Anne Imhof, bei der Premiere jedes neuen Stücks ist die Anwesenheit von Zuschauern neu. Wie antizipiert das Team so etwas in Proben?
Die anderen sind immer ein Schock (lacht). Wir machen ja keine Probedurchläufe. Wir versuchen das zu antizipieren. Ich finde es immer auch eine gute Erfahrung, dass man das nicht genau wissen kann, was kommt. Wir haben das erste Mal mit Sound Cues gearbeitet, die relativ kompliziert sind, weil die Musik und Sounds die drei Räume durchfluten und verschiedene Parts von Songs oder Kompositionen über die drei Räume distribuiert sind. Das mussten wir ziemlich genau planen, damit es funktioniert.
Die Musik ist noch ausgearbeiteter als bei "Faust", Ihrer Performance im deutschen Pavillon der Venedig-Biennale2017. Es gibt gesungene Songs, die sparsam musikalisch unterlegt sind, aber auch krasse elektronische Beats, manches erinnert an Opern-Elemente, an Bach, aber auch an Slayer ...
Diesmal hat Eliza Douglas die gesamte Musik für Stimme geschrieben. Wir haben mit Billy Bultheel viel enger zusammengearbeitet, weil wir diesmal die Bilder und die Musik noch stärker verschränkt entwickelt haben. Außerdem hatten wir mit Ville Haimala einen sehr guten Produzenten. Ich wollte Einflüsse aus dem Punk dabei haben, es gibt schnelle Beats, ganz einfache Rhythmen. In der Entstehung überträgt sich das auch in die Bewegung der Tänzer. Ich wollte mit standardisierten Tänzen arbeiten wie Walzer, und das weiter kombinieren: Wie sieht Walzer aus, wenn der in einer Moshpit getanzt wird? Wenn man ihn mit Pogo und Slam-Dancing-Elementen verbindet?
Das heißt, dass Bilder und Musik sich diesmal in der Entstehung direkt gegenseitig beeinflusst haben, die Musik ist nicht auf die Bilder hin geschrieben worden?
Ja. Nachdem ich vor neun Monaten mit Catherine Wood und Isabella Maidment die Ausstellung beschlossen habe, haben wir direkt mit der Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts begonnen. Für eine neue Serie, der zweite Teil beginnt Ende Mai am Art Institute of Chicago, der dritte wird nächstes Jahr im Castello di Rivoli gezeigt, ist das nicht viel Zeit. Für "Sex" war wichtig, die Musik parallel mit der Choreografie, der Installation und der Malerei zu entwickeln. Also haben wir die Proben, meine Arbeit im Studio und die Musik immer hintereinander geplant, was gut war.
Für den deutschen Pavillon in Venedig gab es sehr große Aufmerksamkeit und danach viele Anfragen, von denen Sie die meisten abgesagt haben. Wie trifft man die Entscheidungen für die nächsten Schritte, die nächsten Ausstellungen?
Es kommt mir darauf an, dass Leute einen Bezug zur Arbeit und sie begleitet haben, wie Catherine Wood, die 2013 das erste Mal etwas von mir gesehen hat. Wir hatten es schon einmal angedacht und dann kam Venedig dazwischen.
Auf den Titel der neuen Arbeit, "Sex", wird stark reagiert. Bei "Faust" ging es um Stärke und Selbstbehauptung. "Sex" ist neues Terrain, weil es fragiler wirkt und neben diskursiven Aspekten im Sinne von "Gender" auch Begehren und Schwäche beinhaltet.
"Sex" war irgendwie der einzige Titel, der auf "Faust" folgen konnte. Begehren spielt eine Rolle, der Aspekt von Träumen oder von Ausblicken oder Veränderungen, und von Transparenz oder Fluidität. Aber auch Gewalt, und aus diesen Gegenpolen von Zartheit und Gewalt ist das Material entstanden. Ich finde es einen interessanten Gedanken von Ihnen, dass es um Schwäche geht. In jedem Fall geht es um Vergänglichkeit.
In Ihrem Gespräch mit Catherine Wood fällt auch der Begriff "Auslöschung", "Annihilation", der Arbeitstitel für das Stück war zunächst "Death Wish".
Diese Aspekt des Verschwindens steht in Verbindung mit meiner Beschäftigung mit der Tradition des Selbstporträts innerhalb der neuen Arbeit, es gibt ganz viele Elemente und Bilder in dem Stück in denen jemand gegen sich selber kämpft, sich zum Beispiel ins Gesicht schlägt. Die Bewegungen sind fast wie ein Kampf mit Luft. Damit haben wir viel gearbeitet.
Die beiden Tänzer Josh Johnson und Mickey Mahar haben jeweils sehr starke individuelle Einsätze, bei denen dieses Kämpfen gegen Luft existenziell wird.
Ich habe diesmal sehr individuell mit meinen Performern gearbeitet. Mit Eliza, aber zum Beispiel auch mit Josh, Mickey, Frances Chiaverini und Naomi Ruiz, die zum ersten Mal dabei ist und im neuen Stück einen Gastauftritt als Performerin und Sängerin hat.
Es gibt auch bestimmte wiederkehrende Bewegungen, die alle Performer teilen.
Dadurch, dass wir die Chance hatten, das Stück über einen längeren Zeitraum zu entwickeln, mit einzelnen Leuten, war es gut, dass sich solche Personas ergeben haben, die auch von jedem performt werden. Wie ein Charakter, der sich verteilt an alle, und dann in bestimmten Bildern wieder individualisiert und vereinzelt wird.
Zurück zum Porträt: Sie betonen Ihre Beziehung zu Malerei, wo ist sie bei "Sex" noch sichtbar?
Porträt- und Landschaftsmalerei waren Referenzen für mich. Mich hat der Aspekt des Porträts interessiert im Gegensatz zum Ausblick auf eine Landschaft, die man im South Tank der Tate Modern haben kann, wenn man auf der Aussichtsplattform steht. Die Transformer Galleries der Tate Modern dagegen sind wie eine klassische Ausstellung konzipiert, in der ich eine neue Serie von Malereien zeige. In der Performance wird dieser Ort wiederum zu einem intimen Raum, mit persönlichen Dingen, die sich zu einem Porträt verdichten.
Die Matratzen am Boden, Bongs, Feuerzeuge, E-Zigaretten erinnern an Teenager-Zimmer, Orte der Widerständigkeit.
Dieses Mal geht es auch viel um Beschränkungen. Die meisten Utensilien haben eine reduzierte Farbigkeit. Es gibt Handfesseln aus Metall, die neben Lederschuhen, Spielkarten, Löffeln, Orangen, verwelkten Blumen und weiteren Elementen liegen, die zusammen vielmehr auf ein Ende der Adoleszenz verweisen.