Wieso kleiden wir uns so, wie wir es tun? Die Art und Weise, wie ein Mensch versucht, eine Beziehung zu sich selbst und zur Welt aufzubauen, kann durchaus eine stilvolle sein. So zumindest sieht es die britische Designerin Bella Freud. Für die ehemalige Assistentin von Vivienne Westwood erfüllt Mode sogar eine psychische Funktion, die direkt mit der eigenen Identität verbunden ist.
Um diese textile Beziehung zum Ich tiefer zu erforschen, lädt sie seit September 2024 jeden Monat einen prominenten Gast dazu ein, sich bei ihr wortwörtlich auf die Couch zu legen und gemeinsam über die eigene "Fashion Neurose" zu assoziieren. Unter den Analysierten waren bereits künstlerische Ikonen und Modegrößen wie Rick Owens, Daphne Guinness, Jonathan Anderson und Kate Moss, oder auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Zadie Smith und Karl Ove Knausgård. Mit dem Sänger, Songwriter und Künstler Nick Cave geht der von ihr produzierte Video-Podcast "Fashion Neurosis" bereits in die zweite Staffel.
Bella Freud wandelt mit ihrem Format die Psycho- und Kulturanalyse ihres berühmten Urgroßvaters Sigmund Freund ab, indem sie ihre Gäste durch die Linse der Mode eigene Erfahrungen erzählen lässt. Jede Episode, jede Sitzung, wird durch dieselbe Frage eröffnet: "Was trägst du heute, und warum hast du dich dafür entschieden?". Im Gespräch treffen Intellekt und Mode, scheinbar gegensätzlich, aufeinander. Gemeinhin wird denen, die sich leidenschaftlich für Äußerlichkeiten interessieren, noch immer vor allem Eitelkeit und Oberflächlichkeit zugeschrieben – ein Klischee, das Bella Freud mit der Couch als Instrument der psychoanalytischen Tiefenforschung konterkariert. In ihrer kreativen Arbeit verbindet sie seit ihren Anfängen klassische Formen mit (pop-)kulturellen Referenzen, darunter etwa der Classic 1970-Jumper, ihre Hommage an Patti Smith und die frühe New Yorker Punkszene.
Scham, Stolz und Alter
Mit ihren Gästen pflegt die Designerin und Tochter des berühmten Malers Lucian Freud sowohl freundschaftliche als auch Arbeitsbeziehungen, meist geknüpft über ihr eigenes Label und die Fashion-Branche: zwischenmenschliche Verbindungen also, die überhaupt erst durch die Mode entstanden sind. Als Moderatorin sitzt sie ihren liegenden Gästen daher "unabstinent" gegenüber, wie es im psychoanalytischen Jargon heißt. Generell zeigt sich Freud sehr vulnerabel, oft geht es um das eigene Schamerleben, den eigenen Körper oder den Prozess des Älterwerdens. Je älter sie werde, desto wichtiger werde Kleidung für sie: Mode ist für Freud eine psychologische Ressource und Strategie, um sich selbstsicherer zu fühlen, um Scham zu überwinden, oder sie auch sinnbildlich zu verhüllen.
Ein "Fashion Neurosis"-Moment kann vieles sein: Sich ein Kleidungsstück zu kaufen, um sich nach einem stolzen Moment zu belohnen. Oder konträr das Gefühl, ganz unpassend gekleidet zu sein. Schamerfüllte Schweißausbrüche, weil einem das eigene Outfit nach Verlassen des Hauses doch nicht mehr gefällt. Alles Situationen, die einem bekannt vorkommen. Oder auch: Die eigene Antwort auf die Frage, ob ein als geschmacklos wahrgenommener Kleidungsstil eines "begehrten Liebesobjekts" etwas an dessen Attraktivität verändert. Der Stil einer Person als Anzeiger für die Auswahl der Partnerin oder eines Partners?
Schnell wird klar: Kleidung hat immer auch eine emotional-affektive Dimension, die oft vorschnell übergangen wird. Ob wir das sind, was wir tragen, will Freud mit ihren unterschiedlichen Gästen – vom Fußballer bis zum Model – psychodynamisch und retrospektiv ergründen, entlang der Vorbilder der eigenen Entwicklungsgeschichte. Freud zieht Linien des jeweiligen Stils nach: Die Großmutter, die sich größte Mühe gab, stets elegant gekleidet zu sein, und die Enkelin prägt; die Eigenheiten im Stil der Eltern.
Psychoanalyse, but make it fashion?
