Gastprofessur an der HFBK Hamburg

Wie studiert es sich bei Ruangrupa?

Die Gastprofessur der umstrittenen Documenta-Kuratoren Iswanto Hartono und Reza Afisina an der Hamburger Kunsthochschule sorgte im Herbst für Empörung und Proteste. Wie läuft der Unterricht der Ruangrupa-Mitglieder heute? Ein Besuch

Die Social-Design-Klasse hat noch ein Regal übrig. Ein gutes Dutzend Hamburger Kunststudierende verlässt auf diese Nachricht hin den Seminarraum im zweiten Stock der Hochschule für bildende Künste (HFBK) und kommt kurz darauf (ein wenig schwerer atmend) mit orangen Brettern unter dem Arm zurück. Reza Afisina und Iswanto Hartono haben sich mit einem Akkuschrauber und einem Montagehammer ausgerüstet und dirigieren den Aufbau des treppenförmigen Möbelstücks. Wenn überall jemand festhält und anhebt, dauert das Ganze nur wenige Minuten. "Auch eine Form von Teamwork", sagt Iswanto Hartono. "Das war jetzt nicht geplant, aber es passt zu uns." 

Diese Szene spielt sich in der derzeit wohl umstrittensten Universitäts-Veranstaltung des Landes ab. Als Iswanto Hartono und Reza Afisina, beide Mitglieder des indonesischen Documenta-Kuratorenkollektivs Ruangrupa, im Herbst 2022 als Gastprofessoren an der HFBK vorgestellt wurden, gab es vor dem Gebäude und auch in der Aula Proteste. Die Veranstaltung zur Semestereröffnung wurde schließlich abgebrochen. Nach den Antisemitismus-Eklats auf der 15. Weltkunstschau schien es für viele unverständlich, dass zwei der Verantwortlichen nun auch noch mit einer vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanzierten Lehrtätigkeit "belohnt" werden sollten. Vorher hatten Hartono und Afisina bereits an der Kunsthochschule in Kassel unterrichtet - allerdings vor der öffentlichen Documenta-Debatte und weitgehend unkommentiert.

In Hamburg gab es auch aus der Politik Kritik: "Die Wissenschaftsfreiheit kann und darf niemals Freibrief für antisemitisches Gedankengut sein", hatte Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) mitgeteilt. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, Michael Fürst, sagte im NDR: "Ich habe dafür absolut kein Verständnis. Wer nach mehrmonatiger Dauer auf der Documenta gezeigt hat, dass er von antisemitischen Gedanken überhaupt nicht ablassen will, der hat an einer öffentlichen Hochschule in Deutschland nichts zu suchen."

"Wir wollen auf Augenhöhe mit den Studierenden sein."

Die HFBK hielt jedoch an ihrer Berufung fest, die schon vor Beginn der Documenta ausgehandelt worden war. Und so findet seit Oktober nun jeden Donnerstag das von Hartono und Afisina verantwortete "Collective Art Laboratory" statt, das sich genau wie die Documenta Fifteen um gemeinschaftliche Kunstpraxis drehen soll. Anders als bei anderen Hochschul-Seminaren geht es beim Kunststudium nicht unbedingt darum, dass die Lehrenden ihren Klassen Vorlesungen halten oder ihre eigene Arbeit ins Zentrum stellen. Und Ruangrupa, die ihre künstlerische und kuratorische Arbeit auf dem kollektiven Prinzip des "Lumbung" aufbauen, liegt das Dozieren nach eigener Aussage so gar nicht. "Uns ist es wichtig, dass wir Inhalte gemeinsam erarbeiten", sagt Reza Afisina. "Wir wollen auf Augenhöhe mit den Studierenden sein."

So ist der Seminarraum, in dem während der Unterrichtszeit ein reges Kommen und Gehen herrscht, eher gemütlicher Gemeinschaftsort als steriles Unterrichtszimmer. Auf dem Boden vor dem knallig bunten Regal-Neuzugang liegen Second-Hand-Teppiche und Sitzsäcke in Batik-Bezügen, auf einem Tisch produziert eine provisorische Küche frischen Tee, und Studierende haben Accessoires wie Lampen oder Vasen mit Stoffblumen mitgebracht. Wer die Documenta Fifteen in Kassel gesehen hat, erkennt die an die weißen Wände gezeichneten "Harvests", also Auswertungen von Diskussionen in Form grafischer Mindmaps. "Sustainability Strategy (Support System)" steht dort beispielsweise, oder "Starting A Community Band/Orchestra". 

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des "Kunst-Labors" haben ganz verschiedene Hintergründe: Manche kommen aus der Malerei- oder der Skulpturklasse, andere haben ihren Fokus auf dem Filmemachen oder Grafikdesign. Zu Ruangrupa hat sie offenbar die Aussicht auf gemeinschaftliches Arbeiten und die Reflexion ökonomischer Überlebensstrategien in der Kunst gelockt. Im Gespräch erzählen viele, dass das Studium oft noch immer von Konkurrenzdenken und der Idee von der Exzellenz des Einzelnen geprägt ist. Manche haben bereits Erfahrung mit Kollektiven oder Co-Produktionen, in der Lehre ist dieser Fokus jedoch eher die Ausnahme. 


An einem trübkalten Donnerstag Ende Januar beginnt das Seminar im Stuhlkreis. Der Übergang von Smalltalk zum Unterrichtsstoff ist fließend, alle Anwesenden beschäftigt die Jahresausstellung, die am 9. Februar eröffnet wird und für den auch die Ruangrupa-Klasse noch ein Programm braucht. Eine Bar soll es geben - vielleicht mit besonderen Drinks, aber am besten ohne Müll - außerdem Akupunktur-Sitzungen, Film-Screenings und Workshops zum Brettspiel Mah-Jongg. Iswanto Hartono und Reza Afisina lassen überwiegend ihre Studierenden reden, geben ab und zu einen Tipp zu Machbarkeit oder Terminabstimmung. Der Kunstbegriff scheint so weit wie schon im Sommer in Kassel und umfasst Karaoke-Sessions genauso wie Porträtzeichnen und Radioprojekte. 

