"Können Sie uns sagen, ob in der Ausstellung gewaltvolle Inhalte gezeigt werden?", fragten eine befreundete Kunsthistorikerin und ich, als wir mit unseren Kindern im KW Institute for Contemporary Art die Eintrittskarten für die 12. Berlin Biennale kauften. Es werde keine Gewalt gezeigt, antwortete man uns am Ticketschalter. Im Erdgeschoss begannen wir also, ein Video von Susan Schuppli anzuschauen. Die dokumentarische Arbeit "Icebox Detention along the US-Mexico Border [Kältehaft an der Grenze zwischen den USA und Mexiko]" nimmt ihr Publikum mit in die Auffanglager für Migrantinnen und Migranten an der Südgrenze der USA, die zur Abschreckung in eiskalten Zellen untergebracht sind. Die Arbeit ist Teil eines Werkzyklus, der Kälte als rassistisch motiviertes Gewaltmittel untersucht. Im nächsten Raum, in dem Soldaten über die Leinwand zogen, fragten wir daher die Aufsicht, ob wir Gewaltszenen zu erwarten hätten. Es sei kein Blut zu sehen, antwortete sie.
Diese Beispiele zeigen einerseits, wie komplex Definitionen von Gewalt sind, aber auch, wie unausgereift die institutionellen Rahmungen von solch vielschichtigen Werken sind. Als alleinerziehende Kuratorin drängte sich mir die Frage auf: Wie kann eine Ebene der Transparenz eingeführt werden, die Eltern nicht vor die Wahl stellt: "(potenziell verstörende) Kunst mit Kind" oder "keine Kunst"? Wie kann ein institutioneller Rahmen aussehen, der verschiedene Lebensrealitäten mitdenkt?
Hierbei geht es nicht nur um Jugendschutz, sondern auch um Erwachsene mit traumatischen Erfahrungen und diversen körperlichen und psychischen Ausprägungen. In der Kunst gibt es hierfür bisher keinen einheitlichen Umgang, während Streaming-Plattformen von Filmen und Musik sowie Social-Media-Kanäle bereits ihren Konsumentinnen und Konsumenten anzeigen, ob die verbalen oder visuellen Inhalte potentiell gewalttätig, verstörend, oder sexuell explizit sind. Bei Filmen und Serien gilt sogar eine gesetzliche Altersbeschränkung.
Lückenhafter Flickenteppich in der Kunst
In der Kunst fügen sich vielmehr die umstrittenen Hinweis-Tafeln der Ausstellungsorte zu einem lückenhaften Flickenteppich zusammen, der durch mehr oder minder gelungene Versuche, die Besuchenden vor den potenziell verstörenden oder gar (re)traumatisierenden Inhalten warnt. Fehlen diese, so hängen die Hinweise von der Sensibilisierung des jeweiligen Aufsichtspersonals ab. Diese sind in den seltensten Fällen dafür ausgebildet zu entscheiden, ob das, was sich hinter dem nächsten Vorhang verbirgt, zum Beispiel für die Augen und Ohren von Kindern oder von Menschen mit posttraumatischen Störungen angemessen ist.
Dabei scheint das Thema Trigger-Warnungen an sich bereits heftige Emotionen auszulösen: So sieht der Autor und Kurator Raimar Stange in seinem Beitrag für Monopol darin einen "vorwarnenden Schongang", der die Wirkung von Kunst verdünne und somit Selbstdenkende oder Abweichende als unerwünscht deklariere. Ich sehe jedoch in Stanges postuliertem "soften Masterplan der Trigger-Warnungen" genau das gegenteilige Potenzial: Die Transparenz, die Hinweis-Tafeln ermöglichen, erschaffen die Bedingungen für ein selbstbestimmtes Betrachten von Kunst.
Hierbei ist es wichtig, zwischen sogenannten Trigger-Warnungen und "Content Notes" zu unterscheiden: Während erstere vor einer (re)traumtasierenden Erfahrung bei den Betrachtenden warnen, so ist letztere eine inhaltliche Notiz, die problematische Aspekte des Werkes aufzeigt, ohne über die emotionalen Ausmaße bei den Betrachtenden zu spekulieren.
