Vielleicht erklärt der zeitliche Abstand zu Evelyn Richters Bildern, dass erst jetzt auch außerhalb der Fotoszene über ihre Arbeit gesprochen wird. Denn anders als einige ihrer bekannteren ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen war sie weder eine Dokumentaristin der Wende noch hauptsächlich in regimekritischen Zirkeln unterwegs.
Sie starb im vergangenen Jahr im Alter von 91 Jahren, wurde im Jahr zuvor zur ersten Trägerin des Bernd-und-Hilla-Becher-Preises, und jetzt wird ihr Werk in Düsseldorf und dann in Leipzig ausgestellt. Evelyn Richter wollte mit ihrer Fotografie gesellschaftliche Zustände festhalten, sie tat es systematisch und kontinuierlich, und ihr Motiv waren vor allem Menschen.
Musiker, Kinder, Frauen bei der Arbeit. An den Gesichtern der Fotografierten kann man ein wenig ablesen, was für eine Person die Fotografin gewesen sein muss: unaufdringlich und angenehm vermutlich, denn die Fotografierten ruhen in sich, ungestört. Besonders schön sind die wiederkehrenden Motive von Lesenden in der Bahn.
Versprechen auf Gleichberechtigung
Sei es in den Straßenbahnen in Leipzig, wo Richter an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte und ab 1981 selbst lehrte, in der S-Bahn in Berlin oder in den Zügen in der DDR. In den Abteilen und Waggons herrscht immer ein besonderes Licht, eine bestimmte Intimität in der Fremdheit. Es sind Schätze aus ihrem Archiv, das erst kürzlich zugänglich wurde.
Ihr Konvolut "Arbeit" von über 40 Motiven aus dem Zeitraum der 1950erbis 1980er-Jahre zeigt vor allem arbeitende Frauen. Sie hätte gerne ein Buch darüber gemacht. Ihr Interesse galt der beruflichen Existenz von Frauen, denen Gleichberechtigung versprochen war, aber diese Rechte sah Richter im Alltagsleben nicht immer verwirklicht. Das Buch kam nie zustande, denn die Porträts waren "nicht auf Linie".
Das Bild der arbeitenden Frau sollte zuversichtlich, fröhlich und stark sein. Evelyn Richter bildete ab, was sie sah: Frauen, die konzentriert und allein an veralteten Maschinen arbeiten. Ihr Realismus war den staatlichen Kontrollen nicht sozialistisch genug. Das Katalogdesign von Spector Books in Leipzig geht wie immer feinfühlig darauf ein. Die zurückhaltende, aber spürbar gegenwärtige Aufmachung ordnet das Werk Evelyn Richters ein in die Fotogeschichte und in die Gegenwart.