Biennale des bewegten Bildes in Frankfurt am Main

Alles nebeneinander

Es gibt kaum ein anderes Festival in Deutschland, das sich ähnlich breit gefächert den Erzählformen im bewegten Bild widmet. Von Hollywood über Arthouse, VR- und AR-Formate bis zur Videokunst ist auf der B3 in Frankfurt alles vertreten

Die Biennale ist heute eigentlich eine Annuale: Seit 2019 findet die B3, die Biennale des bewegten Bildes in Frankfurt, jedes Jahr statt. Der ursprüngliche Turnus konnte schlicht nicht mehr mithalten mit den Entwicklungen, die sich insbesondere jenseits klassisch chronologischer Erzählformate auftaten. In den Corona-Jahren wurde man folgerichtig vollends hybrid – viele Gäste aus Film und Kunst wurden per Videocall aus Los Angeles oder von anderswo zum virtuellen, globalen Lagerfeuer zugeschaltet. Jetzt funktioniert die B3 wieder voll präsent, und dazu hat sie mit mehreren Kinosälen, einem komplett leergeräumten, ehemaligen Kaufhaus und einer Hotelsuite im Frankfurter Hof großzügig Raum in der Innenstadt bezogen.

Es gibt vermutlich kaum ein anderes Veranstaltungsformat in Deutschland, das sich formal ähnlich breit gefächert den Erzählformen im bewegten Bild widmet. Vom Hollywood-Kino über Independent-Filme, Virtual- und Augmented Reality-Formate bis hin zur Videokunst ist hier alles vertreten.

Auch Games sind fester Bestandteil des Programms. Die B3 will außerdem dem filmkünstlerischen Nachwuchs ein Forum sein, weshalb einige der spannendsten Gesprächsrunden und Masterclasses Studierenden hessischer Film-, Kunst- oder Medien-Hochschulen vorbehalten sind. Manche könnte man in den nächsten Jahren wiedersehen, wo sie erste Arbeiten dem Publikum vorstellen. Rund 60 künstlerische Arbeiten und 70 Filme plus zahlreiche Gesprächsrunden und Perfomances umfasst das diesjährige Programm.

Ist Medienkunst im White Cube überhaupt gut aufgehoben?

Man fragt sich ja eh oft, ob die Medienkunst im White Cube so gut aufgehoben ist. Daniel Canogar jedenfalls freut sich, seine Arbeiten einmal im Kinosaal statt in Galerien oder Museen präsentiert zu sehen. Der spanische Künstler, in diesem Jahr Ehrenpreisträger der B3, zeigt eine Auswahl seiner generativen Arbeiten, die sich mittels komplexer Algorithmen einen Reim auf "das neue Regime der Bilder" machen, dessen Beginn Canogar vor etwa 15 Jahren setzt. Seine Arbeiten haben keinen Anfang und kein Ende, wie auch das Scrollen durch TikTok-Stream und Newszyklus ein Fass ohne Boden ist. Er sieht sich damit durchaus in der Tradition analoger Videokünstler, die in den 1960er Jahren ihre Zeiten technischer Umbrüche verarbeiteten.

Heute kann man nun Canogars sich sekündlich verändernden Bildhypnosen beiwohnen, einer "Kunstgeschichte, von Google gesehen" beispielsweise oder einem pulsierenden, wabernden Gewebe aus News-Headlines. So bricht, ohne, dass die Arbeit sich inhaltlich für irgendeinen Schwerpunkt mehr interessieren würde als für einen anderen, weil ihr Herz ein empathieloser Algorithmus bleibt, die Gegenwart unweigerlich jederzeit in den Kinosaal. Zum Zeitpunkt der Sichtung ist es der grauenhafte Terror der Hamas, der auf unterschiedlichen News-Bändern (und, je nach Mediensender, mit merklichem Willen zur alternativen Narration) seine Runden über die Leinwand dreht.

Der Hass auf ein freies Leben aus anderer, womöglich aber im Kern verwandter Richtung dräut ebenso in Katarzyna Perlaks Arbeit unheilvoll am filmischen Horizont. Im gemütlichen Luxus des Steigenberger Frankfurter Hof läuft ihre Videoarbeit "Happily Ever After" über eine Hochzeit zweier Frauen im Polen der jüngeren Zeit. Es ist eine utopisch-ausgedachte Idylle, die sich vor realen gesellschaftspolitischen Entwicklungen  abspielt. Die hasserfüllten Rufe selbsterklärter Heimatschützer bilden den Soundtrack für die gefährdete Liebe. 2017 hat Perlak mit der Arbeit begonnen. "Unfortunately", bemerkt sie mit trockenem Humor, "since then it has gone from bad to worse." Kommende Woche sind Wahlen in Polen.

