Zuerst möchte ich mich entschuldigen, dass hier "Kolumne" drübersteht, und dann wochenlang keine kommt. Ich war völlig deprimiert, erschöpft, leer. Das geht ja gerade fast jedem und jeder so. Angesichts von den Kriegen, den Bombardierungen in Gaza, der Gewalt überall, dem andauernden Rechtsruck in Deutschland und Europa, dem Hass auf Migranten, Arme, Klimaaktivisten, dem ständigen populistischen Müll, den immer wieder dieselben Arschgesichter, privilegierte weiße Männer und Frauen, Leute, die sind wie ich, ablassen, möchte ich mich oft einfach nur hinsetzten und aus dem Fenster gucken.
Natürlich gehe ich auch demonstrieren. Jetzt, wo Millionen auf die Straße gehen, spürt man Hoffnung. Aber die Erschöpfung kommt immer wieder, nicht aus Sentimentalität, sondern weil ich Teil des Problems bin, da nicht rauskomme, aus meiner Blase, meiner kleinen weißen, leeren Welt. Heute morgen wollte ich einfach nicht aufstehen und dachte, ich muss mich in Bewegung setzen. Und da fiel mir meine verwaiste Kolumne ein, die ich gerne neu beleben möchte.
Was mir dazu eingefallen ist, erzähle ich gleich. Aber erstmal ein Hinweis in eigener Sache. Ein alter Freund von mir, der in Tel Aviv lebende Schweizer Künstler Ueli Etter, feiert heute in der Berliner Zwinger Galerie, in der Schöneberger Mansteinstraße, die Finnisage seiner Ausstellung "Mother Cloud". Ueli, der ziemlich wortkarg ist, wenn es um seine Arbeit geht, hat seit Mitte der 1990er an einem rätselhaften Projekt gearbeitet, einem fiktiven Endzeit- Freizeitpark, mit verschiedenen Zonen, Modellen und Entwürfen für Landschaften mit gigantischen, wahnsinnigen Architekturen. Die können futuristisch aussehen, wie der "Identity Court", der wie ein Gebäude in Dubai wirkt, bei dem das Monumentale etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Aber sie können auch wie Organe, Drüsen, Tumore, Körperteile, Blütenkapseln, oder Wolken und eher unkontrolliert wuchern, wie in Novellen von William Burroughs oder den Filmen von David Cronenberg.
Perverser Kosmos
Ueli entwickelte auch homoerotische Brunnen mit jungen Männern, aus denen Fontänen schießen, oder Strukturen, die an Raumschiffe, kosmische Portale, oder riesige Pupslöcher denken ließen. Immer geht es in seinen Projekten um Stimmungen, psychische Zustände, Visionen, aber auch um Body-Politics, die Schnittstellen zwischen Ordnung und Chaos, Unterdrückung und Anarchie. Natürlich muss man an Freuds "Unbehagen in der Kultur" denken, aber vielleicht auch an Wilhelm Reichs "Massenpsychologie des Faschismus". Als Ueli in den späten 1980ern begann, wie ein Schüler auf LSD zu zeichnen, wirkte das total merkwürdig, richtig verstörend. Heute erinnert sein psychologisch aufgeladener, immer etwas perverser Kosmos sehr an die Realität.
Dabei waren seine Entwürfe nie kitschig oder extrem theatralisch, sondern immer auch weltlich, handwerklich. Das gilt auch für die wunderschönen Objekte und Lampen in "Mother Cloud". Die Motive sind eine Art Spin Off von "The Park", aber autonom. Die elegant designte Stimmung lässt hier weniger an Cronenberg denken, sondern eher an die modernistische Mailänder Villa in Pasolinis "Teorema" (1968) oder an die Szene in Kubricks "Clockwork Orange" (1971), in der ein Bildungsbürger-Paar von einer völlig breiten, superbrutalen Gang, den Droogs, mit unglaublich eleganten Design-Objekten erschlagen wird. Uelis Objekte sind für diesen Zweck zwar fast zu fragil, aber absolute Knaller, kühle, mysteriöse Hinsteller. Und Teil eines Werkes, das wirklich ins Heute passt.
Zugleich feiert der Künstler und Filmemacher Heinz Emigholz in der Zwinger Galerie seinen Geburtstag, der mit Filmen wie "Die Basis des Make-Up" (1979-1985) oder "Der Zynische Körper" (1986-1991) Geschichte geschrieben hat. Wer also gut ikonische Künstler*innen und superinteressante ältere Menschen aus der Berliner Szene treffen möchte - auf in den Zwinger! Um 18 Uhr geht's los.