Aber auch die soziale und materielle Herkunft werden besprochen. Die Gastgeberin, die selbst ohne viel Geld aufwuchs, stellt so heraus: Die Bedeutungen, die Stil und Kleidungsstücke im Verlauf eines Lebens für einen Mensch bekommen, sind größer als ihre Ästhetik und Materialien an sich. Die eigene Neurose im Laufe des bisherigen Lebens zu analysieren, führt zum Beleuchten und Ernstnehmen der Mode als Kulturfunktion und kommunikative und psychologische Strategie. Komplimente für das geplante Outfit einzukalkulieren, sich anders zu kleiden als man sich tatsächlich fühlt, zu wissen, welcher Schnitt und welche Farbe für den eigenen Körper überhaupt nicht vorteilhaft sind – alles kleine Neurosen des Alltags.
Freud reiht sich mit ihrem Podcast zugleich in Diskurse um die gegenwärtige therapy culture und die in den sozialen Medien anhaltende mental health-Bewegung ein – und tut ihrem Urgroßvater Sigmund Freud womöglich einen Gefallen: In Zeiten, in denen Psychotherapie und psychologische Beratung zunehmend in den popkulturellen Mainstream integriert werden, stellt sich die Frage, wie tief die Reflexion über persönliche Themen und die eigene Identität wirklich geht.
"Fashion Neurosis" eröffnet als zeitgenössische Aktualisierung der freudschen talking cure wieder den Raum für eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit Trends, Stil und Mode in Verbindung zur eigenen Psychodynamik und der sie umgebenden Kultur. Die allgemein eher als konservativ kritisierte und oft verdrängte Disziplin der Psychoanalyse wird durch den Podcast popularisiert und in diesem Sinne fashionable.
Unter den Stars scheinen die Menschen durch
Der Podcast demonstriert somit: Popkultur und Psychoanalyse, das geht zusammen und stellt keinen Widerspruch dar. In einer Gesellschaft, die von Versprechen auf schnelle Diagnosen und psychologisches Wachstum geprägt ist, weist Freud auf ihr familiäres Erbe einer sich langsam vortastenden Therapieform und Kulturanalyse hin. Die Ursprünge von Fashion-Neurosen sind das, was Bella Freud in ihrem Podcast interessiert: Wo kommt die je eigene Vorstellung von Mode her? Was ist die Beziehung, das eigene Selbstbild, in Verbindung zu der Kleidung, die man wählt?
Gleichzeitig bringt Freud, die auf der Couch regelrechte Projektionsfiguren wie Rick Owens oder Kate Moss liegen hat, mit diesem Format auch ein Stück weit Realität in die phantasmatische und ästhetisierte Sphäre der Mode-Ikonen. Denn die Gespräche sind beim Zuhören vor allem eines: relatable. Scham und Unsicherheit werden offenbart, Risse in der mystifizierten Luxus-Industrie und der Welt von prominenten Persönlichkeiten auf eine ganz neue Art sichtbar. Der norwegische Autor Karl Ove Knausgård gibt am Ende seines Interviews zu, er habe für "Fashion Neurosis" überhaupt das erste Mal an einer Therapiesitzung teilgenommen.
So ist der Podcast eine Art Analyse durch das (Mode-)Erleben selbst, jenseits von Stereotypen und Persönlichkeitsdiagnosen. Mode wird hier in ihrer sozialen, kulturellen und identitätsbildenden Praxis als Möglichkeit der Selbstfürsorge betont. Bella Freuds ehemalige Therapeutin empfahl ihr in jungen Jahren, vor ihrem Karrierebeginn, sich ihre größte Kraft, die Mode, zur Ressource zu machen.
Mode als feministische Strategie
"Natürlich sollte man sich um sein Aussehen kümmern", sagt Schriftstellerin Zadie Smith an einer Stelle – Kleidung setze sie oft als psychologische und kommunikative und letztlich als feministische Strategie ein, um das zu bekommen, was sie wolle. So werden Outfits zu Werkzeugen, die man nutzen kann und die sich im Laufe des Lebens verändern, anpassen und weiter entwickeln, genau wie psychische Funktionen und Strukturen.
Für Sigmund Freud, der sich in seinem Werk nie explizit mit der Kulturfunktion von Kleidung oder Mode beschäftigt hat, wäre es sicherlich symbolisch aufgeladen und spannend gewesen, dass das familiäre Erbe durch seine Urenkelin weitergeführt wird - die ausgerechnet Designerin geworden ist.