Gerhard Richter hat gesagt, dass seine Bilder sich gegen die Realität behaupten können müssen. Gegen das, was man sieht, wenn man aus dem Fenster schaut, denn draußen stimme immer alles.
Das gilt vielleicht für die gesamte Welt, aber nicht für Potsdam. Denn wenn man im Auditorium im zweiten Stock auf der Fensterbank Platz genommen hat und nicht nach vorne zu Norbert Lammert schaut, der eine Laudatio hält, sondern nach draußen auf den gepflasterten Platz, dann stimmt nichts: Das Alte Rathaus im Stil einer Renaissance-Villa, die klassizistische Kirche, das Stadtschloss und das Gebäude, in dem man selbst sich befindet, das Museum Barberini, sind von einer kulissenhaften Makellosigkeit und erdrückendem Repräsentationswillen.
Zwei den gepflasterten zu großen und zugleich zu kleinen Platz überquerende Menschen mit Kinderwagen werfen in der Abendsonne einen irrwitzigen Schlagschatten. Nur der modernistische Bau der Fachhochschule aus den 70ern, fein proportioniert, schlank und mit eleganten Horizontalen, befindet sich mitten im Abriss wie ein Schandfleck, der noch schnell zu entfernen ist. Denn hier soll um jeden Preis alles stimmen, und genau darum gelingt es nicht. Das ist ein Problem, das Maler kennen müssten, und weil Gerhard Richter der beste ist, kennt er es sicher am besten.
Das da draußen sieht aus wie in einer irritierenden gemalten Motiv-Collage von Hendrik Krawen, Matthias Weischer oder Neo Rauch, von denen aber keiner da ist. Es ist nur Potsdamer Prominenz, also Günther Jauch, zugegen und Norbert Lammert, der jetzt zitiert: "Über Malerei zu reden, das hat keinen Sinn." Deshalb redet er über andere Dinge, und zwar ziemlich gut.
Wenn Gerhard Richter eine Ausstellung vorbereitet, dann bekommt er dafür noch lange nicht jedes Bild von Gerhard Richter, denn das rücken die Leihgeber nicht mehr gerne heraus - zu wertvoll. René Block, anwesend, hat aber den "Vorhang" von 1964 zur Verfügung gestellt. Es ist ein fantastisches kleines Werk, chronologischer Anfangspunkt dieser Schau mit dem Titel "Abstraktion" (bis 31. Oktober): noch Vorhang, aber schon abstrakte Streifen, Unschärfen, sämtliche shades of grey des späteren Richterversums sind hier schon angelegt.
Wo aber sind all die Maler, wenn ihr berühmtester, wichtigster, teuerster, bedeutendster Kollege ausstellt? Keiner da, vielleicht alle bei der Ausstellungseröffnung des Fotografen Andreas Mühe in Berlin, wo es noch ein bisschen deutscher zugeht als im Barberini.
Doch halt! In einem dunklen Raum im Erdgeschoss finden die "Congo Tales" statt, kuratiert von der Tochter des SAP-Gründers und Mäzens Hasso Plattner, der das Museum gestiftet hat. Stefanie Plattner ist Kongo-Expertin. Die Ausstellung zeigt Fotografien eines niederländischen Foto-Autodidakten, der Szenen aus kongolesischen Fabeln von Einheimischen hat nachstellen lassen. Leider mit der Ambition von David LaChapelle oder anderen Fotokünstlern, die vor allem perfekte Körper, perfekte Beleuchtung und inhaltliche Eindeutigkeit wichtig finden: Die Haut glänzt sensationell, aus geschlachteten Tieren quellende Eingeweide, die Bewohner Kongos illustrieren unter europäischer Regie ihre Traditionen. Die gestellten Szenen wirken so tot und platt wie Dioramen in Völkerkundemuseen.
Draußen im Hof, der ans Wasser grenzt, legt der DJ "Africa" von Toto auf, bis Kasper König sich etwas von Beyoncé wünscht. Später legt noch ein Boot ab mit geladenen VIP-Gästen, und da ein vernünftiger Mensch niemals auf ein Boot steigt, von dem er nicht jederzeit wieder von Bord gehen kann, ist Gerhard Richter schon längst durch die Tiefgarage verschwunden.