedeutendes Problem des Masken-Trends entdeckt: Ist das halbe Gesicht bedeckt, lässt sich das Smartphone nicht mehr durch Face-ID entriegeln. Deshalb hat die Künstlerin unter dem Firmennamen Resting Risk Face eine biometrische Atemschutzmaske entwickelt, die man mit den eigenen Gesichtszügen bedrucken lassen kann. So funktioniert in Zeiten viraler und toxischer Bedrohung zumindest das Entriegeln des eignen Smartphones mit beruhigender Verlässlichkeit.

Dystopische Probleme verlangen nach dystopischen Lösungen: die Facial Identification Mask von Resting Risk Face
Foto: Courtesy Danielle Baskin

Dystopische Probleme verlangen nach dystopischen Lösungen: die Facial Identification Mask von Resting Risk Face

In asiatischen Ländern ist das Tragen von Gesichtsmasken zum Schutz vor Smog und zur Vermeidung von Krankheiten schon lange eine weitverbreitete Praxis. Seit dem Ausbruch des Corona-verwandten SARS-Virus, der 2003 weltweit über 8000 Personen infizierte und 744 tötete, erfreuen sich Gesichtsmasken gerade in Hongkong großer Beliebtheit. Und auch in den stillen und angenehm kühlen U-Bahn-Wagons Tokios und Seouls begegnet man OP-Masken schon seit Jahren ebenso häufig wie gezückten Smartphone-Screens.

Vor Ansteckungen schützen die Masken aus Vlies vornehmlich, indem sie verhindern, dass man sich mit virenbefallenen Händen ins Gesicht greift. Die Masken sollen aber auch andere Personen vor einer Tröpcheninfektion durch den Träger bewahren: Wer kränkelt, setzt mit ihnen ein Zeichen der Rücksichtsnahme.

Masken als Schutz vor Kontrolle

Gerade in Städten, in denen CCTV-Hinweisschilder aus dem Boden sprießen und einen die Videowerbung für Kosmetikprodukte und kosmetische Chirurgie bis in den Aufzug des Apartmentkomplexes verfolgt, kann es sich zudem befreiend anfühlen, seine Gesichtszüge zu verstecken.

Doch egal ob die Gesichtsmaske vor Umweltbelastung, Krankheiten oder kontrollierenden Blicken schützen soll: Sie ist ein Objekt der gesellschaftlichen Atomisierung und schafft isolierte Körper, die sich frei von viraler und sozialer Friktion durch den Stadtraum bewegen. Angesichts verheerender Waldbrände und drohender globaler Epidemien ist sie eine notgedrungene individualistische Reaktion auf zunehmend überwältigende systemische Probleme. Kein Wunder, dass ein derart den Nerv der Zeit treffendes Objekt zum wichtigsten Accessoire der aktuellen Saison geworden ist.

Der Künstler Khavn de la Cruz mit Gesichtsmaske bei der Preisverleihung der Berlinale 2020
Foto: dpa

Der Künstler Khavn de la Cruz mit Gesichtsmaske bei der Preisverleihung der Berlinale 2020