Drei Tage Ausnahmezustand liegen hinter Christof Hierholzer, als er den kleinen Lieferwagen am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe parkt und die Türen des Laderaums öffnet. Darin befinden sich zwei Gemälde, das Blendholz eines alten Fachwerkhauses und eine Metallarbeit, die vermutlich vor langer Zeit die Wand eines rheinland-pfälzischen Weinguts zierte. Die vier Werke stammen aus dem gefluteten Depot des Stadtmuseums Ahrweiler und sind ein kleiner Bruchteil dessen, was am 1. August im Außenlager des ZKM ankam: "Wir haben 20 Gemälde erwartet - tatsächlich wurden rund 50 Gemälde, 250 Papierarbeiten und mehrere Objekte geliefert", erzählt Hierholzer, der als Sicherheitsbeauftragter am ZKM für die sicheren Verbleib aller hier ausgestellten und deponierten Kunstwerke verantwortlich ist.
Als einige Tage nach der verheerenden Hochwasserkatastrophe in Ahrweiler der Notruf des rheinland-pfälzischen Museumsverbandes unter anderem auch das ZKM erreichte, war dort für alle sofort klar, helfen zu wollen. So richtig vorbereiten auf das, was dann kam, konnte sich allerdings niemand. Die zum Depot des Stadtmuseums Ahrweiler umfunktionierte Tiefgarage, in der die Arbeiten lagerten, war vollständig geflutet worden. Hier standen die Kunstwerke circa eine Woche in schlammigem Wasser, bevor sie endlich zugänglich gemacht werden konnten.
Nach der Notfallbergung hatte man die verdreckten Werke für den Transport behelfsmäßig mit Folie umwickelt, anschließend kamen sie zunächst nach Köln, um von dort an verschiedene Standorte in Deutschland versandt zu werden. Genügend Zeit für Schimmelsporen, sich in dem nassen Milieu auszubreiten und zu vermehren. "Bei manchen Arbeiten hätte es keinen Tag länger dauern dürfen, ehe sie vom Gröbsten befreit wurden", sagt ZKM-Restauratorin Henrike Mall, die in den letzten Tagen erste Hilfe für die havarierten Arbeiten leistete. "Schnell handeln ist in so einer Situation das Wichtigste."
"Das hat abartig gestunken"
Um sie vor der völligen Zerstörung zu retten, befreiten Hierholzer, Mall und weitere Restauratorinnen und Restauratoren des ZKM sowie zwei hinzugekommene Fachkräfte aus dem Württembergischen Landesmuseum Stuttgart die Werke von den teilweise zentimeterdicken Schlammschichten. Dabei arbeiteten sie aufgrund der Sporen und des durchdringenden Gestanks mit FFP3-Masken, Ganzkörperanzügen und Handschuhen sowie bei geöffnetem Tor: "Es gab zwei Sorten von Gerüchen", erzählt Mall, "zum einen war da der schlammige, erdige, der ganz gut zu ertragen war. Aber ein Teil der Papierarbeiten muss in Exkrementen gelegen haben. Das hat abartig gestunken." Glücklicherweise ist die Halle, die dem ZKM normalerweise als Außenlager dient und in der nun eine Art Bilder-Lazarett eingerichtet wurde, sehr hoch. Dank des guten Wetters konnten die durchnässten Gemälde außerdem in der Sonne zum Trocknen aufgestellt werden.
Dagegen mussten die zu festen Packen zusammengepressten Papierarbeiten zunächst gewässert werden, um sie voneinander trennen zu können. Anschließend kamen sie einzeln in ein Bad mit destilliertem Wasser und wurden mit Hilfe eines Pinsels von dem stinkenden Matsch befreit. "Das hat sehr gut funktioniert", freut sich Mall, "auf diese Weise haben wir in drei Tagen über 200 Arbeiten weitestgehend gesäubert." Doch länger hätten sie nicht in der Verpackung sein dürfen, nur ein paar Tage mehr, und sie wären zu einem untrennbaren Klumpen zusammengetrocknet.
Schlechter erging es beispielsweise zwei Fotografien, die schätzungsweise aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen. Hier hat sich die Gelatineschicht vollständig abgelöst, die Aufnahmen sind nicht mehr zu retten. Auch was im Falle der Gemälde unter der Schlammschicht zum Vorschein kam, war oft nicht viel mehr als einige Farbrückstände auf Leinwand: Durch das Wasser wurde das Bindemittel ausgeschwemmt, so dass die Farbe in manchen Gemälden fast vollständig verschwunden ist. "Es gibt Werke, bei denen nach meiner Einschätzung eine Restaurierung keinen Sinn mehr macht, da so gut wie nichts mehr von dem Bild vorhanden ist", berichtet Mall. So zum Beispiel beim "Bildnis einer jungen Frau" (1954) des Ahrweiler Malers Pitt Kreuzberg (1888-1966). Hier konnten die Expertinnen und Experten nur ein Viertel der Darstellung erhalten, der Rest ist unwiederbringlich verschwunden. Außerdem ist das Bild stark von Schimmel befallen.
