Als 1967 das deutsche Fernsehen farbig wurde, kam das erste Bild von Helmut Herbst: Freundlich wie ein Kuchendeckchen lud die kurze Animation zugleich zu einem psychedelischen Rausch, verführerisch und subversiv wie fast alles im immensen Werk dieses heimlichen Kino-Riesen: Wenn der deutsche Undergroundfilm einen Vater hat, dann ist es Helmut Herbst, der nach Angaben der Deutschen Presseagentur am vergangenen Wochenende mit 86 Jahren in seiner Heimat im Odenwald gestorben ist.
Die eingeschränkte Farbpalette des totalitären Deutschland hatte ihn 1963/64 zu einem frühen internationalen Erfolg inspiriert: Der Kurzfilm "Schwarz Weiß Rot" schlägt in zackigem Legetrick einen Bogen zwischen den ästhetischen Vorlieben zweier deutscher Diktaturen und der Springer-Presse. Wer wie Herbst das populäre Herz-Signet der "Bild"-Zeitung aus dem Hakenkreuz ableitete, meinte es ernst mit der Satire.
Deutlich inspiriert von John Heartfield, dem er 1976/77 einen abendfüllenden Dokumentarfilm widmete, erneuerte Herbst die Montage-Ideen der 20er-Jahre für eine neue, politische Medienkultur. Seine visuellen Satiren der 60er-Jahre gehörten zu den wenigen deutschen Animationsfilmen, die dem Vergleich zu den damals führenden osteuropäischen Studios standhielten. Gemeinsam mit dem Lyriker Peter Rühmkorf erfand Herbst eine visuelle Poesie, deren Bedeutungsüberschuss sich bis heute nicht erschöpft.
Ende der 50er-Jahre hatte Herbst in Paris Malerei studiert und dabei die Cinémathèque française entdeckt. Die Beschäftigung mit dem frühen Kino war für ihn – wie für viele amerikanische Avantgardefilmer – eine treibende Inspiration. Sein gemeinsam mit Markwart Bohm gedrehter Kurzspielfilm "Na und?" (1967) ist einer der wenigen deutschen Nouvelle-Vague-Filme, die den Namen verdienen.
Duch Klaus Wildenhahn kam Herbst 1961 zur Panorama-Redaktion des NDR und begann mit einer Stummfilmkamera aus den 20er-Jahren Trickbeiträge für die Sendung zu drehen. 1962 gründete er seine bis heute existierende Firma Cinegrafik. Mit ihr produzierte Herbst unabhängige Filme von Marquard Bohm, Hellmuth Costard, Franz Winzentsten, Hartmut Bitomsky und Harun Farocki.
Offenheit für anarchische Ideen
Nach amerikanischem Vorbild zählte Herbst 1967 zu den Mitbegründern der Hamburger Filmmacher Cooperative. Eine Schlüsselfigur des Anderen Kinos in Deutschland, lehrte er ab 1969 Filmtechnik an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Sein Verhältnis zu einigen der Protagonisten des Neuen Deutschen Films blieb dagegen distanziert: "Die Münchner wollten das deutsche Kino übernehmen … und das haben sie dann auch gemacht", kritisierte er den Lobbyismus eines Fördersystems, das die Avantgarde an den Rändern liegen lässt.
1985 wurde Herbst Professor an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, wo er eine ganze Schule des unabhängigen Filmemachens prägte. Zu einem Zeitpunkt als der Kunstkontext zwar das Medium Video umarmte, zum Film aber kaum eine Beziehung entwickelte, inspirierte Herbst eine neue Generation von experimentellen Filmkünstlern, darunter etwa Michel Klöfkorn und Eva von Platen. Was seine Studentenarbeiten verbindet, ist ein unabhängiger Geist, eine Offenheit für anarchische Ideen und eine revolutionäre Warmherzigkeit.
Ende 2019 feierte seine Produktion "Es geht ein dunkle Wölk hinein" beim Filmfestival Ludwigshaften Premiere, eine Langzeitdokumentation aus der Landwirtschaft im Odenwald. Herbst sichtete das immense Material, des Debütanten Oliver Wörner und schnitt es selbst. Es ist ein intimer, zugleich ethnografischer Blick auf eine ländliche Welt, die dem Städter exotisch erscheint, der Region aber umso vertrauter – und vielleicht auch ein später Gegenentwurf zum Heimatkino des Münchners Edgar Reitz.
Kritiker einer wirtschaftsorientierten Filmförderung
Herbst, der einmal mit dem Hamburger Filmbüro eine wichtige Filmförderanstalt mitbegründete, zählte zu den standhaftesten Kritikern einer primär wirtschaftsorientierten Filmförderung. Zugleich gehörte er zu den beständigsten Mahnern für die Bewahrung des Filmerbes. In wenigen Jahren, war Herbst überzeugt, werde die Zahl der Filmwerke, die vom sogenannten Essigsyndrom befallen und sofort digitalisiert werden müssen, exponentiell steigen. "Bisher sind alle Arten der Digitalisierung nicht archivfest", mahnte er und forderet zugleich von der Kulturstaatsministerin Sondermittel für Notdigitalisierungen.
Seine eigenen Werke immerhin sind gesichert, das hatte er in seinem Trickstudio selbst hinbekommen. Auf DVD erschienen sind seine drei abendfüllenden Kunst-Dokumentationen: "Deutschland Dada", "John Heartfield, Fotomonteur" und "Happening, Kunst, Protest 1968". Dekonstruieren und zugleich bewahren, Anarchie und Konstruktivismus: In dieser für das Genre des Kunst- und Essayfilms stilbildenden Trilogie fanden beide Passionen dieses Filmemachers in wunderbarer Art zusammen.