Maler Fernand Léger

Der Konstrukteur der guten Zukunft

Vor 140 Jahren wurde der französische Maler Fernand Léger geboren. In seiner Kunst schaute er unbeirrbar nach vorn. Er sah das moderne Leben als Spektakel und inspiriert Künstlerinnen und Künstler bis heute

Was Anna Seghers in ihrem Roman "Transit" beschreibt, ist auch Fernand Léger widerfahren: Flucht vor den Nazis, Ausharren in Marseille. Wie so viele andere wartet der als "entartet" diffamierte Künstler auf ein Schiff, das ihn nach Amerika bringt. Es dauert zwei Monate, bis Léger an Bord der S.S. Exeter gehen kann, mit Kurs auf New York. Bis dahin malt er, angeregt von Schwimmern im Hafen von Marseille, die ersten Bilder seiner "Taucher"-Serie, die er in den USA dann weiterentwickelt. Die Farben leuchten, die Körper sind fluide Formen. Da ist kein Krieg, keine Angst, kein Schrecken. Dabei hatte Léger bereits ein Vierteljahrhundert zuvor als Soldat in Verdun eine Senfgasattacke nur knapp überlebt. Traumata waren ihm also nicht fremd, doch seine Kunst blieb davon frei. Léger schaute weder in innere Abgründe noch zurück, mit unverbrüchlichem Optimismus blickte er nach vorn. Freundliche Arbeiter als Konstrukteure einer zukünftigen Welt wurden zu seine Lieblingsfiguren.

Joseph Fernand Henri Léger wurde am 4. Februar 1881 in der Normandie geboren. Als Dreijähriger verlor er seinen Vater; "wenn er ein paar Jahre länger gelebt hätte, wäre ich Viehhändler geworden wie er", vermutete Léger, der bekannte, sich als Schüler für nichts als Zeichnen und Turnen interessiert zu haben. Gegen den Willen seiner Familie ist er zunächst als Architekturzeichner tätig, zieht 1900 aus der Provinz in die Hauptstadt und studiert ab 1903 an der Pariser École des Arts Décoratifs. Beeindruckt von der Malerei Paul Cézannes entwickelt Léger ab 1909 einen eigenwilligen kubistischen Stil, für welchen ihn der Kunstkritiker Louis Vauxcelles einen "Tubisten" schimpft, weil es in Légers auf Grundformen verknappten Darstellungen neben Kegeln, Kugeln und Kuben von zylindrischen Röhren (Tubes) nur so wimmelt

Krieg als künstlerische Offenbarung

Der Künstler ist eng mit Robert Delaunay befreundet, dessen Orphischer Kubismus – Regenbogenfarben, Kreise, Harmonie – zeitweise deutlich auf Légers Bilder abfärbt. Seine Bilder werden zunehmend abstrakter, bis er 1914 zum Ersten Weltkrieg eingezogen wird. Drei Jahre verbringt er an der Front, zeichnet, wenn überhaupt, auf Munitionskisten oder Militärkarten – und erlebt, trotz widriger Umstände, eine künstlerische Offenbarung: "Ein offen in der Sonne liegendes Bodenstück einer 75-er Kanone hat mir für meine bildnerische Entwicklung mehr beigebracht als alle Museen der Welt", berichtet Léger später, "die Magie des Lichts, das sich auf weißem Metall spiegelt", habe ihn zur Figuration zurückgebracht.

Um 1920 gelangt der Künstler zu einer geometrisch hart definierten Formulierung von Objekten. Seine klassische Phase beginnt, in der Léger Zahnräder, Kurbelwellen oder Werkzeuge neben tendenziell objekthaft-anonymisierten Menschenfiguren malt. Anders als Charlie Chaplin, der in seinem Film "Modern Times" (1936) in die Riesenzahnräder einer Produktionsstrecke gerät, zielt Léger aber nicht auf Kapitalismuskritik, wenn er Menschen mit Mechanik verzahnt.

