Oversize-Schnitte scheinen das Thema der Berliner Fashion Week zu sein, die am Montag begonnen hat. An den Rändern der über die Stadt verteilten Laufstege sammeln sich Modeschaffende, Influencer und Journalisten, um sich die neuen Kollektionen zahlreicher Designer anzusehen. Mit "Intervention" schafft die Berliner Kommunikationsagentur Reference Studio ein neues Format, das besonders auf das Zusammenspiel von Mode und Kunst setzt. Eine ehemalige Filiale des Kaufhauses C&A, das nun wirklich nicht für High Fashion bekannt ist, wird in Neukölln als Ausstellungsraum, Laufsteg und Pop-up-Store genutzt und soll von Künstlerinnen und Designern unter dem Motto "Edge zeigen" bespielt.
Im großflächigen Eingangsbereich sind Kunstwerke von Shayne Oliver ausgestellt, darunter ein Hologramm eines Frauenkörpers und eine Installation, die an ein überdimensioniertes Luftbfallontier erinnert. Gekauft werden können Kleidungsstücke des Designers Gerrit Jacobs, darunter giftgrüne Jacken für 590 Euro und Langarmshirts mit holografischen Mustern für 190 Euro.
Am Auftakt-Tag präsentiert dort das Duo back2back, bestehend aus Marcelo Alcaide und Yolanda Zobel, die durch ihre Arbeit in der Leitung des französischen Labels Courrèges zusammenfanden, ihre aktuelle Kollektion. Über eine ausgeschaltete Rolltreppe machen sich die Zuschauer auf den Weg in den ersten Stock, dort finden sie zwischen Gold-schwarzen Lametta-Vorhängen im Kreis aufgestellte Bürostühle, die den Laufsteg markieren.
2000er-Nostalgie
Als erster tritt ein grauhaariger Mann mit rotem Lippenstift auf, langsam schlendert er in die Mitte des Raums, wo er zwischen sechs Lampen stehen bleibt. Er trägt einen beigen Trenchcoat, der den Hintern freilassen würde, trüge er nicht noch eine knielange, schwarze Hose darunter. Es ist eines der wenigen Outfits, das nicht monochrom schwarz oder weiß gehalten ist. Viele der weiteren Kleidungsstücke erinnern durch die lockeren Schnitte und Nylonstoffe an eine Kreuzung aus Work-, Street- und Sportswear. Zu sehen sind Bomber- und Lederjacken, weiße Bodys, halbdurchsichtige Schlaghosen und kurze Shorts, kombiniert mit Sneakern, bemalten Doc Martens oder Schuhen mit zentimeterhohem Plateau.
Einige der Kleidungsstücke, etwa ein mit silbernen Nieten versehenes Kleid und ein tief ausgeschnittenes Top erinnern an Besuche im Berghain. Insgesamt haftet der Präsentation von back2black ein Touch 2000er-Nostalgie an. Begleitet werden die Models von einer dröhnenden Soundcollage: Dramatische Streichmusik wird abgelöst von dem Klang eines repetitiv gesprochenen "Fast Fashion".
Tatsächlich sind einige der sportlicheren Kleidungsstücke nicht besonders extravagant, doch macht schon die betont lässige Inszenierung den Kontrast zwischen billiger Fast Fashion und teuren Luxuslabels, wie sie auf der Fashion Week vertreten sind, umso deutlicher.
Zurückhaltung bei William Fan
Auch die Modenschau des 2015 gegründeten Berliner Labels William Fan findet mit dem Olympiastadion nicht an einem Ort statt, an dem man eine Modenschau erwarten würde. Nachdem William Fan mit dem Berlin Contemporary-Preis für Frühjahr/Sommer 2024 ausgezeichnet wurde und eine Show im Lichthof des Walter Gropius Baus veranstaltet hatte, warteten viele umso gespannter auf die neue Herbst/Winter-Kollektion 2024/25 Kollektion "Off Duty". Um die Spannung, wo die neue Kollektion wohl dieses Mal gezeigt wird, noch größer zu machen, ist der Ort der Modenschau erst einen Tag zuvor bekannt gegeben worden.
