Er ist berühmt für seine großformatigen Bilder, die so täuschend echt wirken, als seien sie Fotografien. Jetzt hängen sie im Louisiana Museum in Humlebæk vor den Toren Kopenhagens; das Haus idyllisch inmitten eines Parks mit Blick auf den Öresund gelegen und für sich genommen schon eine Wucht. Apropos: Mit Wucht kommen nun noch die Bilder des Schweizer Malers und Grafikers Franz Gertsch (1930-2022) hinzu, die aufgrund ihrer Größe nicht in jedem Museum gezeigt werden können, wie die deutsche Kuratorin Kirsten Degel auf Anfrage verrät. "Es ist seine erste umfangreiche Präsentation in Skandinavien und die letzte, an der er selbst noch mitgewirkt hat", so Degel.
Gertsch gilt als Pionier des Fotorealismus und zugleich als Meister des zeitgenössischen Holzschnitts. Nach ersten, von der Romantik inspirierten Landschaftsbildern und Collagen im Stil der Pop Art begann der in Möringen (Kanton Bern) geborene Künstler Ende der 1960er-Jahre mit der Produktion von lebensnahen Großbildern und Holzschnitten, für die er heute international bekannt ist. Inspiriert wurde er durch den Avantgardefilm "Blow-Up" des italienischen Regisseurs Michelangelo Antonioni aus dem Jahr 1966, der in ihm den Wunsch weckte, die Welt mit sachlicher Präzision abzubilden.
Gleich im ersten Saal des Westflügels wird man mit "Huaa...!" von 1969 konfrontiert, einem Bild, das ein wild galoppierendes Pferd mit einem Reiter zeigt, der mit erhobenem Schwert zur Attacke ruft. Es basiert auf einem Standbild aus dem Antikriegsfilm "The Charge of the Light Brigade". Mit einer Größe von 170 mal 261 Zentimetern füllt es fast eine ganze Wand. Um solche Formate herstellen zu können, projizierte Gertsch Dias von monumentaler Größe auf seinen Malgrund. Mit viel Geschick verwandelte er das fotografische Bild in ein Gemälde - ein künstlerischer Transformationsprozess, der sich über Monate und Jahre hinziehen konnte.
Ist Patti Smith KI-generiert?
Flankiert wird das Reiterbild von Familienkonstellationen, denen im Laufe der Ausstellung weitere Porträts folgen, darunter auch das von Patti Smith aus dem Jahr 1978. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, es sei einer aktuellen KI-Software entsprungen - so (un)real wirkt die Rocksängerin, die Gertsch nach Schnappschüssen während einer Performance in einer Kölner Galerie gemalt hat.
Ebenfalls vertreten sind mehrere Gemälde des androgynen Künstlers Luciano Castelli, den Gertsch in den 1970er-Jahren in verschiedenen Nah- und Gruppenansichten porträtierte, so etwa in "Medici", das Castelli im Kreise seiner Freunde zeigt und mit dem der Maler 1972 bei der Documenta 5 seinen internationalen Durchbruch feierte. "'Medici' machte Franz Gertsch auf einen Schlag berühmt, und das detailgenaue Bild mit seinen schillernden, geradezu übernatürlichen Farben ging nicht nur als Ikone des europäischen Fotorealismus in die Kunstgeschichte ein, sondern schrieb sich auch als Kultbild in die Zeitgeschichte ein" heißt es dazu im Vorwort des Katalogs, der übrigens inhaltsschwer, aber auf hochwertigem Papier erfreulich leicht daherkommt.
Einen weiteren Höhepunkt markiert die überdimensionale Frontalansicht von "Silvia I" (1998). Sie ist eine von vier Leihgaben aus dem Museum Franz Gertsch in Burgdorf, wo seit dem vergangenen Wochenende die Ausstellung "Louisiana Visits Franz Gertsch. Nachkriegs- und Gegenwartskunst im Dialog" gezeigt wird. Dazu wurden 49 Leihgaben von 31 Künstlerinnen und Künstlern aus dem Louisiana-Bestand auf den Weg in die Schweiz gegeben. Dort sollen Andy Warhol, Cindy Sherman, Per Kirkeby und Co in Kombination mit 24 Werken aus der Sammlung Burgdorf einen Blick auf Franz Gertsch "im Spiegel der Kunst seiner Zeit" ermöglichen.
Bilder von poetischer Schönheit
Doch zurück ins Louisiana. Zu sehen sind auch einige der Holzschnitte, die Gertsch ab Mitte der 80er-Jahre nach fotografischen Vorlagen anfertigte. Sie entstanden in aufwendiger Handarbeit aus verschiedenen Holzarten, hochwertigen Pigmenten und Japanpapier. Landschaft und Natur standen im Mittelpunkt der Künstler-Welt, die er nicht nur perfekt, sondern auch emotional wiedergeben wollte. "Ein Maler, der versucht, die Natur 1:1 darzustellen, scheitert", wird er in einem Nachruf des Schweizer Fernsehens anlässlich seines Todes im Dezember 2022 zitiert.
In seiner späteren Auseinandersetzung mit Natur- und Landschaftsmotiven wechselte Gertsch zwischen Malerei und Holzschnitt, bevor er in den 1990er-Jahren wieder zum Pinsel zurückkehrte. Aus Gräsern und einem vermeintlichen Unkraut, der Pestwurz, malte er Bilder von poetischer Schönheit in Lapislazuli. Auch sie fügen sich hervorragend in das im wahrsten Wortsinn natürliche Ambiente des Museums ein.
Die Ausstellung wird durch einen letzten Dokumentarfilm über den Künstler ergänzt ("Der Zeit die Zeit geben. Franz Gertsch"). Darin begleitet die tschechisch-schweizerische Filmemacherin Dana Maeder den Maler und seine Ehefrau Maria von 2019 bis 2021 unter anderem durch verschiedene Ausstellungen im Museum Franz Gertsch. Wer den weiten – wenn auch lohnenden – Weg nach Humlebæk nicht antreten will, dem seien die Deichtorhallen in Hamburg ans Herz gelegt, wo die Schau, um einige Frühwerke und großformatige Arbeiten erweitert, ab dem 13. Dezember zu sehen ist.