In der Kunsthalle Rostock wurde 2019 die Geschichte des Palasts der Republik anhand von mehr als 45 Kunstwerken rekonstruiert. Sie dokumentieren den Auf- und Abbau des einstigen Berliner Prachtbaus. Wir haben mit Kuratorin Elke Neumann und Museumsdirektor Uwe Neumann gesprochen – die übrigens nicht verwandt oder verschwägert sind.
Frau Neumann, Herr Neumann, welche Bedeutung hatte der Palast der Republik in der Gesellschaft der DDR?
Elke Neumann: Die Bedeutung ist sehr unterschiedlich. Es gab zum einen die Volkskammer, sozusagen das Regierungsgebäude. Zum anderen aber, und das ist das Größere und Alltäglichere im Leben gewesen, war es ein sehr großes Kulturhaus. Es fanden viele Veranstaltungen statt, die zum Teil sicher auch schwierig zugänglich waren, weil es nur wenige Eintrittskarten gab. Aber das riesige Foyer war ein öffentlicher Ort. Es gab dort auch Bars. Und in der Ausstellung sieht man zahlreiche Fotografien von den Leuten, die sich dort aufhielten.
Würden Sie sagen, der Kern Ihrer Ausstellung ist Erinnerungskultur?
EN: Erinnerung spielt eine große Rolle, weil man an diesem Gebäude sehen kann, dass Erinnerung nichts Vollständiges oder Abgeschlossenes ist, sondern etwas, das sich verändert. Ich habe irgendwo gelesen, dass Erinnerung etwas ist, bei dem man sich selbst an etwas erinnert, und andere sich an etwas erinnern und wie man beides verknüpft. Es gibt die Theorie von Aleida und Jan Assmann, dass man Erinnerung gesellschaftlich verhandelt. Dies spielt für den Palast eine große Rolle – auch der Konflikt zwischen Ost und West natürlich. Aber die Grenze des Erinnerns verläuft nicht zwischen Ost und West, sondern an verschiedenen Stellen. Man hat verschiedene Gruppen der Gesellschaft, die sich unterschiedlich an Dinge erinnern. Wenn man diese Vielfalt der Erinnerungen zusammenträgt, ist das spannend.
Uwe Neumann: Ein interessanter Aspekt ist auch, dass sich Frau Neumann biografisch und alterstechnisch an dieses Haus gar nicht so erinnern kann wie ich. Ich habe ihn in der DDR live erlebt, sie nicht. Und diese beiden Facetten waren uns in der Ausstellung wichtig. Wir wollten natürlich die Erinnerungskultur derer darstellen, die den Palast als Utopie, Kulturhaus und Volkskammer wahrgenommen haben. Das Foyer mit der Palastgalerie war das Besondere, dort wurde man an Kunst herangeführt – und die für DDR-Verhältnisse gute Gastronomie. Diese Lebenszeit des Palastes haben viele in Erinnerung. Aber dann kommt die jüngere Generation, die den Palast geschlossen oder als temporären, spannenden Kunstort wahrgenommen hat. Die Ausstellung beleuchtet auch diese Seite, zeigt die wechselhafte und besondere Geschichte des Palastes in ihrer gesamten Bandbreite.
Warum ausgerechnet jetzt eine Ausstellung zum Palast der Republik?
UN: Für mich ist die politische Komponente wichtig. Wir haben jetzt 30 Jahre Einheit und mittlerweile merkt man ein Umdenken, wenn man Zeitungsartikel liest. Offenbar hat der Kapitalismus auf viele Fragen nicht die notwendigen Antworten. Insofern beschäftigt sich diese Ausstellung für mich mit tagespolitisch aktuellen Fragestellungen: Was sind die gesellschaftlichen Modelle im 21. Jahrhundert und wie wird man es schaffen, vielleicht auch wieder Utopien zu denken? Daher ist das tagesaktuell spannend.
EN: Und die Diskussion um die Wendezeit, die sich momentan in vielen kulturellen Veranstaltungen wiederspiegelt: Was ist mit der Wende und der Wiedervereinigung entstanden, aber auch verloren gegangen? Welche Fragen, die damals im Raum standen, sind wirklich diskutiert worden? All diese Debatten zeigen, dass es ein aktuelles Thema ist. Es heißt immer, es sind 30 Jahre, die ein Thema historisch werden lassen. Wir sind genau an diesem Moment, an dem die Geschichte Historie wird. Plötzlich ist die Bandbreite, wie man es diskutieren kann, nochmal größer oder es wird anders hinterfragt. Das merkt man mit dem Palast der Republik auch gerade in den künstlerischen Sichtweisen. Obwohl das Gebäude nutzbar schon lange nicht mehr existiert, ist es immer noch Gegenstand künstlerischer Arbeiten. Es wird zum Symbol der Frage "Welche Beweggründe hatten bestimmte Entscheidungen in dieser Zeit?" oder "Was hätte man anders lösen können?".
Aufgrund der Geschichte hat die Sammlung der Kunsthalle Rostock ihren Schwerpunkt auf ostdeutscher Kunst. Werden Sie das weiterhin als Ihre Nische nutzen?
UN: Die Kunsthalle Rostock hat sich durchaus wieder einen Namen erarbeitet, indem sie sich der Kunst aus der DDR gewidmet hat. Denn es ist nicht immer gerechtfertigt gewesen, dass ostdeutsche Künstler nach der Wende nicht mehr ausgestellt wurden. Deswegen haben wir sie gezeigt und auch kontroverse Diskussionen geführt. Dem ersten Direktor, Horst Zimmermann, ist es zu verdanken, dass wir so viel Kunst aus dieser Zeit haben. Durch die Biennalen der Ostseeländer haben wir eine heterogene Sammlung des Ostseeraumes. Nach der Sanierung der Kunsthalle Rostock werden wir eine neue Profillinie aufbauen: die der Kunst aus dem Ostblock. Das ist auch wichtig für eine gesamteuropäische Annäherung.
Ist ostdeutsche Kunst in der heutigen Kulturlandschaft gerade nach der Wiedervereinigung ein relevantes Thema für die Identität Deutschlands?
UN: Ja, gar keine Frage. Weil das zum Verständnis gehört. Es gibt keine DDR-Kunst, sondern Kunst in der DDR. Und die ist natürlich so vielschichtig, wie es die Menschen waren. Wenn man das Land besser verstehen will, dann ist eine Auseinandersetzung mit der Kunst sicherlich sehr sinnvoll. Die Bereitschaft müssen aber beide Seiten zeigen. Auch wir als Museum im Osten Deutschlands müssen entsprechend aufgeschlossen sein. Wir versuchen die Kunst in der DDR zu entpolitisieren. Die Leute sollen die Kunst eigenständig werten. Ich will das Thema nicht verharmlosen, aber lasst die Kunst auch einfach mal Kunst sein!
EN: Es wird auch immer zu stark diskutiert, ob man Kunst der DDR oder Kunst aus der Bundesrepublik zeigt. Ich finde, es wird Zeit, beides nebeneinander zu stellen. Es gibt viele zeittypische Probleme, Herangehensweisen und Arbeitsweisen, die sich auf beiden Seiten zeigen. Daher sollte man nicht immer die Unterschiede schüren, sondern auch nach Gemeinsamkeiten suchen.