Was kann der "bestmögliche Zustand" sein?
Die Entscheidung, wie es nach der erfolgten Grundreinigung mit den Werken weitergeht, müsse von den Verantwortlichen in Ahrweiler getroffen werden, so Mall. Die Entscheidungen werden je nach Grad der Zerstörung nicht einfach sein. Natürlich ist das Ziel immer, die Arbeiten in den bestmöglichen Zustand zurückzuversetzen – doch wie genau definiert sich dieser "bestmögliche Zustand" angesichts eines so breit gefächerten Schadensbildes?
Schnell handeln müssen, ohne auf den Umfang der betroffenen Werke und das Ausmaß vorbereitet zu sein, zum Teil fehlende Referenzabbildungen und unvollständige Werkslisten, dazu das Wissen, die Zeit als Gegner zu haben – man merkt Mall und Hierholzer an, dass sie außergewöhnliche Arbeitstage hinter sich haben. Der Anblick der vollkommen verdreckten Kunstwerke habe ihr einen kleinen Eindruck vermittelt, wie sich die Menschen in Ahrweiler gefühlt haben müssen: "Man weiß angesichts des Ausmaßes zunächst überhaupt nicht, wo man anfangen soll. Das war schon tieftraurig", sagt Mall.
In der spontanen, improvisierten Situation war es dem "Erste Hilfe-Team" darum gegangen, pragmatische Lösungen zu finden. Um zu retten, was noch zu retten ist, bedeckten Mall und ihre Kolleginnen und Kollegen die Bilder mit Japanpapier, das nun dafür sorgt, dass die Farbe nicht weiter verschwindet. "Jetzt ist erst mal alles in trockenen Tüchern", fügt Hierholzer hinzu. "Im wahrsten Sinne des Wortes."
Die Hilfsbereitschaft ist enorm
Und so ist es auch Erleichterung, die man bei den beiden wahrnimmt. Denn durch die Notfallversorgung konnte verhindert werden, dass die Werke in jedem Fall vermodern. Es wurde Zeit gewonnen. Da das ZKM die nun anstehende Restaurierung neben der eigentlichen Arbeit nicht allein bewältigen kann, müssen die gesicherten Werke an die unterschiedlichen Institutionen in Karlsruhe – Archive und andere Museen – verteilt werden. Viele der Papierarbeiten konnten bereits an freiberufliche Papierrestauratorinnen und -restauratoren vermittelt werden, die ihre Hilfe anboten. "Die Hilfsbereitschaft ist enorm, das beeindruckt mich sehr", sagt Hierholzer auf dem Weg in die Werkstatt des Badischen Landesmuseums, wo die beiden Gemälde, das Blendholz und die Metallarbeit restauriert werden sollen.
Bei der Koordinierung der Verteilung greift Hierholzer auf das Netzwerk des Karlsruher Notfallverbunds zurück, dem das ZKM seit Januar 2021 angehört. Dabei handelt es um einen Zusammenschluss von Archiven, Bibliotheken und Museen, dessen Ziel es ist, im Falle von Katastrophenfällen unmittelbare Hilfe und Schadensbegrenzung für die betroffenen Kulturgüter zu leisten. Und doch geht es um mehr als "nur" um Schadensbegrenzung oder darum, die Werke wieder weitestgehend herzustellen, das macht Hierholzer deutlich. "Diese Rettungsarbeit hat auf einer gesellschaftlichen, kulturgeschichtlichen Ebene Relevanz. Wenn ein Ort in so hohem Maße zerstört wurde, wie es in Ahrweiler der Fall ist, dann spielt jedes gerettete Fragment eine große Rolle."
Dabei sei nicht der monetäre, sondern der ideelle Wert der Arbeiten, ihre Funktion als kulturelles Gedächtnis ausschlaggebend. Der Zeitpunkt an dem die geretteten Arbeiten wieder in einem Ahrweiler Museum zu sehen sein werden, liegt sicherlich noch in ungewisser Zukunft. Und doch ist es leicht vorstellbar, dass die Kunstwerke dann – in welchem Zustand sie sich auch befinden mögen, ob vollständig restauriert oder bis auf die Leinwand ausgeblichen – einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung des Traumas leisten werden. Oder wie Hierholzer es ausdrückt: "Das Bewahren dieser Kunstwerke ist wichtig für den gesellschaftlichen Heilungsprozess."