Über die Tartanbahn der weitläufigen Aufwärmhalle des Stadions lässt William Fan knapp 30 Models laufen. Modisch setzt er vor allem auf Oversized-Schnitte und erdige Farbtöne, ebenfalls in vielen monochromen Kombinationen, etwa schlammgrüne Anzüge mit dazu passenden, bodenlangen Mänteln.
Einige Outfits aus strukturierter Baumwolle lassen an den Quiet-Luxury-Trend von 2023 denken, wobei kastige Schnitte oder asymmetrische Pullunder, die bis zu den Kniekehlen reichen, immer wieder mit dem Stil brechen. Die Outfits sind schlicht, das Styling zurückhaltend, im Fokus der Kollektion steht die Freizeit.
Einige Models tragen Sonnenbrillen auf den Nasen und Reisetaschen unter dem Arm, mit denen sie aussehen, als könnten sie gleich vom Laufsteg in ein Auto und dann für ein Wochenende in den Urlaub fahren. Handtaschen aus Perlen, die von Männern genau wie von Frauen getragen werden, und glitzernde Röcke oder Oberteile stechen zwischen den sonst schlichten Kleidungsstücken heraus. An den Füßen tragen fast alle Models Fell-Pantoffeln, die an kuschelige Nachmittage zu Hause denken lassen.
Nur wenige Models, die die Abendmode präsentieren, darunter ein schwarzes Kleid und eine Hosenanzug-Kombination mit großen Cut-outs an Bauch und Taille, tragen schwarze High-Heels. Immer wieder sind traditionelle chinesischen Einflüsse, die typisch für William Fans Mode sind, in Schnitten und Farben zu erkennen.
Viele der von Kleidungsstücke scheinen nicht in die in sie Kategorien von Männer- oder Frauenmode zu passen. Übergroße Hosen, bodenlange Mäntel und Handtaschen aus Perlen werden von Männern wie Frauen unterschiedlichen Alters getragen. Der zuweilen androgyne Look ist interessant. Selbst zu entscheiden, wie man sich anziehen möchte und darin die Möglichkeit der Anonymität zu entdecken, ist das Motto der neuen William Fan Kollektion.
Performance mit Shayne Oliver
Weniger alltagstauglich geht es am Abend mit der Show des Kollektivs Anonymous Club unter der Leitung des Modedesigners und Kreativdirektors Shayne Oliver weiter. Die Gruppe kollaboriert regelmäßig mit Kreativen wie dem Musiker Izzy Spears, dem DJ Total Freedom, und dem Konzeptkünstler Santiago.
Im vierten Stock des ehemaligen C&A-Gebäudes entsteht durch laute Elektromusik und die spärliche, zuweilen flackernde Beleuchtung ein Berliner Club-Gefühl. Wie schon bei back2black fängt auch diese zu "Intervention" gehörende Show mit einer deutlichen Verspätung an. Positiv könnte man das als Spiel mit der Aufmerksamkeit deuten. Nur werden die Zuschauer irgendwann ungeduldig und tippen genervt auf ihren Handys herum.
Die Vision des "Anonymous Club" ist es, verschiedene Elemente der Kunst, Mode und Musik miteinander in Verbindung zu bringen. Tatsächlich hat die Show den Charakter einer Performance. Zu Beginn sind vor allem Kleidungsstücke aus neu zusammengesetzten Joggingklamotten und Hoodies zu sehen, etwa Jumpsuits, die aussehen, wie eine bis unter die Achseln hochgezogene Hose.
Es folgen Nylon-Jacken mit dem Aufdruck "Anonymous Club", weite Pullover, bei denen die Kapuze nicht im Nacken, sondern vor dem Bauch hängt. Die weißen, weiten Kleidungsstücke wirken wie aus einem Guss. Einige der Models tragen Perücken mit Zöpfen, die wie Hörner vom Kopf abstehen, es folgen einige bodybuilderhaft trainierte und Muskelanzüge tragende Männer.
Extravaganz zeichnet den Beginn den Berliner Fashion Week aus, sowohl durch die gewählten Orte, als auch durch die präsentierte Mode. Ein Mix aus gemütlichen, weiten Schnitten und Dekonstruktionen von Kleidungsstücken wie Mänteln, Bomberjacken und Hoodies, die in der Modewelt seit Jahrzehnten bestehen, zieht sich durch die Shows. Mit Formen und Referenzen kann unabhängig von Geschlecht, Alter oder Körperform gespielt werden.