In Faith Ringgolds Gemälde "The Flag Is Bleeding" aus dem Jahr 1967 steht eine weiße Frau vor einer blutenden US-Fahne. Rechts hat sie einen schwarzen Mann am Arm, links einen weißen. Es ist ein verzweifelter Versuch der Versöhnung in einem rassistisch gespaltenen Land. Es war das Jahr der Unruhen von Newark und Detroit. Faith Ringgolds Bild, Nummer 18 des "American People"-Zyklus, drückt Fassungslosigkeit und Trauer angesichts der Tatsache aus, dass die Bürgerrechtsbewegung in Gewalt kippte.
Was in "The Flag Is Bleeding" allerdings fehlt, ist eine Schwarze Frau. Faith Ringgold war bis vor nicht allzu langer Zeit in der US-amerikanischen Kunstgeschichte diese Figur. Ihr Werk war wichtig, aber übersehen, eine markante Leerstelle im Zentrum der Geschichte bildlicher Darstellung des 20. Jahrhunderts. Erst in den vergangenen Jahren bekam sie die Anerkennung, die sie verdiente: mit einer Ausstellung in London, Würdigungen am MoMA und mit der allerersten umfassenden Retrospektive ihres Werks am New Yorker New Museum. Nun ist Faith Ringgold im Alter von 93 Jahren in New Jersey gestorben.
Abseits der heroischen, männlichen Avantgarde
Vom Mainstream ihrer Zeit ignoriert zu werden hatte für die im Stadtteil Harlem geborene New Yorkerin auch etwas Befreiendes. So bahnte sie sich ihren eigenen Weg und kultivierte beispielsweise das Medium der "Story Quilts", für die sie, neben der "American People"-Serie, vielleicht am bekanntesten ist. Die Praxis brachte die afroamerikanischen Handwerksformen des Deckenstickens und des Geschichtenerzählens zusammen, die im Alltag Schwarzer Frauen seit Jahrhunderten zusammengehörten.
Auch in anderen Medien ging Ringgold eigene Wege – abseits der heroischen und vorwiegend männlichen Avantgarde der Downtown-Kunstszene. Die Plakate, die sie in den 1960er-Jahren für die Black Panthers entwarf, zitieren afrikanische Designs aus dem Bakuba-Königreich im heutigen Kongo. Ihre "Soft Sculptures" kombinieren die Quilt-Kunst mit afrikanischen Masken, und nebenbei schrieb Ringgold auch noch überaus erfolgreiche Kinderbücher.
Wie kaum eine andere hat die Künstlerin der Lebenswelt Schwarzer Frauen in der bildenden Kunst der USA eine Sprache gegeben. Zum Ende ihres Lebens bekam sie endgültig den Platz, der ihr gebührt.