Die Freiheit, sich zu entscheiden
Das verlagert den Fokus von den "vermeintlich ach so sensiblen Besuchern", die "vor allzu großen emotionalen Erschütterungen" gewarnt werden müssen, hin zu den Institutionen, die Verantwortung für ihre Auswahl an Werken tragen. So lässt sich als interessierter Besucher der Ausstellung "Female Remedy” von Leila Hekmat im Berliner Haus am Waldsee bereits auf der Website lesen: "Die Ausstellung enthält Nacktheit und explizite sexuelle Sprache. Der Besuch von Minderjährigen erfolgt nach elterlichem Ermessen."
Das Beispiel zeigt, dass es bei "Content Notes" weder um Zensur noch um die Einführung von Kontrollen und Beschränkungen geht, sondern lediglich um einen Zwischenschritt das Transparentmachens, der Handlungsmöglichkeiten aufweist. Durch diese Form der Hinweise können Besuchende in den Ausstellungen selbst entscheiden, ob sie ein potenziell verstörendes Werk sehen möchten oder nicht, oder ob dieses für ihre Kinder angemessen ist.
Dies schränkt die Freiheit oder die Deutungsoffenheit des Kunstwerkes nicht ein, sondern schafft Freiheit für die Besuchenden für sich und ihre Begleitung Sorge zu tragen. Sich gegen Hinweise auszusprechen muss außerdem als eine privilegierte Position begriffen werden. Wer ohne Sorgeverpflichtungen, oder körperlichen und psychischen Einschränkungen oder (bewussten) traumatischen Erfahrungen den Kunstraum betritt, dem mag es leichter fallen, "Content Notes" ihre Relevanz abzusprechen.
Kultur der Transparenz
Ich plädiere daher für mehr Hinweise, die klar erkennbar montiert sind und im besten Fall auch vor dem Eintritt in die ausstellende Institution (online oder am Eingang) einsehbar sind. In diesem Sinne können "Content Notes" als Teil einer Kultur der Transparenz gesehen werden, die den Abbau von hartnäckigen, sichtbaren und unsichtbaren Barrieren im Kunstbetrieb vorantreiben. Denn es reicht nicht, immer wieder auf Umberto Ecos Verständnis von einem deutungsoffenen Kunstwerk zu verweisen, wenn dabei die Offenheit der ausstellenden Institutionen nicht mitgemeint ist.
Zwar sind Informationen – zum Beispiel über Kunstschaffende, Werke, und Epochen – technisch verfügbar, jedoch sind sie nicht für alle Gesellschaftsgruppen selbstvermittelnd. Kunstwerke in ihrer Vielschichtigkeit aushalten zu wollen, fordert daher ein Mehr an Sensibilisierung und Kontextualisierung. Auch eine (sicherlich vielschichtige) Diskussion darüber, was wir unter gewaltvollen Inhalten verstehen.
Diese vermittelnde Arbeit verstehe ich als Teil eines "kuratorischen Aktivismus", der sich für ein strukturelles Umdenken im Kulturbetrieb stark macht. Dieser feministische Ansatz sieht die Betrachtenden nicht als unmündig an, sondern betont die Verantwortung der ausstellenden Institution, Sorge für den Abbau von Zugangsbarrieren zu schaffen – dazu gehört auch, die Verletzlichkeit von Erwachsenen oder Kindern nicht aufs Spiel zu setzen. Denn es sind emotionale Feinheiten, die das Potenzial des Berührtwerdens durch Kunst in sich bergen. Als Kultureinrichtung gilt es daher, diese Affekte ernst zu nehmen, nicht aus einem paternalistischen Selbstverständnis heraus, sondern aus einem Verantwortungsbewusstsein für die Vielfalt von Lebensrealitäten, die sich auch in einem Kunstraum wiederfinden sollten.