Nun eine kleine Vorschau für diese Kolumne!
Ich denke oft an die Anfangsjahre der Aids-Krise in den frühen 1980ern, in denen Menschen mit HIV in ganz Europa und den USA stigmatisiert und diskriminiert wurden. Die Vorschläge rechter Politiker reichten damals von Zwangstests und Einreiseverboten bis zu Tätowierungen und isolierten Straflagern. Die Idee war ähnlich wie im Faschismus: dass verhindert werden solle, dass eine gesunde Volksgemeinschaft von gefährlichen oder perversen Parasiten infiziert wird.
Na, klingelt da was? Es ist einer gigantischen Aufklärungs-Kampagne der Regierung, unter einer CDU-Gesundheitsministerin, nämlich Rita Süßmut zu verdanken, dass sich die Stimmung damals änderte und Menschen begannen, realistisch mit Homosexualität, HIV und nicht-heteronormativen Lebensmodellen auseinanderzusetzen.
Wieso gibt es ausgerechnet unter der Ampel-Regierung keine ähnlichen Anstrengungen für Migranten, Arme, die Schwächsten der Gesellschaft? Wieso werden sie im Gegenteil von Ministern der Regierung diskriminiert und stigmatisiert, als hätte es seit dem Kaiserreich keinen Fortschritt gegeben? Wie hängt Aids, eine noch heute akute Pandemie, die aber von vielen nicht wirklich wahrgenommen wird, mit der heutigen politischen und kulturellen Situation zusammen? Dazu kommen hier demnächst hoffentlich Beiträge über Aids, Kunst und Body Politics.
Aids, Gentrifizierung und die tödliche Doris
Unter anderem plane ich: Ein Porträt der Fotografin und Filmemacherin Annette Frick, die Anfang der 1990er ikonische Aids-Aktivistinnen, Trans- und Drag Performer*innen und Tunten aus der queeren Berliner Szene begleitet hat, darunter Ovo Maltine, BeV, Tima, Napoleon Seyfarth.
Einen kurzer Essay über die Arbeit des Hamburger Künstlers Jan Holger Mauss, der die Körper in schwulen Vintage-Porn-Heften in akribischer, manischer Kleinarbeit ausradiert und völlig geisterhafte und zugleich formal strenge Bilder über Abwesenheit, Verlust, Befreiung entstehen lässt.
Ein Gespräch mit dem jungen Regisseur Tilman Hecker, der für die Volksbühne mit "Mein süßes Lieb" eine Oper über Aids und Gentrifizierung gemacht hat. Die Inspiration dazu lieferte "The Gentrification of the Mind" der New Yorker Historikerin und Act-Up-Aktivistin Sarah Schulman, das 2012 erschien.
Und last but not least, ein persönliches piece über meinen 1996 an den Folgen von Aids verstorbenen Freund, den Künstler, Musiker und Performer Nikolaus Utermöhlen. Ich schreibe gerade einen Roman über ihn und seine Welt. Nikolaus war Mitbegründer der Gruppe "Die Tödliche Doris". In den frühen 1990ern, schon total krank, machte er eine schwärmerische, konzeptionelle Malerei, die ihrer Zeit absolut voraus war, für die er auch ziemlich grausam verspottet wurde. Jetzt kommt sein fantastisches Album "Karlsbad" (1989) neu heraus.
Schreibt mir!
Den Anfang macht aber ein Essay über den Spruch "Wehret den Anfängen", darüber, dass auch in der Kunstszene zugunsten von Harmonie, Kommerz und Narzissmus versäumt wurde, rechte Tendenzen in der Kultur zu benennen und zu kritisieren. Und warum wir mehr Debatten brauchen, damit aufhören müssen, es allen recht zu machen, nur weil wir um unseren Job oder den Status bangen.
Außerdem möchte ich wissen, was euch in diesen beschissenen Zeiten weiterhilft, welche Bücher, Theorien, Ausstellungen, Filme, welche Musik, welche Ereignisse und Menschen. Was ist gerade wichtig, was soll gelesen, gesehen, gehört werden?
Bitte schreibt eure Vorschläge an: hello[at]the-empty-world.com
Und bitte schreibt kurz, warum diese Sachen wichtig sind. Es werden Kritiken, Interviews, ein Buchclub oder ein Culture Club daraus.
Bis bald ...