Die Londoner Kulturwelt hat guten Grund, dem Jahr 2020 mit einigem Unbehagen entgegenzusehen. Die Auswirkungen des Brexit auf die Kulturschaffenden bleiben auch im vierten Jahr nach dem Austrittsreferendum unabwägbar. Absetzbewegungen von Künstlern und Museen sind erkennbar. Zugleich verlangt das Publikum neue, anregende Konzepte für Ausstellungen. Und: Über allem schwebt eine sich verschärfende Diskussion um politisch und ethisch unliebsame Sponsoren angesehener Kultureinrichtungen.
Die öffentliche Debatte über den Klimawandel und spektakuläre Protestaktionen von Gruppen wie Extinction Rebellion haben 2019 die Debatte um die Kulturförderung durch sogenannte schmutzige Gelder angeheizt. Der Ölkonzern BP und der Pharmakonzern des US-Familienunternehmens Sackler gerieten in die Schlagzeilen. Die Museen der Tate-Gruppe und die National Portrait Gallery in London kappten ihre Bande zum Sackler-Konzern. Dessen Unternehmen Purdue Pharma steht mit seinem Schmerzmittel Oxycontin im Zentrum einer Klagewelle gegen Firmen, die für die grassierende Medikamentensucht und Drogen-Epidemie in den Vereinigten Staaten mitverantwortlich gemacht werden.
Förderung durch den Ölkonzern BP schon lange ein Dorn im Auge
Mit einem Paukenschlag geriet die renommierte Royal Shakespeare Company (RSC) ins Rampenlicht, als der Schauspieler und Oscar-Preisträger Mark Rylance im Juni 2019 seine 30-jährige Verbindung mit der Theaterkompanie aufkündigte. Rylance, so wurde berichtet, habe sich an die Speerspitze revoltierender Mitarbeiter gesetzt, denen die Förderung der Truppe durch den Ölkonzern BP schon lange ein Dorn im Auge war.
Wenige Monate später stieg die RSC vorzeitig aus einem Förderdeal mit BP aus und verwies dabei auf die wichtige Rolle, die die Kritik vor allem junger Mitarbeiter und Zuschauer bei der Entscheidung gespielt habe. Kurz darauf gab das National Theatre bekannt, seine Förderung durch den Ölkonzern Shell nach Auslaufen der Verträge im Jahr 2020 zu beenden.
Auch die National Portrait Gallery am Trafalgar Square war Zielscheibe von Protesten. Halbnackte, ölverschmierte Aktivisten von Extinction Rebellion demonstrierten im Oktober in dem Museum gegen die alljährliche Ausschreibung des von BP gesponsorten Preises für Porträtmalerei. Bereits bei der Verleihung im Juni hatten rund 80 Topkünstler, darunter Anish Kapoor, Antony Gormley und Rachel Whiteread, die NPG in einem offenen Brief aufgefordert, ihre Förderung durch den Ölkonzern nach 30 Jahren zu beenden.
"Gesellschaftlich nicht mehr akzeptabel"
Das Kunstmuseum würde damit gewähren, dass es "in die Zukunft schaut und sich auf der richtigen Seite der Geschichte befindet", hieß es darin. Die National Galleries of Scotland gaben danach bekannt, ab 2020 Ausstellungen in Zusammenhang mit dem Porträtpreis zu streichen.
Nach Angaben von BP betragen die Fördergelder für vier führende Kultureinrichtungen in London - das British Museum, das Royal Opera House, die Royal Shakespeare Company und die National Portrait Gallery - über einen Zeitraum von fünf Jahren rund 7,5 Millionen Pfund (8,8 Millionen Euro).
Gegner der Zusammenarbeit zwischen Kunst und Ölkonzern hoffen, dass die jetzt angestoßene Diskussion von Dauer sein wird. Die Aktionsgruppe "Culture Unstained" (Unbefleckte Kultur) sprach von einem "massiven Gewinn" für ihr Anliegen. Im Jahr 2019 sei ein klares Signal gesetzt worden, dass die Kunstförderung durch Sponsoren mit Verbindungen zur Ölindustrie "gesellschaftlich nicht mehr akzeptabel ist", hieß es auf ihrer Webseite.
Proteste im neuen Jahr verschärft gegen British Museum
Beobachter gehen davon aus, dass sich die Proteste im neuen Jahr verschärft gegen das British Museum und das Royal Opera House richten werden. Schon 2019 hatten Demonstranten mehrfach ihrem Unmut vor dem und im British Museum Luft gemacht. Wie auch bei der Royal Shakespeare Company erklärten sich zahlreiche Mitarbeiter solidarisch mit den Forderungen der Umweltschützer. Die ägyptische Bestseller-Autorin Ahdaf Soueif ("Die Landkarte der Liebe") trat im November aus Protest gegen die "Unbeweglichkeit" des Museums bei der BP-Förderung und "anderen kritischen Fragen" vom Stiftungsrat des British Museum zurück.
Der deutsche Museumschef Hartwig Fischer reagiert gelassen auf die Proteste. "Die Förderdebatte ist überall", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Ich glaube, wir alle teilen die Besorgnis über den Klimawandel. Aber die Frage ist, was ist Verantwortung, was ist das richtige Handeln in einer komplexen Lage mit großen Herausforderungen für uns alle."
Nach seinen Angaben finanziert sich das Museum zu weniger als 40 Prozent aus öffentlichen Geldern, der Rest komme aus privaten und kommerziellen Quellen."Ohne private Fördermittel kann das British Museum seine Mission nicht erfüllen, Millionen von Menschen Gelegenheit zum Lernen über die Menschheitsgeschichte zu geben, wie es sonst niemand kann", sagte Fischer. Zugleich, so fügte er hinzu, bemühe sich das Museum fortwährend um eine Diversifizierung seiner Finanzquellen.