Der weiße Hase über der Tür grinst immer noch stoisch einladend. Muss anstrengend sein, wenn da keiner ist, den man anlächeln kann. Das leicht deformierte Viech mit den langen Ohren und dem netten Gesicht ist das Maskottchen des Clubs Weißer Hase auf dem RAW-Gelände in Berlin – normalerweise ein vor Menschen berstender Ort im zerfeierten Bermuda-Dreieck der Hauptstadt. Von vielen Berlinern wird das ehemalige Industrie-Areal schon länger gemieden – zu voll, zu Ballermann. Jetzt ist hier zwangsläufig niemand mehr, denn durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind alle Clubs, Bars und Absturzkneipen seit über einem Monat geschlossen. Wann sie wieder aufmachen dürfen und wie viele von ihnen den Shutdown wirtschaftlich überleben, weiß noch niemand.
Der niederländische Fotogaf Maarten Delobel hat die Fassaden der berühmtesten Berliner Clubs in ihrer erzwungenen Tiefschlafphase eingefangen. Der Eingangsbereich des Berghain, der sonst von langen Schlangen und einer flirrenden Aufregung unter den Wartenden geprägt ist, liegt brach und ungewohnt sauber da. Beim Club der Visionäre am Flutgraben lässt nur die einsame Discokugel im Baum erahnen, dass sich hinter dem Bauzaun mit der grünen Plane ein Sehnsuchtsort für Touristen aus aller Welt liegt. Am Foto-Automaten an der Warschauer Brücke, in dem man sich zwangsläufig sehr nah kommt, stehen einsam zwei leere Bierflaschen.
"Die Menschen sind einfach nicht mehr da"
"Ich fühle mich schon immer zu düsteren und melancholischen Orten hingezogen", sagt Maarten Delobel, der in Berlin und Amsterdam lebt. "Orte, die einmal lebendig waren, bis plötzlich etwas passiert ist. Genau dieses Gefühl hatte ich, als ich an den Berliner Clubs vorbeikam. Man kann immer noch sehen, dass es Orte sind, an denen das Leben zelebriert wird, aber die Menschen sind einfach nicht mehr da."
Delobel hat die Clubs nachts zu den Zeiten besucht, an denen der Andrang normalerweise am größten wäre. Auf seinen überwiegend menschenleeren Bildern gießen die Lichter der Stadt einen Glanz über die verwaisten Orte, der wie ein Versprechen gelesen werden kann. We will be back. Die Diskokugel im Baum vor dem Club der Visionäre wirft hoffnungsvolle Lichtflecken auf die Erde. Gleichzeitig zeigen die Fotos für Maarten Delobel aber auch, was verloren gehen könnte. "Natürlich wird sich die aktuelle Situation irgendwann ändern, aber die Frage ist, ob die Clubs dauerhaft durchhalten - oder ob die Fotos auch die Zukunft für einige dieser Orte zeigen könnten."
Bedroht schon vor der Corona-Krise
Viele der beliebten Berliner Nachtleben-Venues waren schon vor der Krise bedroht. Durch Gentrifizierung und steigende Mieten hat sich die Clublandschaft verändert. Obwohl der Party-Tourismus ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor der Hauptstadt ist, sind die Freiräume für Clubkultur mit der architektonischen Verdichtung und Aufwertung der Partyviertel geschrumpft. Wann und wie in Berlin wieder kollektiv getanzt werden kann, ist nicht abzusehen. Genausowenig wie der Zustand der Kulturorte nach der Krise. Denn wie überall im Kulturbetrieb sind die finanziellen Verhältnisse auch im Nachtleben überwiegend prekär.
Die Clubkommission befürchtet eine Welle von Insolvenzen und will mit Solidaritäts-Aktionen gegensteuern. Für das Projekt "United We Stream" haben sich Berliner Clubs zusammengetan und bringen DJ-Sets digital gegen Spenden auf Wohnzimmer-Tanzflächen. Das Geld soll dann von einer unabhängigen Jury aufgeteilt werden, ein Teil der Einnahmen geht an den Stiftungsfond Zivile Seenotrettung. Das virtuelle Line-Up ist hochkarätig, aber wer sich allein auf seinem Teppich wiegt, wird wahrscheinlich von Sehnsucht nach schwitzigen, heißen, überfüllten Räumen überkommen. Maarten Delobels Fotos verdeutlichen die gegenwärtige Unerreichbarkeit dieses Zustands. Die verschlossenen Clubtüren sind Denkmäler für eine jüngste Vergangenheit, die sich sehr lange her anfühlt.