Eine Frau liegt auf einem Daybett. Die Beine angewinkelt in Yoga-Pose, die Augen zur Decke gerichtet. Über ihr schwebt ein zweites Ich. Hier scheint etwas passiert, das uns verborgen bleibt. Gehängt im nur 18 Quadratmeter großen Raum der Galerie She BAM! auf dem Leipziger Spinnereigelände, kommen einem die dargestellten Personen auf den Leinwänden von Ellen Akimoto sehr nahe. Alltagsgegenstände erscheinen auf den zweiten Blick unruhig und verzerrt. Die Wände schmückt eine Tapete mit ebenso rätselhaften organischen Mustern.
Bereits seit 2018 existiert die Galerie She BAM! auf dem Spinnereigelände in Leipzig als jüngste Gründung neben etablierten Galerien wie EIGEN+ART, Jochen Hempel oder ASPN. Auch wer das Gelände regelmäßig besucht, hat die Galerie She BAM! bisher vielleicht nicht entdeckt. Etwas versteckt in einem Gang gelegen betritt man den Raum – ohne Fenster, nur ein kleiner Tisch und drei Wände für die Kunst. An denen war in den letzten Jahren umso mehr los: Galeristin Lætitia Gorsy hat Visuelle Kommunikation studiert. Entsprechend eindrücklich inszeniert waren die knapp 40 Ausstellungen seit 2018.
Die Präsentation von Ellen Akimoto – Meisterschülerin von Annette Schröter an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig – wird die letzte in diesem außergewöhnlichen Setting sein. Pünktlich zum Herbstrundgang der Spinnereigalerien am ersten Septemberwochenende eröffnete Lætitia Gorsy schräg gegenüber neue Galerieräume: mit 180 Quadratmetern zehnmal so groß, mit Fenstern, Nachmittagssonne und einem Baum vor der Tür. An den Wänden hängen auch hier Malereien. Vor allem Hände und ihr Tun stehen im Mittelpunkt der Werke von Galamb Thorday.
Umzug mit Ansage
Für die Galeristin ist es ein Umzug mit Ansage: Von Beginn an zeigt sie ausschließlich Künstlerinnen. Ein Konzept, das offensichtlich Erfolg hat. Schon im Studium an der Kunsthochschule im französischen Straßburg hörte sie, dass sie als Frau keine Zukunft in der Kunstwelt haben werde. 2012 kam sie nach Leipzig, tauchte in die Kunstszene ein und realisierte viele Kulturprojekte.
Für ein paar Jahre arbeitete sie auf dem Spinnereigelände für die französischen Galerie Dukan - die wiederum hauptsächlich männliche Künstler vertrat. Nachdem die Galerie von heute auf morgen schließen musste, notierte sich Gorsy alle künstlerischen Positionen, mit denen sie im Rahmen einen eigenen Galerie gern arbeiten würde. Auf dem Zettel standen ausschließlich Künstlerinnen.
Ihre 100-Prozent-Quote versteht sie auch als Beitrag gegen das Ungleichgewicht der Kunstwelt: "Ich zeige nur Künstlerinnen, weil sie immer noch unterrepräsentiert sind und weniger verkauft werden." Die Idee ist nicht neu, ihre Notwendigkeit leider noch immer begründet: Kunstsammlerin Peggy Guggenheim hat schon vor 80 Jahren eine Ausstellung gemacht, in der sie nur Künstlerinnen zeigte. In der Sammlung der Neuen Nationalgalerie in Berlin sind nur neun Prozent Künstlerinnen vertreten.
Fast ausnahmslos positive Reaktionen
Monopol hat zum diesjährigen Frauentag eine umfassende Bestandsaufnahme zum Thema veröffentlicht: Während Frauen im bundesweiten Durchschnitt rund 18 Prozent weniger verdienen als Männer, liegt der sogenannte Gender Pay Gap in Kunst und Kultur bei 20 bis 31 Prozent. Hinzukommt, dass Werke von Künstlerinnen seltener in Ausstellungen zu sehen sind und das, obwohl das Gros der Absolventinnen von Kunsthochschulen mit mehr als 60 Prozent seit Jahren weiblich ist. Und: Werke von Frauen werden im Schnitt für rund 47 Prozent geringere Beträge verkauft als die von Männern.