Coming-of-Age-Game

Wer genügend Zeit mitbringt, kann sich in der Astor Filmlounge durch ein komplettes Coming-of-Age-Game klicken: Rund eine Stunde dauert "Hineini", in dessen Verlauf Ariel Jacob und Joshua Gundlach ruhig und unaufgeregt die Auseinandersetzung eines jungen, religiösen Jungen mit der eigenen Homosexualität erzählen. "Ein hochjüdisches Spiel", versichert Gundlach. Je nachdem, wie man sich in bestimmten Situationen entscheidet, verändert sich der Ausgang. Ist ein Happy End gegeben? Je nachdem, erklärt der Gaming-Künstler, der an der Kunsthochschule Kassel studiert hat: Es gibt eindeutig glückliche Enden und eines, bei dem Jacob und er uneins sind, ob dies nun als freudig zu werten wäre oder nicht.

Daneben umfasst das Programm des B3 Forum für bewegtes Bild zahlreiche non-lineare Erzählformate, VR-Arbeiten und Performances, oder zum Beispiel die Videoarbeit "Meine Damen und Herren", für die Roman Roth Bundespressekonferenzen der Jahre 2020 und 2021 zur Corona-Pandemie zu einer Kakophonie zusammengesetzt hat.

Allein die Gesprächsreihe lohnt oft schon den Besuch: Horrorfilm-Koryphäe Jörg Buttgereit diskutiert mit weiteren Gästen die Frage, wie viel Grausamkeit Filmbilder zeigen dürfen (man kann sich seine Antwort leicht vorstellen); Filmkritiker Wolfgang W. Schmitt spricht über KI-generierte Avatare und ihre Auswirkungen auf Filmproduktion wie Gesellschaft, daneben stehen vertikales Storytelling, immersive Erzählformate und der massive Druck der Verwertbarkeit auf Film und Serien im Programm.

Schließlich soll auch die Frage nach Sinn und Unsinn identitätspolitischer Forderungen im Kulturbetrieb diskutiert werden – wobei die B3 hier Antisemitismus, Rassismus und Homophobie als Herausforderungen nebeneinander stellt. Eine Selbstverständlichkeit, die man bisher aber doch eher in Frankfurt als beispielsweise in Berlin auf der Agenda gehabt haben dürfte.

Hollywood- und Programmkino nebeneinander

Die B3 zeigt zahlreiche Kurz- und Langfilme, die regulär kaum eine Aussicht auf Kinostart in Deutschland haben oder die hier ihre Premiere feiern. Hollywood- und Programmkino stehen frei nebeneinander. Darunter beispielsweise "Molli and Max and the Future" von Michael Lukk Litwak, mit unter anderem Zosia Mamet in einer Hauptrolle (Sonntag, 21 Uhr).

Die senegalesische Filmemacherin Ramata-Toulaye Sy erzählt mit "Banel & Adama" die Geschichte eines jungen Paares, das sich den engen Traditionen der eigenen Dorfgemeinschaft zu widersetzen versucht (Sonntag, 18:30 Uhr).

Unbedingt sehenswert ist auch "Jerry as himself" von Law Chen mit Namensgeber Jerry Hsu, Vater des Produzenten, in der Hauptrolle. Er spielt sich tatsächlich selbst – als einen taiwanesischen Migranten in den USA, der eigentlich seinen Ruhestand in Florida verbringen möchte, aber plötzlich einen verhängnisvollen Anruf der chinesischen Behörden erhält. Es entspinnt sich eine fieberhafte, lustige, traurige Tour de Force in bester Mumblecore-Manier, in der die existenzielle Erschütterung jederzeit über ihren Protagonisten hereinbrechen kann, der keine staatsbürgerliche Sicherheit besitzt (Dienstag, 19:15 Uhr).

Von Stephen Frears, der dieses Jahr den Ehrenpreis für sein Lebenswerk erhält, wird der neue Film "The Lost King" gezeigt (Samstag, 14:30 Uhr). Und am Sonntagnachmittag besteht Gelegenheit, den fantastischen "The Goonies" von Richard Donner (aus 1985) auf der Kinoleinwand anzuschauen.