Es ist Hochsommer in Berlin, eine Zeit, in der sich die Schlangen für den Rundgang der Universität der Künste (UdK) normalerweise um das Hauptgebäude in der Hardenbergstraße winden. Doch es ist auch ein Sommer, in dem nichts so ist wie sonst, und so bleibt der historische Bau mit den hunderten Atelierräumen und dem gemütlichen Innenhof für Außenstehende geschlossen. Statt hineinzubitten, hatte die Universität vergangene Woche einen großen LED-Screen auf dem Vorplatz installiert und die Klassen der bildenden Kunst eingeladen, hier Arbeiten zu präsentieren. Deutlich mehr Aufmerksamkeit als der Bildschirm erregte jedoch eine Aktion, die sich ganz explizit vom universitär organisierten Outdoor-Rundgang distanzierte.
Pünktlich um 18 Uhr wurden mehrere bis zum Boden reichende Protestbanner aus den Fenstern der oberen Stockwerke gehangen, die Fragen an Verwaltung, Lehrende Studierende der Universität richten: "Wer studiert an der UdK? Wer wählt die Studierenden aus? Bist Du dir deiner Privilegien bewusst? Wer wird diskriminiert, bewusst und unbewusst? Wer spricht? Warum empören wir uns erst jetzt?" Dazwischen wurden auf Augenhöhe der Besucherinnen und Besucher Erfahrungsberichte aufgehängt, in denen Studierende von ihren Erlebnissen mit Rassismus an der Universität berichten: Professorinnen, die sich im Prüfungsgespräch gegenüber einer kopftuchtragenden Studentin angeblich islamophob äußern; Lehrbeauftragte, die angeblich behaupten, die Kolonialvergangenheit habe nichts mit der deutschen Geschichte zu tun und Mitstudierende, die offenbar rassistische Äußerungen ihrer Kommilitonen herunterspielen.
Hinter der Aktion steckt #exitracismudk, eine Initiative, die als Reaktion auf einen universitätsinternen Vorfall Anfang Juni entstand. Als Solidaritätsbekundung mit der "Black Lives Matter"-Bewegung hatten Studierende Banner mit Aufschriften wie "Black Trans Lives Matter" und "No Justice No Peace" aus den Fenstern ihrer Klassenräume gehangen. Als diese über Nacht entfernt und offenbar weggeworfen wurden, wandten sie sich an Hochschulpräsident Norbert Palz, der Berichten der Studierenden zufolge ohne großes Interesse erwiderte, die Entfernung habe wohl im Sinne der Gebäudereinhaltung stattgefunden.
"Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat", erklärt einer der Initiatoren. Man habe großen Anstoß an dem vom Nationalsozialismus instrumentalisierten Begriff der "Reinhaltung" gefunden. Auf Monopol-Anfrage erklärt die persönliche Referentin des Präsidenten, dass "diese Assoziationen seinerseits absolut nicht beabsichtigt waren und er eine sprachliche Verbindung zur Wortwahl des Faschismus entschieden ablehnt." Palz habe sich für seine Wortwahl sowohl mündlich als auch etwa einen Monat nach Abhängen der Banner auch schriftlich entschuldigt.
50 Erfahrungsberichte innerhalb von drei Tagen
Doch den Initiatoren von #exitracismudk geht es um mehr als eine einzige Formulierung. Die zunächst ausweichende Reaktion des Präsidenten sei laut einem der Initiatoren symptomatisch für den Umgang der Universität mit Rassismus – und enttäuschte umso mehr, da man große Hoffnungen in die Dialogbereitschaft des erst seit gut drei Monaten im Amt stehenden Hochschulleiters gesetzt habe. Um die Dringlichkeit ihrer Anliegen zu verdeutlichen, entschloss sich #exitracismudk, die gleichen Banner, die zuvor entfernt wurden, erneut aufzuhängen – gesäumt von den neuen, bis zum Boden reichenden Flaggen, die institutionskritische Fragen in den Raum stellen. Zudem riefen die Initiierenden dazu auf, Diskriminierungs-Erfahrungen mit ihnen zu teilen und sammelten so innerhalb von drei Tagen 50 Berichte.
Der Aufforderung der Initiative, sich in ihrem Videobeitrag zum Rundgang mit Rassismus auseinanderzusetzen, kamen zudem 15 der 18 Bildende-Kunst-Klassen nach. So untersuchten beispielsweise Studierende der Klasse von Mathilde ter Heijne in Zusammenarbeit mit Diana Arce das über 500 Kurse umfassende Vorlesungsverzeichnis aller Fakultäten im Hinblick darauf, ob Kurse von BIPOC-Lehrenden unterrichtet wurden und sich mit BIPOC-Perspektiven auseinandersetzen. Die Ziffern stagnieren in beiden Fällen im zweistelligen Bereich.
Bruno Siegrist und Heiko-Thandeka Ncube thematisierten in ihrem Beitrag für die von Hito Steyerl geleitete Lensbased Class eine europäische Perspektive, die sich über Rassismus in den USA echauffiert, zugleich jedoch angesichts rassistischer Polizeigewalt und rechtsextremer Anschläge in Europa nicht annähernd die gleiche Betroffenheit an den Tag legt: Der Hanauer Karneval wurde einen Tag nach dem Mord an neun Personen mit Migrationshintergrund wie geplant eingeläutet. Das Video endet mit einer Frage: “Ist Europas Entsetzen ein Akt des performativen Aktivismus? Oder wird das Entsetzen einen Domino-Effekt auslösen, der das Selbstverständnis Europas gegenüber dem Grauen seiner eigenen Taten eröffnet?”