Die Anwesenden erzählen, dass sie an dem Seminar vor allem die Vernetzung mit anderen und das Zusammenwachsen zu einer Gemeinschaft schätzen. Trotzdem hat die Gastprofessur von Hartono und Afisina auch unter den Studierenden teilweise Aufregung und Unverständnis ausgelöst. Es gebe Kommilitonen, die mit dem Ruangrupa-Angebot nichts zu tun haben wollten, erzählt eine Studentin. Zwar habe es interne Veranstaltungen gegeben, bei der sich die beiden Documenta-Kuratoren den Fragen der Kunststudenten gestellt hätten, trotzdem seien noch Fragen offen, beispielsweise zur vermeintlichen Nähe zur anti-israelischen und vom Bundestag als antisemitisch eingestuften Boykottbewegung BDS. 

Hartono und Afisina haben inzwischen mehrmals betont, den BDS nicht zu unterstützen, allerdings haben sie 2021 den pro-palästinensischen "Letter Against Apartheid" unterzeichnet, in dem Israel als Kolonialmacht und Apartheids-System bezeichnet wird. Auch in einem der offenen Briefe der Documenta-Kollektive inklusive Ruangrupa war von "settler colonialism" und "ethnic cleansing" von Seiten Israels die Rede. 

"Vielleicht ist es wie das Problem mit der Sechs und der Neun"

Das "Collective Art Laboratory" ist international besetzt, und die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben ihren Hintergrund außerhalb von Deutschland. Einige erzählen, dass sie es schwierig finden, die Debatte in all ihrer Komplexität zu verstehen - auch, wenn es an der HFBK Workshops und Vorträge zur Begriffsklärung beim Thema Antisemitismus oder zum Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus gab. Mehrere kritisieren, dass eine Documenta, die erstmals vor allem von nicht-westlichen Kunstschaffenden gestaltet wurde, immer wieder auf das Thema Antisemitismus reduziert worden sei - während rassistische Anfeindungen gegen teilnehmende Kollektive weitgehend ignoriert worden seien. "Vielleicht ist es wie das Problem mit der Sechs und der Neun", sagt ein Student. "Wenn man sich gegenübersteht, sieht der eine eine Sechs und der andere eine Neun. Wenn niemand bereit ist, die Perspektive zu wechseln, gibt es keine Annäherung." 

Der Präsident der HFBK, Martin Köttering, sagt, dass die Rückmeldungen auf die Veranstaltungen von Hartono und Afisina innerhalb der Hochschule "überwiegend positiv" seien. Seit der Welle der Empörung gegen die Gastprofessur hat er viele Gespräche geführt, aber auch hinnehmen müssen, dass einige der Kritiker nicht reden wollen - damit der Konflikt nicht nach dem Motto "Sie sind ja im Dialog" glattgebügelt werden kann. Köttering erzählt, dass es auch intern Diskussionen gab - letztendlich aber kein Grund gesehen wurde, sich um die Auflösung eines bereits bestehenden Vertrages zu bemühen. "Wir haben Iswanto Hartono und Reza Afisina in Kassel besucht und hatten den Eindruck, dass sie reflektiert und selbstkritisch sind", sagt Köttering. "Diesen Dialog wollen wir nun an der HFBK fortsetzen." 

Nachdem es bereits interne Veranstaltungen mit den Ruangrupa-Mitgliedern gab, findet nun am 1. und 2. Februar ein großes öffentliches Symposium unter dem Titel "Kontroverse Documenta Fifteen – Hintergründe, Einordnungen und Analysen" statt. Auf den Podien sitzen unter anderem der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, der Soziologe Natan Sznaider und die ehemalige Kasseler Documenta-Professorin Nora Sternfeld. Aber auch Iswanto Hartono und Reza Afisina werden jeweils ein Panel bestreiten, genauso wie Hestu A. Nugroho, Mitglied des indonesischen Kollektivs Taring Padi. Dessen Banner "People's Justice" wurde wegen antisemitischer Darstellungen kurz nach der Eröffnung der Documenta Fifteen abgehängt

Gastprofessur bis Ende des Sommersemesters

An der HFBK setzt man dem Eindruck nach große Hoffnung auf die Konferenz - obwohl ein produktiver Dialog aufgrund der verhärteten Fronten bisher kaum vorstellbar schien und es an der Zusammensetzung der Gesprächsrunden bereits wieder Kritik gab. Auch Ruangrupa betonen seit Monaten, dass sie zum Reden bereit sind - aber nicht alle sind der Meinung, dass sie die richtigen sind, um über Antisemitismus zu diskutieren. Alles in allem, so sagt Iswanto Hartono auf Nachfrage, fühlen sie sich in Hamburg aber wohl und von den Kollegen gut aufgenommen. 

Als es draußen bereits dämmert, löst sich das "Collective Art Laboratory" langsam auf. Alle Studierenden sind in spürbarem Prä-Jahresausstellungsstress, immerhin steht inzwischen ein grober Plan für das Programm im Klassenraum. Reza Afisina und Iswanto Hartono fahren abends noch nach Kassel zurück, wo sie nach wie vor mit ihren Familien wohnen und ihre durch die Documenta entstandenen Netzwerke weiter pflegen wollen. Einige Monate noch werden sie viel Zeit im ICE nach Hamburg verbringen. Die Gastprofessur an der HFBK ist für ein weiteres Semester angesetzt.