Ob da wohl gerade ein kleines Stück Museumsgeschichte geschrieben wird? Die Frage scheint bei der neuen Sommerausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel durchaus berechtigt: Gemälde werden ständig ab- und an neuen Wänden wieder aufgehängt, einzelne Gäste können sich in einem abgedunkelten Raum schlafen legen und das Echo singender Performer hallt durch die Museumssäle.
Sicher: Von manchen dieser künstlerischen Konzepte hört man nicht zum ersten Mal. Aber alles an einem Ort? Als eine kohärente Idee von Kuratorinnen und Kunstschaffenden? Die Fondation Beyeler will mit diesem experimentellen Projekt auf jeden Fall weg von der Statik und der Strenge klassischer Ausstellungen. Dafür erkundet sie museale Grenzen, um diese dann teilweise zu überschreiten. Was daraus entsteht, ist ein anregendes, begehbares Kuriositätenkabinett für zeitgenössische Kunst.
Das Haus selbst spricht von seiner Ausstellung als einem "lebenden Organismus" – etwas, das sich verändern und transformieren darf. Und dessen Wandel auch transparent sein soll. Den Grundstein dafür legte die Fondation, die das Projekt in Zusammenarbeit mit der Luma-Stiftung organisiert hat, indem sie den mehrwöchigen Ausstellungsaufbau öffentlich zugänglich machte. Die ganzen Arbeitsprozesse, die sonst hinter verschlossenen Türen ablaufen, wurden so zu einer eigenen choreografischen Performance, dem "Making Of". Und da gab es auch einiges zu sehen. Nicht nur die sieben Menschen hinter dem Konzept - Sam Keller, Mouna Mekouar, Isabela Mora, Hans Ulrich Obrist, Precious Okoyomon, Philippe Parreno und Tino Sehgal – waren vor Ort. Auch alle anderen Mitwirkenden aus Kunst, Architektur, Musik und Wissenschaft waren fest in die Gestaltung eingebunden.
Alles ist fluide, darf anders werden
Das Geheimnis dieser lebhaften Ausstellung scheint gerade darin zu liegen, dass viele unterschiedliche Menschen an dem kollaborativen und interdisziplinären Projekt mitgearbeitet haben und auch weiterhin neue Impulse geben. Auch was den Namen der Ausstellung betrifft, der fluide ist und changiert. Angangs war der Titel "Dance with daemons", jetzt heißt die Schau "Cloud chronicles" und könnte auch noch "All my love spilling over" gennannt werden. Das wird man sehen.
Gefüllt wird sie dabei nicht nur mit Werken, die eigens für dieses Projekt entstanden sind. Die Kuratoren durften sich auch an der Sammlung der Fondation Beyeler bedienen. Da findet man einen maritimen Matisse zwischen zwei geometrischen Wade Guytons oder Andy Warhols "Joseph Beuys" neben einer Aktmalerei. Aber nicht lange, denn schon werden einzelne Bilder ausgetauscht und treten mit wieder anderen Objekten in einen Dialog. Und das nicht nur im übertragenen Sinne: Durch die außergewöhnliche Hängung und Anordnung hat die Besucherin tatsächlich manchmal das Gefühl, als sei die Kunst im direkten Austausch miteinander. Da betrachtet eine längliche Frauenskulptur Giacomettis einen Francis Bacon, und fast kommt man sich voyeuristisch vor, während man sie und mit ihr das Gemälde inspiziert.
Draußen wird indes der Garten des Museums sukzessive von kaltem, nassen Nebel eingehüllt. Ungefähr so, wie man sich den Kuss eines Harry Potterschen Dementors vorstellt. Es ist die Installation der 91-jährigen japanischen Künstlerin Fujiko Nakaya. Der Dunst hüllt alles ein, mystifiziert. Da passt auch das seltsame Gebilde von Philippe Parreno gut hinein. Es erinnert an eine Kreuzung aus Spinne und Freefall-Turm vom Jahrmarkt. Die Bewegung der zwei Manschetten überträgt sich auf die schwarzen Drahtseile, die wiederum die Dynamik übernehmen und dem Konstrukt Leben einhauchen. Dazu die Geräusche einer wispernden Stimme, eines brummenden Motors und Keuchen: unheimlich und diffus.
Eine Waschmaschine wird von einem Monster überfallen
Es fängt leicht an zu tröpfeln, also wieder rein ins Museum. Da gibt es noch genug zu sehen. Die Ausstellung sei wie ein Labyrinth, schreibt die Fondation Beyeler und hat damit nicht unrecht. Es passiert leicht, dass man sich in den Räumlichkeiten verliert. Säle mit Skulpturen- oder Gemäldesammlungen werden mit einzelnen raumfüllenden Installationen kontrastiert. So haben der Philosoph Federico Campagna und die Architektin Frida Escobedo eine große Jurte mit Bibliothek beigesteuert, in der die Besucher schmökern können. Unterteilt in die vier Jahreszeiten, sind die Regale mit ganzen 800 Büchern ausgestattet.
Raumfüllend auch die Objekte "The end of imagination VI" und "VII" von Adriàn Villar Rojas. In seinen Arbeiten kombiniert er Haushaltsgeräte mit Skulpturen, die Requisiten eines Science-Fiction-Filme sein könnten. In einem der Werke wird eine laufende Waschmaschine von einem deckenhohen Monster überfallen, das wie ein furchteinflößendes Alien anmutet. In dem anderen bilden eine aufeinandergetürmte Mikrowelle, ein Fernseher und ein Gefrierfach das Rückgrat eines Wesens mit knöchernen Flügeln.
Ganz dunkel wird es, wenn man sich in den "Dream Hotel Room 1" hineinbegibt, den Künstler Carsten Höller und Schlafforscher Adam Haar konzipiert haben. Das dortige "Dream Bed" bewegt sich während des Schlafs, ein rot angestrahlter Pilz rotiert darüber. Durch Sensoren in der Matratze können die Träume mittels Herzfrequenz, Atmung, aber auch Bewegung registriert werden, wie das Museum erklärt. Wer Lust hat, kann sich für eine Stunde und an manchen Tagen auch für eine ganze Nacht hineinlegen. Aber ob man diese Schau verschlafen möchte? Definitiv nicht!