Auf eine Disruption des universitären Selbstverständnisses hofft auch #exitracismudk. Bei einer öffentlichkeitswirksamen Aktion soll es auf keinen Fall bleiben. Man wolle sich mit anderen antirassistischen Kollektiven an Kunstuniversitäten wie der Städelschule, der Hochschule für Bildende Künste Hamburg und der Kunsthochschule Weißensee vernetzen und gemeinsam eine langfristige Veränderung bewirken. Um dies zu verdeutlichen, veröffentlichte die Initiative einige Tage vor dem Outdoor-Rundgang auch einen an die Universitätsdirektion gerichteten offenen Brief.
"Erschrocken über mangelnde Solidiarität"
Darin zeigt man sich "erschrocken über das Desinteresse und die mangelnde Solidarität von Seiten der Lehrenden" bezüglich der Protestbemühungen: "Uns widerfuhr im Gespräch teilweise eine Feindseligkeit, die wir in Anbetracht des Anlasses nicht akzeptieren können." Der Brief endet mit einer unmissverständlichen Erklärung: "Wir sind nicht länger gewillt, die weiße cis-männliche Vorherrschaft als gegeben hinzunehmen." Über 500 Studierende und knapp über 20 solidarische Lehrende und Mitarbeitende haben bereits unterzeichnet, seitdem der Brief vergangene Woche online ging. Neben der Botschaft des Briefs unterstützen sie mit ihrer Unterschrift auch eine Liste an Forderungen, die von der universitätsinternen AG Intersektionale Antidiskriminierung ausgearbeitet wurden.
In dem 19 Punkte umfassenden Katalog verlangen die Unterzeichnenden unter anderem nach einem Kontingent fest reservierter Sitze für marginalisierte Personen im Studierendenparlament, einer kritischen Untersuchung von Studieninhalten und Lehrmethoden auf Diskriminierung und Rassismus. Außerdem solle das bereits implementierte Kaskadenmodell, das die Ziele für den Frauenanteil einer jeden wissenschaftlichen Karrierestufe basierend auf dem Frauenanteil der direkt darunter liegenden Qualifizierungsstufe bestimmt, auf marginalisierte Gruppen wie Transpersonen, BiPoC und Menschen mit Behinderung ausgeweitet werden. Zudem fordern die Unterzeichnenden die Einrichtung eines Anti-Diskriminierungs-Büros – nicht nur, um Erfahrungsberichte wie jene, die an die Außenfassade des historischen Gebäudes in der Hardenbergstraße tapeziert wurden, zentralisiert und systematisch zu sammeln – sondern auch, um eine direkte Anlaufstelle zur Vermittlung von psychosozialer Beratung nach rassistischen Übergriffen zu schaffen.
Wie eine der Initatorinnen erklärt, gebe es zwar universitätsinterne Instanzen für Diversität, jedoch beschäftigten sich diese vor allem mit der Gleichstellung von Mann und Frau. In Gremien wie der Kommission für Chancengleichheit, unter deren 50 Mitgliedern eine einzige Person of Color ist, sei Intersektionalität ein buzzword, das viel genannt, aber selten konsequent zu Ende gedacht werde. Das schlage sich auch in der Personalpolitik der Institution wieder. So schmücke sich die Fakultät Bildende Kunst gern mit dem Frauenanteil im Lehrpersonal von über 50 Prozent, schenke jedoch der Tatsache, dass unter den 18 festangestellten Professorinnen und Professoren nur eine einzige nichtweiße Person sei, kaum Beachtung.
Konsequente Reaktion aufs Zeitgeschehen
Das größte Anliegen von #exitracismudk ist es, dafür zu sorgen, dass das aktuelle politische Momentum sich nicht im institutionell-bürokratischen Räderwerk verliert. "Ende Juni wurde das Antidiskriminierungsgesetz für Berliner Hochschulen durchgebracht, aber die UdK hat sich erst bis 2022 verpflichtet, ein Diversitätskonzept zu verfassen", erklärt eine Initiatorin. Laut eines anderen #exitracismudk-Mitglied habe Präsident Palz argumentiert, es bedürfe einer Statistik über universitätsinterne Diskriminierung, bevor die antidiskriminatorische Arbeit anfangen könne – für sie der falsche Ansatz: "Man muss schon vorher auf die Erfahrungsberichte hören, die bereits seit Jahren geäußert werden."
Ein Stück weit scheint dies bereits zu geschehen. Wie die Referentin des Präsidenten informiert, habe im Juli eine Videokonferenz stattgefunden, in denen die im offenen Brief geäußerten Forderungen mit Studierenden besprochen worden seien. Antidiskriminierung und Gendergerechtigkeit seien Themen, die alle Bereiche der Universität betreffen: "Die Hochschulleitung sieht es als essentiell an, dass diese als Grundsätze im praktischen Handeln ihrer Mitglieder gelebt und umgesetzt werden." In diesem Punkt scheinen sich Präsidium und Studierende einig zu sein. Um sich auf die notwendigen Maßnahmen zur konsequenten Umsetzung jener Grundsätze zu einigen, wird es jedoch wohl noch eine ganze Menge Dialog und Zeit brauchen.
Wenn nicht bis 2022 werden sich die Studierenden zumindest bis nach den Semesterferien gedulden müssen. Erst dann wird wieder Bewegung in die UdK kommen, erst dann kann die Institution ausführlich auf die klaren Forderungen der Bewegung reagieren. Was bis dahin bleibt, ist das Bild eines Rundgangs, der so wenig nach Rundgang aussah wie noch nie in der Geschichte der Universität zuvor – und damit radikaler und konsequenter denn je auf das aktuelle Zeitgeschehen reagiert hat.