Weiße Fassaden, große Fenster. Nachts hört man die Zikaden. Tagsüber lockt das Wasser, auch wenn der felsige Abstieg zum schmalen Strand erst überwunden werden muss. Die irische Designerin Eileen Gray baute 1929 für Jean Badovici, Gründer und Chefredakteur der Zeitschrift "L´Architecture Vivante", einen Rückzugsort an der Côte d'Azur. Ihr erstes Haus, das einem gestrandeten Passagierschiff ähnelte, taufte sie auf den Namen E.1027 – eine Kombination ihrer beider Initialen.
Versteckt sollte es sein und auf keinen Fall der von Le Corbusier propagierten "Wohnmaschine" ähneln, aber gleichzeitig auch durchlässig für die Natur drumherum. "Das Haus ist … eine Hülle, die einen sanft umgibt, vor der Umwelt schützt", so Gray. "Das Haus ist auch unsere Verlängerung, unsere spirituelle Erweiterung, unsere Befreiung. Das Haus ist ein Körper."
Heute gilt es als Ikone der Moderne, deren Geschichte genug Stoff für ein turbulentes Drama bietet. Beatrice Minger und Christoph Schaub, die gemeinsam am Originalschauplatz Regie führten, wählten für ihren Film "E-1027 - Eileen Gray und das Haus am Meer" einen subtileren Ansatz. Sie ließen Natalie Radmall-Quirke in die Rolle der Architektin schlüpfen und setzten neben ihrem Voiceover auf Dokumentar-Elemente und nachgestellte Szenen.
Le Corbusier ertrug es nicht
Das Ergebnis ist eine atmosphärische Reise in die Gedankenwelt einer Frau, die ihre Unabhängigkeit und Ruhe mehr schätzte als den Ruhm. Das Glück währte nur zwei Jahre. Badovici lud Le Corbusier ein. Ein Fehler, denn der Großarchitekt ertrug es nicht, dass einer Frau, die bisher Teppiche, Beistelltische und Leuchten entwarf, dieses Gesamtkunstwerk gelungen ist.
Als sie auszog, um in der Nähe ein zweites Haus zu bauen, malte er bunte Fresken nackter Frauen auf die weißen Wände und veröffentlichte Fotos davon. Gray bezeichnete die Aneignung als Vandalismus und verlangte, Le Corbusier solle die Wände zurückstreichen. Er baute stattdessen wettbewerbsbewusst direkt hinter E.1027 seine berühmte Holzhütte Le Cabanon, womit er der Konkurrentin die Aura des Geländes, zu dem heute Architekturliebhaber pilgern, streitig machte.
Am Ende sieht man die 96-Jährige in einem TV-Interview. Die Wut über Le Corbusiers eitle "Intervention" scheint verflogen. Eine wunderbar elegische Lektion über die Kraft der weiblichen Kreativität und die Antwort eines gekränkten "Genies".