Die Corona-Pandemie trifft freischaffende Künstlerinnen und Künstler trotz der Soforthilfen besonders schwer: Verdienstausfälle, unbezahlte Vorleistungen, zeitraubende Nebenjobs. Das war bisher nicht leicht zu beziffern, aber eine neue Studie liefert nun Zahlen. Cilgia Gadola und Kerstin Wiehe von der Koalition der Freien Szene Berlin erklären, warum es so wichtig ist, die Härten des Lockdowns belegbar zu machen und was die Politik jetzt tun kann
Cilgia Gadola, Kerstin Wiehe, Sie haben haben eine Studie zur Lage von Künstler*innen in der Corona-Krise veröffentlicht, um die Datenlage für Struktursicherung und künftige Fördermaßnahmen zu schaffen. Dabei hatten Sie die Hilfe von Soziologinnen.
Cilgia Gadola: Genau, der Fragebogen stammt aber von uns.
Sie haben über 800 Personen befragt. Wer war das?
Kerstin Wiehe: Die Befragung war für alle Kunstsparten offen, der Fokus lag aber auf Berlin. Die Auswertung zeigt, dass einige Gruppen stärker vertreten waren, zum Beispiel die Bildenden Künstler.
Was genau ist die Freie Szene?
KW: Eine komplexe Frage! Es gab keine Ausschlusskriterien. Auch ein Bildender Künstler, der weltweit vertreten ist, könnte sich dazu zählen, wäre aber vielleicht nicht motiviert, an so einer Befragung teilzunehmen.
CG: Die jeweiligen Arbeitsstrukturen sind sehr unterschiedlich und deshalb sehr schwer zu fassen. Es ist eine Selbstbezeichnung: Wer sich als freischaffender Künstler versteht, ist das auch. Die Frage, ab wann man professionell als Künstler*in arbeitet, ist ebenso schwer zu beantworten. Würde man das beispielsweise am Einkommen festmachen, schließt man viele Menschen aus.
Die Umfrage ist vom letzten Sommer, aus den Monaten Juni und Juli 2020. Es ist nicht überraschend, dass die Pandemie für freischaffende Künstler*innen in unterschiedlichen Disziplinen – Kunst, Musik, Bühne, Literatur und mehr – Einbußen verursacht.
KW: Wir fanden es wichtig, zu zeigen, dass das alle Bereiche mehr oder weniger gleichermaßen betrifft, obwohl es spartenspezifische Unterschiede gibt. Strukturelle Probleme, die vor der Pandemie vorhanden waren, sind durch die Krise sehr viel klarer geworden. Aber die Datenerhebung zeigt auch Aktualisierungsbedarf, der Grundlage für konkrete Forderungen ist. Die haben wir mit der Studie veröffentlicht.
Was soll die Studie leisten?
KW: Unser Anliegen ist es, über strukturelle Defizite Aussagen zu machen: Zum Beispiel das Fehlen einer Arbeitslosenversicherung, die geringen Honorarsätze. Es gibt aber auch offene Fragen: Wie werden Vorbereitungszeiten vergütet, und was ist mit unbezahlten Arbeiten wie dem Verfassen von Anträgen und Konzepten? Es hat sich auch gezeigt, dass es eine Beratung geben muss für Menschen, die wenig über das freischaffende Arbeiten wissen. Seien es Mitarbeiter*innen von Ämtern, im Jobcenter oder der Familienkasse, denn dort gibt es oft Unverständnis bezüglich der Lebensrealitäten Freischaffender: Warum haben Antragsstellende nicht jeden Monat eine feste Summe auf dem Konto, wieso werden Honorare erst nach einem Jahr gezahlt – damit fällt man in einer klassischen Bewertung durch alle Raster. In dieser Krise hat das zu einer Problemverstärkung geführt.
Sie schlagen ja auch eine Reihe von möglichen Transferleistungen am Ende der Studie vor. Ein Grundeinkommen, oder eine Förderung, die nicht auf Projekte ausgelegt ist, sondern phasenweise. Was bedeutet das?
CG: Das bezieht sich auf die unbezahlte Vor- und Nachbereitungszeit. Das heißt, es sollte Produktionsphasen geben und nicht nur Produktionen, die beginnen, sobald man probt oder sich an den Schreibtisch setzt oder den Pinsel in die Hand nimmt, und die dann mit der Ausstellung, Aufführung oder Buchpräsentation enden.
KW: Es geht auch um Fragen von Gerechtigkeit. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen könnte zum Beispiel ermöglichen, die gesamte Phase der nicht bezahlten Arbeitszeit anders zu definieren. Durch die Pandemie haben sich Projekte und Produktionen verschoben, und damit verlängert sich auch die Zeit der unbezahlten Arbeit an einem Projekt.
Die Frage ist ja oft: Wie quantifiziert man die ganze Arbeit, die um ein Projekt herum stattfindet?
CG: Wir haben auch im Austausch mit Vertreter*innen der Senatsverwaltung für Kultur und Europa oder mit Politiker*innen, aber auch in der Presse gemerkt, dass nicht ganz klar ist, wie freischaffende Künstler*innen eigentlich arbeiten. Weil die Studie so detailliert ist, hoffen wir, dass das grundsätzliche Verständnis von Kunstproduktion noch ein bisschen besser wird.