Zwölf Jahre vor Chaplins letztem Stummfilm hat sein berühmter, in Frankreich als "Charlot" bekannter Tramp einen Gastauftritt als kubistisch gepuzzelte Animationsfigur in "Le Ballet mécanique" (1924). Das wegweisende Frühwerk des Experimentalfilms, das Fernand Léger zusammen mit dem Filmemacher Dudley Murphy und dem Komponisten George Antheil schafft, ist eine rasante Collage aus lächelnden Gesichtern und Alltagsobjekten, eine spielerische Studie der Koexistenz von Dingwelt, Mensch und Maschine. "Das moderne Leben", schreibt Léger damals, "läuft in einer solchen Geschwindigkeit ab, dass ein Stück davon, von einer Café-Terrasse aus gesehen, ein Spektakel ist“. Die von unzusammenhängenden, doch gleichzeitig ablaufenden und sich überlagernden Ereignissen geprägte Großstadt ist selbst ein "mechanisches Ballett" und wird in Légers gleichnamigem Film gefeiert.

Immenser Einfluss auf die Pop-Art-Generation

Vor dem Zweiten Weltkrieg haben Formkontraste im Mittelpunkt seines Schaffens gestanden, danach beseelt ihn ein neuer, inhaltlicher Gegensatz: Amerika im Aufbau und Europa im Wiederaufbau. "Ich bemühe mich, heftigere Kontraste zu erzeugen, indem ich den Wolken und Metallstrukturen menschliche Figuren gegenüberstelle, die in einem akribischen Realismus gemalt sind", erklärt der Künstler, der in den späten 1940ern seine Serie der Bauarbeiter beginnt. 

Am urbanen "Spektakel", das ihn so faszinierte, musste er natürlich selbst aktiv teilhaben, Léger drängte mit seinen Bildern zunehmend in den (öffentlichen) Raum. Der Künstler entwarf Kirchenfenster und Mosaiken, schuf eine Rundumbemalung für den Speisesaal eines Passagierschiffs und ergatterte 1952 seinen größten Auftrag – für zwei Wandgemälde im New Yorker UN-Hauptquartier. Persönlich kam er nie wieder in die USA, nachdem er zwischen 1940 und 1945 als Exilant dort gelebt hatte. Als Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs wurde ihm in der McCarthy-Ära ein Visum verweigert. Am 17. August 1955 (einen Monat nach der Eröffnung der Documenta I, in der seine Bilder nicht fehlen durften) starb Léger in seinem Atelier in Gif-sur-Yvette bei Paris, das er kurz zuvor neu eingerichtet hatte.

Sein Einfluss auf die Pop-Art-Generation war immens: Roy Lichtenstein, Robert Rauschenberg, James Rosenquist, Andy Warhol, aber auch Ellsworth Kelly bauten auf Légers Bildkonzepten auf, die auf dem Prinzip Collage basierten. Er hat jüngere Künsterinnen und Künstler aber nicht nur inspiriert, sondern zeitlebens intensiv gefördert. In seinem Atelier hat Léger Hunderte von Kunstschaffenden auf den Weg gebracht. Bevor er als Fotograf Karriere machte, ließ sich William Klein von Léger in der Kunst der Malerei unterweisen. Louise Bourgeois wurde in den 1930ern von ihm ermutigt, skulptural zu arbeiten: Léger ließ einen Holzspan an einer Schnur baumeln und demonstrierte damit seiner Schülerin den Schritt von der Fläche zur Dreidimensionalität und zur Kinetik.

In fünf Schaffensjahrzehnten hat Fernand Léger viel bewegt. Seinen (auch nicht mehr zeitgemäßen) Fortschrittsoptimismus muss man nicht teilen, um sich vom Licht und Puls seiner Bilder in Hochstimmung versetzen zu lassen: Die beste Lockerung, die zurzeit zu haben ist. Léger, der Unsterbliche, wird heute 140.