"Die Angst, dass Frauen ihre Kariere beenden, wenn sie Kinder bekommen, sitzt tief, auch bei Menschen, die Kunst sammeln", so die Erfahrung von Gorsy. Zu Beginn hat sie das Konzept der Galerie nicht in den Vordergrund gestellt, wollte, dass dies subtil bleibt – auch aus Sorge vor einem möglichen Shitstorm. Doch die Reaktionen waren fast ausnahmslos positiv – von wenigen abfälligen Bemerkungen über den "Frauenladen" einmal abgesehen.
Ohne Eigenkapital hat sie die Galerie aufgebaut. Ohne Kredit, ohne Förderung. Dafür mit viel Disziplin und guten Künstlerinnen. Der Durchschnittspreis der Werke liegt – noch – bei 5.000 Euro. 80 Prozent der Menschen, die bei ihr kaufen sind männlich. Viele unter 35 Jahre alt, viele kaufen zum ersten Mal. She BAM! lockt neue Käuferinnen und damit auch ein neues Publikum auf das Spinnereigelände. Dass sie jetzt in größere Räume zieht ist auch ein sichtbarer Ausdruck ihres Erfolgs: "In den letzten fünf Jahren ist die Galerie ernster und größer geworden. Auch die Künstlerinnen haben sich entwickelt und sind am Markt präsenter."
Offen für Experimente
Im Fokus stehen die künstlerischen Positionen, darunter Anna Nero und Winnie Seifert, aber auch Künstlerinnen aus Frankreich wie Celin Le Gouail oder Dorothée L. Recker. Mit ihr hat sie 2018 ihre erste Ausstellung auf der Spinnerei realisiert. Die damaligen Verkäufe haben sie ermutigt, weiter zu machen. Wichtig ist ihr, dass ihr Konzept nicht automatisch bedeutet, dass sie explizit aktivistische oder feministische Positionen vertritt. Mit einer Ausnahme: 2020 hat sie Plakate der Guerrilla Girls gezeigt und sich damit mit Nachdruck zu ihrem Konzept bekannt – die New Yorker Künstlergruppe macht schon seit 1985 auf die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Kunst aufmerksam.
Gorsy ist offen für Experimente und für alle Altersgruppen. Erstmals hat sie Bilder der 1935 geborenen Wilma Schnell präsentiert – Mutter des in Leipzig lebenden Künstlers David Schnell. Sie studierte Malerei und Grafik in Düsseldorf sowie Textilgestaltung in Berlin, arbeitete ab 1965 als Kunstlehrerin. Ihre künstlerische Praxis gab sie aber nie auf und hat bei She BAM! ein Podium gefunden.
Auch Nachhaltigkeit hat Lætitia Gorsy im Blick: Gern würde sie Künstlerinnen aus Mexiko ausstellen, aber das sei angesichts der Transportkosten und der Umweltbelastung nicht zu verantworten. Nachhaltiger ist da ihre Präsenz auf der Plattform Artsy, die sie in der Pandemie eingerichtet hat und kontinuierlich pflegt. Auch ein temporärer Pop-Up-Store, wie sie ihn kurz vor Ausbruch der Pandemie in Paris betrieben hat, ist denkbar.
Derweil ist Leipzig für sie ein guter Ort, wie ein großes Atelier. So wie die Stadt sich in den letzen Jahren entwickelt hat, so ist auch sie gewachsen. Gorsy ist offen für Kooperationen und hat eine klare Vision: "Ich hoffe, dass ich in den nächsten Jahren mit einem großen Team noch weitere Projekte an anderen Orten entwickeln kann und die Marke von ganz allein läuft."