Nun sind diese Sparten sehr heterogen. Wären da nicht noch präzisere Untersuchungen nötig?
KW: Wir sehen auch, dass die Verschiedenartigkeit der Freien Szene einen erneuten und weiter vertiefenden Blick braucht.
CG: Es gibt viele Aspekte von Ausgrenzung, die sich erst in der Auswertung für uns sichtbarer geworden sind. Viele Diskriminierungserfahrungen wurden gar nicht abgefragt, die wir gerne noch aufnehmen würden: Wie ist es für Künstler*innen mit Behinderungen? Was ist mit People of Color, die schon vorher weniger Zugang zu Fördergeldern hatten?
Sie fragen nach den materiellen Faktoren, aber es gibt auch Immaterielles: seelisches Wohlbefinden, zum Beispiel. Haben Sie dazu etwas herausgefunden?
CG: Im Fragebogen waren auch Freitextantworten möglich und hier wurden solche Dinge besonders deutlich. Aber die Idee ist, in einer anschließenden zweiten Studie, diese Aspekte noch besser abzufragen.
KW: Dadurch, dass wir uns länger als absehbar in diesem Zustand befinden, verstärken sich diese Facetten. Es stellt sich die Frage nach der Wertschätzung von freiberuflicher Arbeit, wenn man bei den Soforthilfen durch viele Lücken fällt – gerade wenn man zugleich im dauernden Existenzkampf ist, der zu Erschöpfung und Erkrankungen führt. Ich will nicht sagen, dass Festangestellte nicht genauso erschöpft oder blockiert sein können, aber es macht einen Unterschied, ob man finanziell abgesichert ist, sich krank schreiben lassen kann oder nicht. Das wird im zweiten Fragebogen viel mehr dominieren.
Der Lockdown wird ja wahrscheinlich sehr langfristige Effekte haben, auch über einzelne Biografien hinaus. Gibt es infrastrukturelle Konsequenzen? Wird etwas zerstört, das nicht wiederherzustellen ist?
KW: Ja. Die freien Akteur*innen sind immer die schwächsten Glieder in der Kette. Deswegen haben wir versucht in unserer Stellungnahme strukturelle Forderungen so konkret wie möglich zu formulieren.
Der internationale Kunstmarkt ist von der Krise bisher nicht so stark betroffen. Glauben Sie, dass es Trickle-Down-Effekte zur freien Szene gibt?
CG: Das scheint noch nicht so richtig angekommen zu sein.
KW: Ich würde sagen, dass es an staatlich subventionierten Häusern vielleicht eine Quote braucht. Da schließe ich Museen und Institutionen genauso ein wie Theater, Musik und Oper. So könne ein bestimmter Anteil an Produktionen mit Akteur:innen aus der freien Szene umgesetzt werden. In Berlin gibt es zum Beispiel den Ankaufsetat für Bildende Kunst, das ist ein gutes Beispiel, wie der Staat durch Strukturen unterstützen kann, nicht nur mit Stipendien und Förderstrukturen, sondern dadurch, dass Werke tatsächlich gekauft werden oder zur Aufführung gebracht werden.
Manchmal heißt es, dass die Pandemie auch etwas Gutes hat. Dann ist zum Beispiel die Rede von einem Innovationsschub, davon, dass endlich in digitale Infrastrukturen investiert wird. Sehen Sie auch, dass sich neue Felder im Kulturbetrieb auftun, neue Einkommensfelder erschlossen werden?
CG: Grundsätzlich sind neue Entwicklungen super. Digitalisierung bedeutet ja nicht, dass die Dinge einfach digital präsentiert werden. Wenn etwas nicht mehr geht, tun sich manchmal neue Formen des Schaffens auf. Diese Stimmen hören wir auch. Aber es ist schwer, das gegen die enormen Herausforderungen und Existenzängste von vielen Künstler*innen aufgrund der aktuellen Situation gegenüber zu stellen.
KW: Es geht nicht nur darum, Dinge, die eigentlich auf einer Bühne stattfinden, abzufilmen und damit in den digitalen Raum zu transportieren. Digitalisierung ist viel mehr, nämlich die Auseinandersetzung mit einem Medium. Ich glaube, dass wir als Freischaffende da sehr viel kreativer sind. Kunstproduktion kann neue Wege beschreiten und tut das auch schon.
Gerade hat eine Initiative von sich reden gemacht, nämlich #allesdichtmachen, die für viele Künstler mit Einbußen sprechen wollte. Ein gelungener Versuch?
CG: Ich denke nicht, dass der Sarkasmus dieser Kampagne in der aktuellen Situation hilft. Und damit meldet sich auch eine ganz spezifische Gruppe zu Wort, die nicht zu denen gehört, die sich um ihre Existenz sorgen müssten.
KW: Die Reaktionen haben gezeigt, dass das kontraproduktiv ist. Nicht nur, dass die AfD applaudiert, sondern auch, dass da einige Wenige stellvertretend für eine Berufsgruppe auftreten, was ziemlich vermessen ist. Es braucht eher eine analytische Situationsbeschreibung, die über den eigenen Tellerrand hinausgeht. Denn alle, die freischaffend tätig sind, treffen eigene Entscheidungen für ihr Arbeitsfeld. Das haben wir auch mit der Studie intendiert: Die Vielfalt, einer schwer fassbaren Struktur abzubilden.