Heutige Software, etwa mit magnetischen Lasso-Werkzeugen, macht die Bildbearbeitung zum Kinderspiel. Ein Jahrhundert früher brauchte es dafür noch Papier, Schere und reichlich kombinatorischen Esprit. Der deutsche Maler, Grafiker, Fotomontagekünstler und Protagonist der Berliner Dada-Bewegung John Heartfield war ein Meister darin, mit gezielt gesetzten Schnitten Botschaften mit politischer Sprengkraft zu erschaffen.
Adolf Hitler gehörte dabei zu Heartfields bevorzugter Zielscheibe, verunstaltet zum deformierten Affen mit Pickelhaube oder Spielzeug in der Hand des Industriellen Fritz Thyssen. Eine berühmte Röntgenbild-Ansicht zeigt ihn mit Hakenkreuz an der Stelle des Herzens. Der Kunsthistoriker Paul Westheim schieb 1935 über die bissigen Collagen: "Es ist die praktische Kampfarbeit! Woche um Woche ein Titelblatt für die AIZ. Aufklärungsarbeit in einer Sprache, die die Massen verstehen!". Die "Arbeiter Illustrierte Zeitung" war Heartfields Bühne, auf der er seine grafischen Spitzen als Waffe gegen den Faschismus einsetzen konnte.
Katrin Rothe versucht nun, den Erfinder der politischen Fotomontage mit dessen experimentellen Mitteln zu greifen. Ihr Dokumentarfilm "Johnny & Me – Eine Zeitreise mit John Heartfield" visualisiert die Biografie des als Helmut Herzfeld geborenen Künstlers mit Legetrickanimation. Neben Papier und Pappe kommen auch noch Filz, Stoff, Holz, Puppen und Malerei zum Einsatz.
Dada trifft auf Anpassungsdruck
In der Realfilmwelt ist es die in einer Schaffenskrise steckende Grafikerin Stephanie, die als Erzählerin fungiert. Sie leidet unter dem Anpassungsdruck an die marktspezifischen Wünsche ihrer Auftraggeber und taucht in Heartfields Praxis ein wie eine erwachsene Alice ins Wunderland, um sich parallel nach dem Sinn ihrer eigenen Arbeit zu befragen. Den Impuls dazu gibt der Besuch einer Heartfield-Ausstellung. Danach ist es um sie geschehen. Sie landet auf wundersame Weise in einem Retro-Atelier und stürzt sich auf Karton und Kleber. Mit einer Schere formt sie daraus Heartfields Miniaturfigur, die, wen wundert es, auch prompt zum Leben erwacht.
Der Mini-Dadaist erzählt über seine schwere Kindheit, die Flucht vor dem Militärdienst und die Namensänderung als Protest gegen den Gruß "Gott strafe England". Es folgt die Flucht vor den Nazis nach Prag, dann nach Großbritannien und das Ankommen in der DDR, in der er in die Mühlen der paranoiden Zensur gerät. Obwohl Kommunist der ersten Stunde, dem Rosa Luxemburg 1918 persönlich das Parteibuch übergab, galt er in der Stalin-Ära als "Formalist". In einer Verfügung stand das vernichtende Urteil: "Das willkürliche Auseinanderschneiden von Bildern ist ab sofort formale Spielerei und nicht der Bildung des Menschen dienlich".
Bezeugt werden die Berichte durch historische Fotos und Textfragmente, die Stephanie an einer Wäscheleine aufhängt. Zu ihrem Dialog mit dem Polit-Pappkameraden gesellen sich noch märchenhafte Spielszenen und animierte Versionen seiner Fotomontagen. Das erfreut das Auge, man hätte aber auch jenseits dieser Rekonstruktionen gern mehr etwa über den Kontrollwahn der innerkommunistischen Querelen erfahren. Immerhin, die Bedrohung durch den aufkommenden Faschismus, die das Drehbuch offensiv mit der Gegenwart in Beziehung setzt, gerät alarmierend plastisch.